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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Tietze-Conrat, Erika: Zur höfischen Allegorie der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0033
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ZUR HÖFISCHEN ALLEGORIE DER RENAISSANCE.

Von

E. Tietze-Conrat.

ls der Mythos in den Mund der Dichter herabstieg und sich in klingende Verse
fassen ließ, da war der andächtige Schauer für immer von ihm gewichen.
Seines tiefsten Sinnes beraubt, wuchsen ihm dennoch Kräfte und Säfte zu, die
ihm für die folgenden Jahrhunderte unerschöpfliches Leben sicherten. Jede
einzelne Göttergestalt trat aus ihrer einmaligen Lebendigkeit in den breiten
Kreis typischer Erscheinungen, spitzte sich zum Schlagwort. Die soziale Stel-
lung im Reiche der Himmlischen, die patronisierten Künste und Tätigkeiten
vereinigten sich in ihr zu einer Summe von charakteristischen Eigenschaften, für die der Name
das Zeichen wurde. Wenn Aspasia in der Komödie Omphale, Deianira und Juno (Plutarch,
Perikles) genannt wurde, so ist die Schönheit der Frau, die für den Heros Schicksal wird, die
Grundlage zu dem Vergleich. Und ohne den ironischen Beigeschmack in das Höfische zu über-
tragen, malt Apell Alexander den Großen als Zeus mit dem Blitz in der Hand im Artemistempel
zu Ephesos.

Die Namen der Götter wandern zu den Gestirnen und den Metallen. Als Planeten regieren
sie die Welt mit unbeschränkter Gewalt; der Mensch ist ihnen von seiner Geburtsstunde an ver-
fallen; die ganze im Physiologischen wurzelnde Prädestinationslehre, die das Einzelne mit allen
Ausstrahlungen im Kosmos verankern wollte, hängt an ihnen. Neue verzweigte Vorstellungs-
komplexe gehen in die alten Hüllen ein und ordnen sich als fatale Monatszeichen in den rhythmi-
schen Ablauf des Lebens. Der Mensch setzt sich zur Wehr, die Selbständigkeit erwacht, will
durch den Geist dort siegen, wo sonst das Fleisch unterlag. Die Naturgewalten, denen der Mensch
hilflos ausgeliefert war, sollen als Naturkräfte erkannt und gebändigt, sollen Diener der Geistes-
kraft werden. So ist die Chemie entstanden. Die Götternamen bekommen andern Sinn und
dieser wandelt sich im schnelleren Tempo einer geistigen Entwicklung. Merkur wird zum Queck-
silber, wird zur «Seele» der Metalle, Merkur wird zur Materia mit den antagonistischen Schlangen
an dem Stab, deren Zerstörung die Wiedergeburt erst voraussetzt; Merkur «der Philosophen» wird
zum Gewissen, der gewaltigen Medizin für eine kranke Seele.1

In dieses reiche, überreiche Netz assoziativer Vorstellungen greift die zurückgewandte Literatur
des Humanismus mit ordnender Hand ein; ihr wichtiges Ziel, den klassischen Besitz für weitere
Kreise praktikabel zu machen, erfüllt sie mit Tatkraft und Geschick. Fast will es scheinen, als
würde die quellende Fülle des Gewachsenen zu arg beschnitten; doch dauert es nicht lange und
wieder werden die klaren Formen vom verwirrenden Laub übersponnen. Es gibt kein Zurück.
Durch den Geist Goethes und Schillers ethisch basiert, erblühen die alten Komplexe in der neuen
Treibhausluft von Novalis' schönem Märchen.

1 Herbert Silberer, Probleme der Mystik und ihre Symbolik, Wien— Leipzig 1914, passim.
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