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1896

JUGEND

Nr. 1 und 2

Stahlrad, Pferd oder Boot, ein Mädchen, j
dem jene Damen vielleicht auch einmal
ein shocking! nachrufen, denen nicht mehr
Alles rein ist! Jugend, Jugend! Und auf
der andern Seite wieder die Blüthen ohne
Duft und Farbe, zu Kochthieren und Dienst-
botenschrecken geboren, von Pensionats-
vorsteherinnen hochgeschätzt, von Pri-
manern nie angehimmelt, eckig bis in die
Seele hinein, und im Uebrigen alles Schöne
und Gute — nur nicht jung! — — —

*

Schöner als jede andere fast ist die
Jugend in der Zeit der ersten Reife! Stolz
und Freude am Schaffen hegen, das Wonne-
gefühl bewusster Kraft gemessen, das herr-
liche Empfinden, zum ersten Male einen
Platz auszufüllen in derWelt! Und die erste,
wirkliche Liebe im Herzen nähren nach den
Eseleien der Tanzstunde! Fähig werden
zu ringen und zu wagen mit Todesmuth
um eines holdseligen Weibes Besitz! Ju-
gend im Mannesalter, wie gut, wie schön!

fr

Aber der Andere, der Streber und Krä-
mer! In Liebe und Hass, Arbeit und Müsse
immer Streber und Krämer! Aus Angst
vor einem Schnupfen entsagt er dem Ge-
nuss, von einem Berggipfel aus die Sonne
blitzend aufschweben zu sehen aus dem
Dunst des Morgens! Aus Angst, sich seine
Carriere zu verderben, wagt er es nicht,
den Arm um einen bebenden Frauenleib
zu schlingen! Aus Respekt vor seinen Vor-
gesetzten würgt er seine politische Ueber-
zeugung hinunter! Aus Angst, sich die
Augen zu verderben, schaut er nicht in die
Sonne, aus Angst um seine Stiefel steigt
er nicht in’s thauige Gras und wenn die
schönsten Blumen ihm daraus entgegen-
lachten! Auch Einer!

Oder der Lebegreis! Herz, Phantasie
und Kopf kahl wie ein Ei! Der Jammer-
mann, das Rückbildungsprodukt zum Affen,
der Idiot, dessen Ehrgefühl in der Correkt-
heit seiner Hosenfalten aufgeht, der Bettler,
der Alles genossen hat und Nichts, der die
Lebensfreuden in sich hineinschlang wie

ein Verhungernder und dem nichts mehr
schmeckt, weil sein Magen unrettbar über-
fressen ist! Der Narr seines Ich, der Sklave
seines Schneiders, der Hanswurst seiner
Mitmenschen und der Abklatsch seiner Mit-
esel! Der arme, arme Mensch, dessen Da-
sein mit dem Bewusstsein schon ausgefüllt
ist, dass er etlichen Pflastertretern heillos
elegant vorkommt! Jugend — sprecht nur
dies schöne Wort nicht aus in einem Athem
mit dem Namen dieses Gezüchts.

*

Was für ein Herrliches ist es um die
Jugendlichkeit des eben erblühten Weibes.
Auch sie lernt nun die erste, wahre Liebe
kennen. Aber nicht das Bedürfniss, sich
zu versorgen, sondern das Bedürfniss, sich
hinzugeben, lenkt ihr das Herz. Mutter-
schaft! Mutterglück! Dreidoppelte Jugend:
eine junge Mutter! Immer voller erfüllt
sie ihren Beruf, Sonnenschein zu bringen,
Den jung zu erhalten, dem sie zu eigen
ist, einen Schimmer von Jugendlichkeit auf
Alles zu werfen, was um sie lebt. Sie ist
Alles in Einem in ihrer sieghaften Jugend:
Ansporn zum Kampfe und Siegerlohn. Um
sie, für sie ringt der Mann, sie macht ihn
treu und beharrlich! Sie schafft ihm ge-
steigerte Pflichten und gesteigerte Kraft
dazu!

Aber auch das rosige Bild hat sein
Widerspiel: Junge Weiber ohne Jugend!
Blaustrümpfe, Kehrbesenmegären, Männer-
jägerinnen, berechnende Koketten, eitle
Närrinnen, die den Zauber ihrer Jugend
verlieren in dem krankhaften Bestreben,
nur ja nicht älter zu werden!

$

Die rechte Jugendlichkeit muss immer
unbewusst sein. Wenn Einer sagt: »heut'
bin ich aber einmal vergnügt!« kommt ihm
das Lachen gewiss nicht von Herzen. Wenn
aber Einer einmal lachen kann und weiss
nicht genau warum — der ist sicher froh
und fühlt sich jung. Gefühl ist Alles, auch
hier. So ganz mit Worten umzirken lässt
sich der Begriff nicht! Jung fühlen muss
man sich, nicht jung sein wollen.

Und so fort bis in’s Alter, durch die
Jahre reifer, sicherer Mannheit durch, die
Erntejahre des Lebens, in denen man auf
Errungenes behaglich niederzusehen an-
fängt und seine Wünsche mehr auf’s Er-
halten richtet, denn auf’s Erwerben!

Die jungen Alten! Alte Gesichter und
junge Herzen! So widerlich und bemit-
leidenswerth ein alter Geck ist, der sich
ein paar Jahrzehnte vom Gesicht weg-
schminkt und die für seine verspäteten
Dummejungenstreiche nöthigejugend beim
Apotheker kauft, so herrlich ist ein Alter,
dem die Seele frisch geblieben ist und mild,
das Auge klar auch für ein Leben, das er
nicht in allen Theilen mehr ganz versteht.
Ein Loher des Vergangenen mag er wohl
sein, aber kein Hasser des Neuen. Ein
Schatz an Liebe ist aufgespeichert in seinem
Herzen, der sich mehrt, je reichlicher er da-
von gibt! Mit doppeltem Genuss schaut er
das Schöne um sich her; ist’s doch nicht
mehr für lange Zeit! Ihm ist die Freude
ein köstlicherTrunk, dem kein Rausch mehr
folgt, der die Blicke nur heller macht und
den Herzschlag ruhiger. Kein Menschen-
alter kann vielleicht so viel Jugend in sich
aufsammeln, als das mit den weissen Haa-
ren. Ihm kommt sie von aussen und von
innen. Ihm quillt sie als Erinnerung im
Herzen und macht ihm die Seele weit und
froh, ihm drängt sie sich jauchzend um die
Knie und stammelt: „Ich hab’ Dich lieb!“
Junges Alter! RosigerSonnenschein über’m
Eis, Weihnachtsrosen unter’m Schnee!

Jugend im Silberhaar, Jugend in gol-
denen Locken! Jugend, das Köstlichste aus
jeder Lebenszeit, vom ersten Kinderlachen
bis zum letzten Trunk, den der Greis aus
dem Becher des Lebens thut!

Jugend, Jugend!

Ein besseres Bannwort hätten wir für
unser Wagniss nicht finden können! Da-
rum sehen wir dem Werdenden mit froher
Hoffnung entgegen.

Ganz schlecht kann es nicht ausfallen,
unser Zeichen ist viel zu gut!


S
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A. Marcks: Kopfleiste Porträtzeichnungen
 
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