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J. Six, Apelleisches.

das, weil namenlose Kunst im Grunde ein Widerspruch ist. Kunst ist doch die
persönlichste Äußerung der Menschen, eine schöpferische Tat wie kaum eine andere.
Wir dürfen also nur da notgedrungen auf Namen verzichten, wo wir überhaupt
keine kunsthistorischen Nachrichten besitzen. Auch dort aber wird man sicher,
sobald der Stoff in genügender Fülle da ist, mit fingierten Namen wie einem Amico
di Sandro, einem‘Meister von Merode, der Virgo inter Virgines, einem Waagenschen
Mostaert arbeiten. Es läßt sich nicht einsehen, warum man nicht mit der Zeit sogar
von dem Meister des Scheik-el-beled oder von dem der Löwenjagden von Kujundschik
das Oeuvre zusammenzustellen versuchen sollte. Wo wir aber Künstler kennen,
die als bahnbrechende Meister ihrer Zeit anerkannt sind, tut es viel mehr not, das
Äußerste zu wagen, um ihnen ihr Eigentum wiederzugeben, will man nicht durch
zu große Vorsichtigkeit Gefahr laufen, das, was zum Wesentlichsten der Kunst
gehört, die neuen Formeln, falsch zu datieren. Man denke sich die Gemälde
und Ornamententwürfe Watteaus namenlos. Sicher würde man sie mit Boucher
und Fragonard und wie die andern alle heißen mögen, zusammenstellen und mit
dem Stil Ludwigs des XV. und XVI. Und doch hat Watteau Ludwig XIV. nur
um sechs Jahre überlebt, ist ein halbes Jahrhundert vor Boucher gestorben, elf
Jahre vor der Geburt Fragonards.
Ich gehe weiter. Hätte man von Correggio so viel wie wir von Apelles haben
können, das heißt höchstens Kopien, meistens nur Umarbeitungen, Motive, Anre-
gungen, so müßte man notwendig diese insgesamt ins 18. Jahrhundert herabsetzen,
wo sein Einfluß sich viel stärker fühlen läßt als vorher, und man würde damit das
16. Jahrhundert einer seiner persönlichsten Erscheinungen berauben. Es kann sich
ein jeder leicht selber diese Beispiele vermehren, der je auf den Entwicklungsgang
der Kunst geachtet hat.
Man führt heuer die Anregungen des Besten, was wir aus pompejanischer Zeit
kennen, zu gern auf hellenistische Zeit zurück. Ich werde mich dagegen nicht auf
die Fliniusstelle berufen, die erklärt, daß die Kunst von der CXXI. bis zur CL\I.
Olympiade (296—156) stillestand (cessavit) 68), nicht so sehr, weil er von der Kunst
des Bronzegusses spricht, als weil sich wohl darin das Urteil eines Künstlers oder Kunst-
freundes ausspricht, der, von dem frischen Eifer seiner Umgebung geblendet, den
Entwicklungsgang seiner unmittelbaren Vorgänger verkennt. Es scheint mir aber
klar aus allem, was wir aus hellenistischer Zeit besitzen, mit Ausnahme der Porträts
und der naturalistischen Richtung, daß die jugendfrohe Schaffenszeit, wo es sich
um Ideales handelt, vorbei war und man der Hauptsache nach den Anregungen der
großen Vorgänger gefolgt ist, sie ausgenutzt und verwertet hat und wo das Eigene
und Neue dabei einen bescheidenen Platz einnimmt.
Es versteht sich, daß diesen Weg nicht betreten kann, wer nicht zu irren den Mut
hat. Wo keine Überlieferung da ist, wie bei dem Triumphzug des Bacchuskindes,
Dionysos mit dem Tropaion, der Omphale, kann ein späterer Nachfolger des Apelles
so gut der Urheber sein wie der Meister selber.

68) N. Η. XXXIV 52.
 
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