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Preußische Kunstsammlungen [Contr.]
Jahrbuch der Königlich-Preuszischen Kunstsammlungen — 1.1880

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Lippmann, Friedrich: Ein Holzschnitt von Marcantonio Raimondi
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https://doi.org/10.11588/diglit.75035#0385

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VON FRIEDRICH LIPPMANN.

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Striche, dass er sie weniger streng in freiem wie zufälligem Zuge führt, und vor-
wiegend auf einen malerischen Gesammteffect hinarbeitet. In Venedig reproduziert
er Compositionen in der Art des Tizian und Giorgione, die zum Theil vielleicht seine
eigenen Erfindungen sind*).
Gleichzeitig mit Ugo da Carpi arbeiteten Venedig ungemein produktive Xylo-
graphen-Werkstätten, die aber vorwiegend gemeine Bilderwaare und fabrikmässige
Buchillustrationen fertigen. In dem Schnitte ahmen sie bald die deutschen Weise
nach, bald trachten sie einen den Kupferstichen ähnlichen Effect auf der Holzplatte
zu erzielen. Composition und Formengebung ist bei ihnen meistens ein Gemisch des
venezianischen Quattrocento mit anderen oberitalienischen Elementen und dies bis
weit in das XVI. Jahrhundert hinein. Auch die ältere mantegneske Zeichnungsart
mit schrägen parellen Strichen ohne Kreuzlagen wird von ihnen lange beibehalten.
So die besonders fruchtbare Werkstätte des Giovanni Andrea Vavassore, dessen
xylographische Bilderbibel von ι5ιο „Opera Nova Contemplativa" recht eigentlich eine
Musterkarte dieser eben beschriebenen Gattung ist. Die kunstgeschichtlich so durch-
aus ungesichteten Verhältnisse des italienischen Holzschnittes, bei dem eine Menge
rein handwerklicher Produkte sich neben das stellt, was mit künstlerischer Intention
ausgeführt ist, erschwert unsere Uebersicht, wie dies in gleicher Weise kaum in einem
andern historischen Kunstgebiet der Fall ist. Wollen wir aber einem Werke wie dem
hl. Thomas des Marcanton seinen zugehörigen Platz anweisen, so wird sich schon
aus dem Gesagten leicht einsehen lassen, wohin wir es zu stellen haben.
Der „hl. Thomas" hat nichts gemein mit der conturierenden Holzschneidetechnik
des XV. Jahrhunderts, ebensowenig mit der schwankenden Manier der Xylographen-

*) Ein grosser, aus vier zusammen 112 Ctm. hohen und 80 Ctm. breiten Stücken be-
stehender Holzschnitt, der das Opfer Abrahams darstellt, und bald dem Domenico dalle
Greche, bald dem Nicolaus Boldrini zugeschrieben wurde (Passav. P. G. VI. p. 223. 3) erweist
sich durch ein Exemplar, welches das Kupferstichkabinet davon besitzt (erworben 1877 aus
der Sammlung Didot) als ein Werle des Ugo da Carpi. Links unten erblickt man Abraham
und Isaak mit einem Esel, der das Holz trägt, umgeben von einer Gruppe von Männern,
rechts oben auf einer Anhöhe, Isaak auf dem Scheiterhaufen, daneben Abraham, der eben
das Messer hebt, während der Engel dazwischen kommt. Den Hintergrund bildet eine bergige
Landschaft, links nach oben werden Bauwerke sichtbar. In einer Tablette in der Mitte
oben in halbgothischer Type: „In Venetia per Ugo da Carpi. Stampata per Bernardino Benale.
Cum privilegio per lo illustrissimo Senato. Sul capo de San Stephano." Da Ugo da Carpi
i5i6 ein seine Arbeiten gegen Nachdruck schützendes Privilegium vom Senat Venedigs
erhält, auf das hier offenbar Bezug genommen ist, so ist diese Ausgabe des Blattes jedenfalls
nach i5i6 zu setzen. In einer wie die Abnützungen der Platte erkennen lassen, späteren
Abdrucksgattung lautet die Inschrift in der Tablette in Antiqua Versalien: „Sacrificio Del
Patriarcha Abraham". Hiervon besitzt das Kupferstich-Kabinet ebenfalls ein Exemplar. Wahr-
scheinlich noch später sind die Abzüge mit der Inschrift: „Sacrificio del Patriarcha Abramo
del Celebre Tiziano", die Passavant (a. a. O.) kennt.
Das Blatt ist — ganz wie eine grosse tizianeske Federzeichnung — von meisterhafter
technischer Behandlung, ein Hauptwerk Ugo's. Die Composition dürfte, trotz des „del celebre
Tiziano" in den späten Abdrücken, doch von Ugo da Carpi selbst herrühren. Gegen die
Autorschaft Tizians spricht der Typus der Figuren, sowie die allzugehäufte Disposition der
Landschaft, und übrigens auch der Umstand, dass auf der oben beschriebenen ältesten Ab-
drucksgattung der Name Tizians nicht vorkommt. Ugo da Carpi pflegte aber bei den Blättern,
die er nach anderen Künstlern ausführte, fast überall neben seiner Signatur auch den Namen
des Urhebers der Composition anzubringen.

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