Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
194

Boehlau, Die Grabfunde von Pitigliano im Berliner Museum.

ist. Niemand würde an die Notwendigkeit einer anderen Erklärung denken, wenn
die leidige Etruskerfrage nicht zur Unzeit mit den archäologischen Fragen verquickt
worden wäre. Am allerwenigsten würde man ethnologische Veränderungen dafür
herangezogen haben, wissen wir doch, dafs die Griechen wohl unter Einflüssen
von Kleinasien her von der Beerdigung zur Verbrennung übergegangen sind. So
wenig diese Bestattungsarten »vom Zufall oder vom individuellen Belieben« abhängig
sind, so darf man doch auch ihre Festigkeit nicht überschätzen, unter dem Eindrücke
vielleicht des Widerstandes, den die christliche Dogmatik einem Wechsel entgegen-
gesetzt hat und grade in unseren Tagen wieder entgegensetzt.
Anders würde der Übergang zur Bestattung zu beurteilen sein, wenn eine
durchgreifende Veränderung auch in den Beigaben vor sich ginge. Aber das ist
nicht der Fall. Montelius selbst scheint den Etruskern nur die neue Bestattungssitte
zuzuschreiben. Lange sind die importierten Metallarbeiten dieselben. Vor allem
aber setzt sich die alte Keramik fort in einheimischen Formen, in einheimischer
Technik, in ihrem eigentümlichen Verhalten dem fremden Import gegenüber: grade
die oben publicierten Grabfunde von Pitigliano gaben die beste Gelegenheit, dies
zu beobachten. Nun geht es mit den alten Formen unter mächtiger Zunahme
der neuen sichtlich bergab. Die Geschichte des italischen Handwerks im 8. und
7. Jahrhundert ist ein typisches Beispiel für den Procefs der friedlichen Überwältigung
einer starken einheimischen Kunstübung durch eine überlegene fremde, die anfangs
aus der Ferne wirkt, dann aus nächster Nähe den Kampf fortsetzt. Wir können
den Verlauf so deutlich beobachten, wie kaum anderswo, aber nirgends machen sich
Störungen, wie sie der Einbruch eines fremden Volkes hätte zur Folge haben müssen,
auch nur in den leisesten Symptomen bemerkbar. Der fremde Import nimmt zu,
und mit ihm der Einflufs des Fremden: das ist alles — und das ist wahrlich
begreiflich.
Die Geschichte des griechischen Imports in Italien wird, wenn der griechische
Boden uns nicht noch wider Erwarten reiche Funde schenken sollte, unsere voll-
ständigste Quelle der Geschichte der nachmykenischen Metallurgie vom 9. bis zum
6. Jahrhundert werden. Das sollte reizen, sich mehr, als es bisher der Fall ist,
mit dieser Aufgabe zu beschäftigen. Freilich sind die italischen Dokumente nicht
immer authentisch. Wir haben die eigentümlichen Schwierigkeiten ihrer Benutzung
bei der oben versuchten Analyse der Gefäfse aus den Gräbern von Pitigliano zur
Genüge kennen gelernt. Sie beruhen im Wesentlichen auf der Selbständigkeit und
der bildungsfrohen Regsamkeit des italischen Handwerks, speziell der Keramik.
Diese Eigenschaften veranlassen zahlreiche Kreuzungen des Fremden und des
Einheimischen, die unentwirrbar scheinen, und die Verpflanzung des griechischen
Handwerks auf den italischen Boden bedingt wieder Verbildungen, Entartungen der
ursprünglichen Form, die sich der Beurteilung zu entziehen scheinen. Aber diese
Schwierigkeiten gleichen sich durch die Reichhaltigkeit des Materials etwas aus,
das fast immer das Wesentliche, Ursprüngliche einer Form von den Zufälligkeiten
einer Verbildung oder Umbildung zu scheiden erlaubt. Aufserdem aber helfen die
 
Annotationen