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Preußische Kunstsammlungen [Mitarb.]
Jahrbuch der Königlich-Preuszischen Kunstsammlungen — 1.1880

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Lippmann, Friedrich: Ein Holzschnitt von Marcantonio Raimondi
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EIN HOLZSCHNITT VON MARCANTONIO RAIMONDI

der Bibliothek Huth ist an einigen Stellen schwach gekommen, die Platte war, wie
man heutzutage sagen würde, schlecht vorgerichtet. In unserer Nachbildung haben
wir die Wirkung eines guten Abdruckes der Originalplatte zu geben getrachtet.
Hier wie in ähnlichen Fällen scheint sich wieder die Frage aufwerfen zu wollen,
wie sich der erfindende Meister zur Ausführung des Schnittes verhalten hat, und ob
Raimondi etwa selbst unser Blatt in Holz geschnitten habe? Man könnte sagen, wäre
Marcanton mit dem Holzschneiden vertraut gewesen, so würde er seine Copien
nach den Dürer'schen Holzschnitten kaum auf der Kupferplatte ausgeführt haben, und
später, als sein Ruf als Stecher gestiegen war, hatte er kaum einen Grund, die Technik
des Holzschneidens nachträglich zu betreiben. Für den Versuch eines Ungeübten
wird man aber den „hl. Thomas' 'nicht halten können, Vorzeichnung und Schnitt sind
daran von gleich wohlgeschulter Hand.
An solchen, die einen derartigen Ausschnitt machen konnten, hat es in Venedig
nicht gefehlt, sogar weit früher nicht als i5i2, dem Druckdatum der „Epistole", und
in der That dürfte auch die Holzplatte wesentlich älter sein. Um i5i2 stand Marc-
anton schon auf der Höhe seiner Künstlerschaft, und hatte die Imitation deutscher
Weise, wenigstens was die Formengebung anlangt, im Wesentlichen abgestreift.
i5io sind die „Kletterer" nach Michelangelo datiert, und i5i3 soll er schon bei Raphael
in Rom gearbeitet haben. Jedenfalls wird man die Entstehung des „hl. Thomas" in
die Zeit bald nach i5oo und nach Venedig zu setzen haben. Hiermit stimmt auch
die Physiognomie des Holzschnittes selbst.
Die venezianische Xylographie des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts
steht unter dem Einflüsse verschiedenartiger Kunstströmungen und trägt keineswegs
einen einheitlichen Typus. Dennoch unterscheidet sie sich meistentheils ganz un-
zweifelbar von andren italienischen Werken dieser Gattung. Der einfache Contur-
schnitt, der anfänglich in Venedig geübt wurde, lehnt sich in seinem Stile mehr an die
Veroneser und Paduaner als an die venezianische Schule an, und scheint nach Venedig
ursprünglich von Veroneser Xylographen gebracht worden zu sein, jedenfalls von
solchen, die nicht unter der venezianischen Kunstrichtung gebildet waren. In den
Illustrationen zur Hypnerotomachie erreicht diese einfach conturierende Behandlungsart
ihren künstlerischen Höhepunkt. Bald nach i 5oo wird sie aber verlassen oder wenigstens
nur noch handwerklich fortgeübt, und schon in der dem Jacopo de' Barbari zuge-
schriebenen grossen Ansicht von Venedig vom Jahre i5oo tritt eine neue Richtung
hervor. Eine freie breite, und malerische Behandlung kommt in Aufnahme, entsprechend
dem in der venezianischen Malerei mafsgebend werdenden coloristischen Element. Als
der vornehmlichste Repräsentant dieser neuen Weise und der eigentliche Reformator des
venezianischen Holzschnittes ist Ugo da Carpi anzusehen. Das Bild von seiner Künstler-
schaft erscheint freilich bis zur Unentwirrbarkeit verdunkelt, wenn wir es aus dem zu-
sammensetzen wollen, was ihm Bartsch im XII. Bande seines Peintre Graveur zuschreibt.
Hier sind ächte Arbeiten vermischt mit solchen, die erst Jahrzehnte nach ihm entstanden
sein mögen, und wir können die richtigen Anhaltpunkte zu seiner Beurtheilung vorerst
nur aus der verhältnissmässig geringen Zahl seiner bezeichneten Werke gewinnen.
Hiernach stellt er sich uns als ein Künstler dar, der unzweifelhafte und bedeutende
Originalität besessen hat. Er erfindet eine neue grossartige Behandlungsweise des
Holzschnittes, indem er ihn wie in einer breit und klar ausgeführten Federzeichnung
auffasst. Von den deutschen und den Holzschnitten Dürer's unterscheiden sich seine
 
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