Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0173
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4.2. Gegenstand der lebenden Bilder

4.2.1. Auswahlkriterien für die Bildvorlage

Die Eignung eines Kunstwerks zur Übersetzung in ein lebendes Bild hing selbstverständlich
nicht nur von technischen Faktoren ab. Bekanntheitsgrad und damit eng verbunden Zugangs-
möglichkeiten zu den Bildern sind unabdingbare Voraussetzungen, die es zu untersuchen gilt.
Es lassen sich grundsätzlich drei verschiedene Arten der direkten Bildvorlage unterscheiden:
das Gemälde im Original, als Kopie oder in einer graphischen Reproduktion.148 Daneben
besteht die Möglichkeit, ein Bild aus der Erinnerung nachzuahmen.

Die Bekanntheit eines Werkes war nicht nur für das korrekte Stellen der lebenden Bilder
unerlässlich, sondern auch für den Genuß und den Überraschungseffekt beim Rezipienten,
sollte es als nachgeahmtes Werk der bildenden Kunst wiedererkannt werden. Gerade bei den
eigenständigen lebenden Bildern in privaten Zirkeln - also innerhalb einer relativ homogenen
Rezipientengruppe - handelte es sich um ein amüsantes Spiel von Zitieren und Kommentie-
ren des Vorbildes, das Wissen verlangte. Das Wiedererkennen eines Bildes sprach für die
Betrachter: Ihnen war der Zugang zu einer »höheren« Bildung möglich, die auch das Studium
von Kunst einschloß. Die Verlebendigungen mußten - schon aufgrund ihrer kurzen Lebens-
dauer-schnell aufzuschlüsseln sein, also aus dem jeweiligen sozialen und kulturellen Erfah-
rungshorizont der Betrachter stammen. Ein ganz bestimmter Bilderkanon kann zu jener Zeit
als bekannt vorausgesetzt werden, der den Wiedererkennungseffekt bei der entsprechenden
Schicht des Adels, beziehungsweise des Bildungsbürgertums garantierte, die - selbst wenn
sie das jeweilige Kunstwerk tatsächlich nicht kannten - entsprechendes Wissen in Archäolo-
gie, Geschichte, Kunstgeschichte, Religion und Literatur mitbrachten.149

Wesentliche Voraussetzung, damit Kunstwerke zu einer gewissen Berühmtheit gelangen
konnten, waren das Museums-, Ausstellungs- und Reproduktionswesen. Während der zwei-
ten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte sich zunächst in Paris, später auch im deutschsprachigen
Raum, die Ausstellungsform kontemporärer Kunst durch die Salons etabliert, wo die Werke
öffentlich zugänglich waren und teils heftig diskutiert wurden. Die ersten Ausstellungen wa-
ren weder rein künstlerisch noch historisch motiviert.150 Mai spricht von einer »kultischen
und verkaufsbestimmten« Ausrichtung. Lehrausstellung und Leistungsschau waren die trei-
benden Motive.151 Zunächst noch ohne thematische Ordnung gehängt, etablierte sich erst im

148 Der Begriff »Reproduktion« - als die technisch wiederholte Nachahmung eines Bildwerkes - stammt
erst aus der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Vorher sprach man von Nachahmen, Kopieren,
Abdrucken, Wiedergeben oder Faksimilieren, vgl. Mayer 1984, S.263.

149 Vgl. Reissberger 1982. S.748. Vgl. Wagner 1993. S.94-96.

150 Die erste Pariser Ausstellung fand 1667 statt. Ab 1737 wurden die Ausstellungen durch kritische
Berichterstattungen begleitet. Sie waren für jeden Kunstinteressierten zugänglich und außerordentlich
beliebt. Im deutschsprachigen Raum richtete man u.a. in Wien seit 1751, in Dresden und Leipzig
seit 1764, in Kassel seit 1778 und in Berlin seit 1786 regelmäßige Akademieausstellungen ein. Vgl.
Lammel 1993, S.24. Vgl. zur Geschichte des Ausstellungswesens, Mai 1986, v.a. S. 11-23, der den
ersten Salon für 1725 erwähnt. Bätschmann nennt in seiner grundlegenden Publikation zum »Aus-
stellungskünstler« das Jahr 1737, vgl. Bätschmann 1997, S.13. Vgl. die grundsätzliche Abhandlung
von Koch 1967: S. 124-183 zu den Pariser Ausstellungen des 17. und 18. Jahrhunderts, S.184-250
zur Ausbreitung des akademischen Ausstellungswesens während des 18. Jahrhunderts in Europa.
Vgl. Pochat 1986, S.392-395.

151 Siehe Mai 1986, S. 12-14.

173
 
Annotationen