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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0217
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5. Das Wesen der lebenden Bilder -
Ein Deutungsversuch

Die Analyse ergab, daß man zwar auf die prinzipiellen Züge der lebenden Bilder - sowohl in
formal-struktureller als auch in inhaltlich-thematischer Hinsicht verweisen kann, eine gene-
relle Typologie oder schematische Ordnung bezüglich der Vorbilder jedoch nur ansatzweise
sichtbar wird. Auch lokale Präferenzen konnten nicht herausgelesen werden. Hierzu müßten
weitaus mehr Quellen zur Verfügung stehen, die eventuell eine größere Homogenität ermög-
lichten. Man kann also der Bedeutung der jeweiligen lebenden Bilder nur durch das
Exemplifizieren von Fall zu Fall in angemessener Weise gerecht werden. Durch die Unter-
suchung der Bildprogramme verschiedener Ereignisse in Hinblick auf ihre Zusammenstellung
soll der Frage nachgegangen werden, ob die Veranstalter mit der Auswahl und Kombination
bestimmter Bilder zielgerichtet Inhalte vermitteln wollten. Anhand des Tableaux-Programms
der »Wahlverwandtschaften« läßt sich exemplarisch zeigen, wie personale Beziehungen auf
die Bildselektion wirksam sein konnten. Hier stellte Brude-Firnau zwischen den Bildern und
realen Personen Bezüge her, die in den Quellen stets unausgesprochen bleiben und sich nur
durch die umfassende Analyse des historischen wie soziokulturellen Umfeldes ermitteln las-
sen. Auch bietet sich der Blick auf die zeitgenössische Literatur an, die lebende Bilder in
ihren epischen Handlungsfluß einbanden, so in Goethes »Wahlverwandtschaften« (1809),
E.T.A. Hoffmanns »Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza« (1814)
und Johanna Schopenhauers »Gabriele« (1819). Die Verwendung der lebenden Bilder als
Charakterisierung bestimmter Personen sowie die Diskussion der Handlungsträger über die-
ses Unterhaltungs- und Bildungsspiel enthalten aufschlußreiche Hinweise zur Bewertung des
Phänomens aus der distanzierten Warte der reflektierenden Schriftsteller heraus. Die Kritiken
innerhalb der Quellen - sowohl durch Teilnehmer als auch durch Rezipienten -, die sich mit
dem Sinn dieser Kunst- und Unterhaltungsform auseinandersetzten, ergänzen die historische
Beurteilung. Vor allem Überlegungen zur Bedeutung der Tableaux in Bezug auf Täuschung
oder Ideal, sowie auf die originale Vorlage sind dabei von Interesse. Ein Seitenblick auf die
frei komponierten lebenden Bildern soll der Frage nach der arrangierenden und komponie-
renden Aufgabe nachgehen und damit gleichzeitig untersuchen, ob für diese spezielle Art der
Kunstrezeption das bewußte Gefallen bestimmend war. In diesem Zusammenhang interessie-
ren auch Parallelphänomene, über die man sich ebenfalls mit der Frage nach der Verknüpfung
von Kunst und Leben beschäftigte - wie Fackelbeleuchtungen von Statuen, Panoramen oder
vor allem Wachsfiguren-Bilder -, um den Aspekt des »Effekts« und des »visuellen Erleb-
nisses« zu beleuchten.

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