Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Eisler, Max: Der Raum bei Jan Vermeer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0227
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Raum bei Jan Vermeer.

215

aber damit nur die Wirkung vor die Ursache gestellt. Das Licht steht voran. Aber auch das ist
nicht alles, nicht die äußerste bewegende Prämisse. Dies ist erst der gesamte Luftzustand, in dessen
Medium das Licht seinen Träger, die Farbe ihre vom Licht mitbedingte Erscheinung, beide die
neue tonale Temperierung und jedes Körperhafte seine Erleichterung erhält. Auf diesen Ursprung
wird alles zurückgeführt, in dieser Bindung offenbart sich die neue formale Einheit, die zugleich
das höchste Feingefühl für die Natur verrät.

In diesem Sinne haben wir hier, auch rein als Darstellung genommen, neuen Raum vor uns.
Nicht Naturraum sondern Raumform, allerdings eine, die zu einem Vergleich mit dem Naturraum
mehr berechtigt, weil sie ihn näher voraussetzt als die beiden anderen, die ihre Gesetze ausschließ-
licher in sich tragen.

Von besonderem Interesse für den angedeuteten Stufengang der Raumdarstellung und Raum-
auffassung werden jene typischen Künstlererscheinungen die zwischen den Epochen vermittelnd
stehen, die widernatürliche Strenge der Periodisierung aufheben und das Allmähliche, nicht Sprung-
hafte der Entwicklung bezeugen: für die Entlastung der ersten etwa Willem Buytewech, für ihre
Überführung in die zweite Hercules Segers, für die Vermittlung der zweiten und dritten Aelbert
Cuyp und Carel Fabritius.

Das Beispiel Willem Buytewechs (um 1585 bis vor i63o) dürfte wohl am besten den Raum-
schatz umschreiben, mit dem die holländische Malerei in das neue Jahrhundert eingetreten war.
Von seiner Hand ist die lavierte Federzeichnung eines Interieurs in der Hamburger Kunsthalle.
Die konstruierende Peinlichkeit der Schule Vredemans de Vries ist bereits aufgegeben und in Fluß
geraten, allerdings auch ihr Sinn für die Umfassung des Raumganzen abgeschwächt und der Weg
der näheren induktiven Erforschung der Teile beschritten. Die Raumgliederung und das füllende
Detail beherrschen das Interesse. Rechnet man hier hinzu, was jetzt die zahllosen Ateliers ihren
Zöglingen an akademischer (auch schon kodifizierter) Konstruktionslehre, meist aus italienischer
Quelle, fortlaufend zuführten, dann gewinnt die Nachprüfung der Linearperspektive für alle Zukunft
eine grundsätzlich gewendete Bedeutung: bis ins XVI. Jahrhundert mag sie an sich wesentliche Er-
kenntnisse zutage fördern, weil sich auf dem Wege bis zu ihrer vollkommenen Erwerbung dieser
technische Behelf mit Form- und Ausdruckswerten unlöslich verbindet; aber seither ist der zuge-
hörige Apparat zum festen und gangbaren Bestand der Schulübung geworden, und da ihn jeder-
mann in den Beginn seines selbständigen Schaffens mitbringt, mitbringen kann, gewinnt er bloß
durch seine Beziehung zu den übrigen, jetzt in den Vordergrund tretenden Mitteln der Raumdar-
stellung Gewicht, also relativen Belang. Das Verfahren Buytewechs entspricht einer im gewählten
Ausschnitt durchaus befangenen Raumauffassung.

Mit Hercules Segers (158g—1645) verläßt der Raum seine feste und engere Umgrenzung
und wird als Farben- und Lichtimpression zur ersten sinnlich gewordenen Vorstellung des unbe-
grenzten Freiraumes, also zur absoluten Raumvorstellung. Aber wie nach De Vries bedurfte auch
diese Form eines neuen Raumenthusiasmus der näheren Ausbildung ihrer Möglichkeiten. Zwischen
Segers und Cuyp treten Van Goyen und Rembrandt. Nicht so sehr in ihnen als in ihrem natür-
licher gesinnten Gefolge (namentlich Haarlem-Amsterdamer Kreuzung) mußte jene im Raumaus-
schnitt gewonnene Bodensicherheit energisch weiterwirken und sich mit der Dichtung vom Frei-
raume zu gemesseneren Formen verbinden. Der Weg des großen Ruisdael wird hierfür zum um-
fassendsten Zeugnis. Interieur und Freiraum spielen jetzt ineinander. Der grenzenlosen Expansion
war hier schon ein Gegengewicht der Intensivierung dargeboten.

Bei der vorwiegenden Bedeutung, die der Ton und die Beleuchtung für jene zuhöchst exten-
siven Arten des Freiraumes inzwischen gewonnen hatten, gewinnen mußten, und bei der zuletzt immer
stärker, immer allgemeiner werdenden Richtung auf das Natürliche kam alles darauf an, welche
Brücken von der bisherigen Bilderscheinung dieser Elemente zu ihrer natürlichen Erklärung ge-
funden würden. Denn nicht weniger als die Beleuchtung Rembrandts war der Ton Van Goyens
Erfindung, die sich von natürlicher Wahrnehmung nur beiläufig hatte anregen lassen. Wie die

29*
 
Annotationen