DIE SARKOPHAGE DER SACRISTEI VON SAN LORENZO.
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Wände der Sacristei unbefangen an. Die schwerlastende obere Architectur verläuft
abwärts in den zufällig übereinander gestellten Untersatz der Sarkophage, der kaum
die Stärke zu haben scheint, diese selbst mit den Figuren darauf zu tragen. Unnöthig
hoch, schmal und, wie gesagt, dürftig erscheint diese Zusammenstellung, während das
Monument Pauls III. in grossartiger Einfachheit auf dem Boden aufsteht.
Nehmen wir an, Michelangelo's verlorenes Holzmodell der Sculpturen habe der
Idee nach dem Grabmale Pauls III. etwa entsprochen, so löste sich nun auch die
Frage, wie zwei cassoni an jeder Wand angebracht werden konnten. Denn sobald
wir Tag und Nacht nebeneinander auf zwei getrennte Unterlagen bringen, wie das
Monument Pauls III. sie für Giulia Farnese und ihre Mutter bietet, so kann jede Figur
als Bedeckung eines besonderen Grabes, cassone, fungieren, nur dass die äussere Gestalt
der Sarkophage, vom Deckel abwärts, anders aufzufassen wäre. Der heute frei und
für sich dastehende Sarkophag verschwände, um von einem ganz anders geformten
architectonischen Gliede ersetzt zu werden. Die Gräber, auf denen die Figuren nun
stehen, wären, äusserlich gar nicht ausgezeichnet, in die gemeinsame mächtige Marmor-
stufe, wenn wir sie für die Sacristei als Abschluss der gesammten Wandarchitectur
nach unten hin annehmen wollen, hineingearbeitet wie in einen Felsen etwa. Michel-
angelo, sahen wir, spricht nie von Sarkophagen: er sagt cassone, das zwar mit Sar-
kophag übersetzt werden kann, im Allgemeinen aber mehr das Behältniss einer Leiche,
die Höhlung, in der sie ruht, bezeichnet, während sarcofago im engeren Sinne die
äussere künstlerische Form zugleich angedeutet haben würde. Ich nehme nun nicht
an, dass Michelangelo bei den Gräbern von San Lorenzo die Sarkophage unter den
Figuren völlig in den Stein habe verlaufen lassen wollen, wie das bei dem Monumente
Pauls III. scheinbar der Fall ist und sie, der Einfachheit wegen, meine Zeichnung fest-
hält; ich glaube vielmehr, da es sich nicht, wie bei den beiden Farnesischen Damen,
um nur scheinbare Sarkophage, sondern um wirkliche Leichenbehälter handelte,
Michelangelo habe die Sarkophage der Sacristei zwar der Masse nach zusammenhän-
gend gedacht, sie zugleich aber durch eine gewisse äussere Formgebung von einander
trennen wollen; so dass, auch ohne dass die Figuren bereits auf den Deckeln lagen,
die Sarkophage als solche erkenntlich gewesen wären. In einem der so gearbeiteten
Sarkophage wäre dann der Leichnam des ermordeten Herzogs Alexander deponiert
worden. Und wenn es bunter Marmor war, erklärte dies (ich wiederhole eine bereits
gemachte Bemerkung), warum Doni, im Jahre 1547 etwa, den einen Fremden in der
Sacristei fragen lässt, wer denn in diesem ,sarcofago macchiato' bestattet liege.
Darüber jedoch, wie um 1547 die Einrichtung der Capelle gewesen, will ich
eine definitive Vermuthung nicht wagen. Ebensowenig wie über alle Nebenumstände,
welche die Aufstellung der heutigen Sarkophage begleiteten. Nur das Eine habe ich
zu beweisen versucht, dass die heutigen Sarkophage weder von Michelangelo gearbeitet,
noch auch nur angegeben worden sein konnten. Eine Entscheidung kann hier jedoch
leicht gefunden werden. Ein Skizzenblatt, das die Sacristei unfertig darstellt (wie wir
deren von der Peterskirche und anderen Monumenten so vielfach haben) oder Rech-
nungen, deren Sinn uns vielleicht erst verständlich würde, können plötzlich alles klar
machen.
Ich mache endlich noch auf einen seltsamen Umstand aufmerksam.
Es wurde im Obigen vorzugsweise auf die Nacht und den Tag Bezug genom-
men: es scheint sich wie von selbst zu verstehen, dass Aurora und Crepuscolo sich
genau wie diese beiden verhielten. Allein dem ist nicht so. Diese Gestalten, die ober-
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Wände der Sacristei unbefangen an. Die schwerlastende obere Architectur verläuft
abwärts in den zufällig übereinander gestellten Untersatz der Sarkophage, der kaum
die Stärke zu haben scheint, diese selbst mit den Figuren darauf zu tragen. Unnöthig
hoch, schmal und, wie gesagt, dürftig erscheint diese Zusammenstellung, während das
Monument Pauls III. in grossartiger Einfachheit auf dem Boden aufsteht.
Nehmen wir an, Michelangelo's verlorenes Holzmodell der Sculpturen habe der
Idee nach dem Grabmale Pauls III. etwa entsprochen, so löste sich nun auch die
Frage, wie zwei cassoni an jeder Wand angebracht werden konnten. Denn sobald
wir Tag und Nacht nebeneinander auf zwei getrennte Unterlagen bringen, wie das
Monument Pauls III. sie für Giulia Farnese und ihre Mutter bietet, so kann jede Figur
als Bedeckung eines besonderen Grabes, cassone, fungieren, nur dass die äussere Gestalt
der Sarkophage, vom Deckel abwärts, anders aufzufassen wäre. Der heute frei und
für sich dastehende Sarkophag verschwände, um von einem ganz anders geformten
architectonischen Gliede ersetzt zu werden. Die Gräber, auf denen die Figuren nun
stehen, wären, äusserlich gar nicht ausgezeichnet, in die gemeinsame mächtige Marmor-
stufe, wenn wir sie für die Sacristei als Abschluss der gesammten Wandarchitectur
nach unten hin annehmen wollen, hineingearbeitet wie in einen Felsen etwa. Michel-
angelo, sahen wir, spricht nie von Sarkophagen: er sagt cassone, das zwar mit Sar-
kophag übersetzt werden kann, im Allgemeinen aber mehr das Behältniss einer Leiche,
die Höhlung, in der sie ruht, bezeichnet, während sarcofago im engeren Sinne die
äussere künstlerische Form zugleich angedeutet haben würde. Ich nehme nun nicht
an, dass Michelangelo bei den Gräbern von San Lorenzo die Sarkophage unter den
Figuren völlig in den Stein habe verlaufen lassen wollen, wie das bei dem Monumente
Pauls III. scheinbar der Fall ist und sie, der Einfachheit wegen, meine Zeichnung fest-
hält; ich glaube vielmehr, da es sich nicht, wie bei den beiden Farnesischen Damen,
um nur scheinbare Sarkophage, sondern um wirkliche Leichenbehälter handelte,
Michelangelo habe die Sarkophage der Sacristei zwar der Masse nach zusammenhän-
gend gedacht, sie zugleich aber durch eine gewisse äussere Formgebung von einander
trennen wollen; so dass, auch ohne dass die Figuren bereits auf den Deckeln lagen,
die Sarkophage als solche erkenntlich gewesen wären. In einem der so gearbeiteten
Sarkophage wäre dann der Leichnam des ermordeten Herzogs Alexander deponiert
worden. Und wenn es bunter Marmor war, erklärte dies (ich wiederhole eine bereits
gemachte Bemerkung), warum Doni, im Jahre 1547 etwa, den einen Fremden in der
Sacristei fragen lässt, wer denn in diesem ,sarcofago macchiato' bestattet liege.
Darüber jedoch, wie um 1547 die Einrichtung der Capelle gewesen, will ich
eine definitive Vermuthung nicht wagen. Ebensowenig wie über alle Nebenumstände,
welche die Aufstellung der heutigen Sarkophage begleiteten. Nur das Eine habe ich
zu beweisen versucht, dass die heutigen Sarkophage weder von Michelangelo gearbeitet,
noch auch nur angegeben worden sein konnten. Eine Entscheidung kann hier jedoch
leicht gefunden werden. Ein Skizzenblatt, das die Sacristei unfertig darstellt (wie wir
deren von der Peterskirche und anderen Monumenten so vielfach haben) oder Rech-
nungen, deren Sinn uns vielleicht erst verständlich würde, können plötzlich alles klar
machen.
Ich mache endlich noch auf einen seltsamen Umstand aufmerksam.
Es wurde im Obigen vorzugsweise auf die Nacht und den Tag Bezug genom-
men: es scheint sich wie von selbst zu verstehen, dass Aurora und Crepuscolo sich
genau wie diese beiden verhielten. Allein dem ist nicht so. Diese Gestalten, die ober-
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