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LAOKOON.

Am 14. Januar i sind es vierhundert Jahre gewesen, daß die Laokoongruppe
dem unterirdischen Verstecke, in welchem sie tausend Jahre geschlummert hatte,
wieder entstieg. Wie sie im Altertum als »opus omnibus et picturae et statuariae
artis praeferendum« gefeiert worden war, so wurde sie jetzt als »portento d' arte«
begrüßt und übte auf die Künstler und Dichter eine Wirkung aus, wie kein anderes
Kunstwerk. Die Zeiten solcher Wertschätzung sind längst vorüber. Auf den ver-
einzelten Trompetenstoß, den Tizian mit seiner Karikatur tat, ist in neuester Zeit
eine geschlossene Reihe von Sturmangriffen gegen die Gruppe gefolgt. Es ist zu
fürchten, daß sie der Unterschätzung anheimfällt. Aber selbst einer der lautesten
Rufer im Streite, Stauffer-Bern, der in ihr nur ein Werk der Dekadenz sah, mußte
widerwillig ihre hohe Bedeutung anerkennen, wenn er urteilte, sie, nicht Michel
Angelo, sei die Mutter der Barockkunst gewesen^ Und doch, wenn auch seit
Winckelmann und Lessing für die Gruppe als Boden der Wirkung an Stelle der
Kunst die Wissenschaft getreten ist, so hat doch auch diese ihre Schuld gegen die
Gruppe für wichtige Fragen noch lange nicht abgetragen. Weder die Ergänzung
noch die Entstehungszeit der Gruppe sind bisher in befriedigender Weise fest-
gestellt. Zur Lösung beider Aufgaben sollen die folgenden, zum Gedächtnis der
vierhundertjährigen Auferstehung der Gruppe geschriebenen Darlegungen beitragen.
I.
Es versteht sich von selbst, daß der Frage nach der Ergänzung eine zu-
verlässige Aufnahme des antiken Bestandes vorangehen muß. So wenig das »ex
uno lapide« für die Entstehung, so wenig ist das »integro« für die Wiederauffindung
der Gruppe wörtlich zu nehmen, vielmehr nur als Ausfluß der überschwänglichen
Begeisterung der ersten Beschauer im Zeitalter der Renaissance aufzufassen.
Der erste Augenzeuge, welcher die Gruppe noch im Januar 1506, zwar nicht
mehr am Orte der Auffindung selbst, wohl aber noch im Hause des Finders sah,
weiß nur vom Fehlen des rechten Armes des Vaters und des jüngeren Sohnes zu

*) Vgl. den Brief des Filippo Casaveteri an
Francesco Vettori »mercholedi che fumo a di
XIIII del presente, fn trovato in questa cittä
una niirabile statua di marmo« (Rev. arch. ser. III

t. IV p. 41), wodurch der Zweifel von Michaelis
(Arch. jahrb. V 16) und Lanciani (Storia degli
scavi di Roma I ißq) gehoben wird.
2) Brahm, Karl Stauffer-Bern, Stuttgart 1892 S. 243.
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