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Nr. 1 und 2

JUGEND

1896

Wie die Tugend einzog in
Schwarzenau.

— und eines Tages wurde in Schwar-
zenau die Sifisamkeit wieder Mode!

Es war da nämlich eine alternde Hof- I
darne, die früher eine junge Hofdame ge-
wesen war, und zwar länger und intensiver,
als sie das hätte sein sollen.

Die Hofdame Frl. Adelaide von der Zipf
ging täglich zweimal über den Schwarzen-
auer Marktplatz; einmal in die Kirche, wo
ein beliebter junger Prediger den Teufel
mit unbeschreiblicher Porträttreue an die
Wand malte, und einmal in das Magdalenen-
stift, dessen dame patronesse sie war. Hier
wurden lasterhafte Mägdelein in reumüthige
Magdalenen verwandelt unter Anwendung
von vielen vielen Erbauungsstunden und
allen anderen Mitteln geistlicher Heilgym-
nastik bis auf eins: die Menschenliebe.
Dazu gab es viele Arbeit und etwas Brenn-
suppe. Die Damen der Hofgesellschaft
Hessen alle feinen Handarbeiten dort aus-
führen - im Magdalenenstift machte man
ihnen das Alles staunenswerth billig!

' '• Denn Adelaide verfolgte das Gedeihen
ihrer Schützlinge mit tiefer Theilnahme.
Einem alten lahmen Seemann thuts wohl,
wenn er vom Ufer aus hin und wieder ein
Segel sieht.

' Zweimal im Tage also ging die Hof-
dame über den Markt. In dessen Mitte war
ein Brunnen aufgestellt mit einer Bronze-
gruppe; er stand dort schon drei hundert
Jahre lang. Damals hatten sie die Gruppe
aus der Erde gegraben, ein Bildwerk aus
römischer Zeit. Es stellt ein Knäblein dar
auf einem Delphin, das Wasser aus einer
Muschel goss und nackt war; nur einen
Schilfkranz trug es im Haar. In Römer-
zeiten hatte es wohl schon ungefähr auf
dem gleichen Platze glitzerndes Wasser
in eine Brunnenschaale geschüttet, das
Knäblein.

Die Blicke vieler Geschlechter hatten
mit argloser Freude auf dem Ding geruht
und die Schwarzenauer Jungfrauen hatten

noch nie die Augen davor niedergeschlagen.
Denn es ging den Schwarzenauern mit der
Nacktheit des Knäbleins, wie es dem Adam
und seiner Frau bezüglich ihrer eigenen
Nacktheit gegangen hatte im Paradies —
vor der Geschichte mit dem Apfel und dem,
was d’rum und d’ran hing!

Eines Tages kam die Hofdame des We-
ges in ganz besonders ungnädiger Stimm-
ung. Vapeurs und Gauchemars hatten sie
zur Nacht heimgesucht und im unruhigen
Halbtraum waren ihr allerhand Bilder aus
vergangenen Zeiten erschienen, Bilder,
deren Scene weltabgeschiedene Lauben bil-
deten und lauschige, dämmerige Boudoirs,
deren Helden wechselten wie die Wolken
am Himmel; bald trugen sie Puderper-
rücken und gestickte Fräcke,bald pralle Uni-
formen und Dragonerschnauzbärte. Auch
ein schöner Jahrmarktsherkules war dabei.
Dann liefen auch schmerzliche Gedanken
dazwischen. Da war eine Nichte des Hof-
fräuleins, die auch Adelaide hiess und ihrer
Tante ähnlich war „wie aus dem Gesichte
geschnitten“. So ganz einsam wuchs sie
auf, fern in einem Kloster, das arme Ding!
Der Tante Adelaide that das Mädchen von
Herzen leid! — —

Und dann das Altwerden.

Die Zofe fand jeden Tag neue graue
Haare auf dem Kopfe des Fräuleins und
das Fräulein fand jeden Tag ein neues
Haar in der Suppe des Lebens, die ihr
jetzt, seit die pikanten Zuthaten von einst-
mals fehlten, oft recht schaal und dünn
vorkam.

Nach jener Nacht ging sie um ein halb
Stündlein früher zur Kirche als sonst.

Als das Fräulein über den Markt kam,
blieb sie, zum ersten Male in ihrem Leben,
vor dem alten Brunnen stehen, hob das
goldene Lorgnon, das ihr einst Prinz
Conradin im Irrgarten des Schlossparks
gelegentlich eines Schäferstündchens zu
Füssen gelegt, an’s Auge und sah sich
den nackten Fischreiter an. Lange und ein-
dringlich! Mit böserem Gesicht noch und
rascheren Schritten ging sie nach geraumer

Zeit der Kirche zu. Einem Gassenbuben,
der ihr dabei in die Quere kam, gab sie
einen Klaps und sagte etwas von unan-
ständigem Gesindel.

Nach ein paar Stunden kam die Dame
mit einem sehr hageren und sehr schwarzen
Männlein wieder und das schaute sich auch
das nackte Büblein an. Da wurde es gleich-
falls nach längerem Betrachten ganz wüthig.
Und später brachte das Männlein wieder An-
dere mit, den Schultheiss der Stadt, einige
Magister, Räthe und andere fürtreffliche
Stützen des Gemeinwesens. Mit hochrothen
Köpfen tuschelten sie und deuteten in tie-
fer Empörung nach dem alten Erzbild, aus
dessen Muschel das Wasser so rein und
silbern in dieBrunnenschaale niederrieselte,
wie damals vor anderthalb Jahrtausenden,
als es irgend ein feister römischer Prätor
hatte aufstellen lassen.

Wirklich und wahrhaftig! Der Bube war
splitterfaselnackt und schämte sich nicht
einmal! Geschlecht um Geschlecht hatte
so sein Anblick verdorben, ohne dass man
daran dachte. Die Schwarzenauer waren ein
sündhaftes Volk, das stimmte — was Wun-
der auch! Sie konnten bei dieser conti-
nuirlichen Brunnenvergiftung nicht anders
werden! Jetzt endlich sah man es ein —
wenn es nur nicht zu spät war! — —

Seit jenem Tage ward die Sittlichkeit
wieder Mode in Schwarzenau.

Zunächst wurde der Spängler gerufen
und der machte dem schamlosen Fischreiter
ein kupfernes Feigenblatt, so gross, dass es
für den Riesen Goliath auch gross genug
gewesen wäre. Dann setzten sie eine Com-
mission ein, die in der ganzen Stadt Alles
aufspüren sollte, was an ähnlichen Aerger-
nissen etwa noch vorhanden war, damit
man einschreiten könne, austilgend und
bessernd. Ehrenpräsidentin ward die Hof-
dame.

Sie suchten mit Feuereifer, suchten und
fanden, und bald ward an allen Ecken und
Enden der Stadt gekleistert und gemeisselt
und vernagelt, dass es eine Freude war für
jedes tugendhafte Gemüth.

Reiche Ausbeute lieferte zunächst der
Schlossgarten des fürstlichen Palais. Da
fand man Putten, Götter und Göttinnen
in hellen Haufen und das lustige Marmor-
gesindel war genau so sittenlos unmontirt
wie der Junge auf dem Delphin. Sie wurden
entsprechend verbessert, oder durch an-
ständigere Bilderwerke ersetzt, wie sich’s
thun Hess. Eine Flora, die hoch oben auf
dem Dache eines Pavillons schwebte, er-
hielt einen Rock aus Blech. Eine Abun-
dantia wurde, da ihre Stellung das Bekleiden
technisch unmöglich machte, mit der Feile
so weit abgeraspelt, dass ihr Torso jetzt
auch hätte einem Apollo angehören können.
Dem Pfau der J uno setzten sie ein neues Rad
ein, dessen Federn die Göttermutter bis zum
Halse zudeckten; ein Herkules erhielt einen
completen steinernen Schlafrock und als er
dann dem hellenischen Recken nicht mehr
ähnlich sah, setzten sie ihm noch ein paar
Hörner auf und nannten ihn Moses. Die
schöne Dame Leda mit dem verfänglichen
Schwan ward kunstreich in ein „Gänse-
mädchen“ travestirt. Sie trieben ihr Hand-
werk mit viel Abwechslung und Geschmack.

Dann ging es an die Bildergalerie. Dort
war’s nun ganz schlimm! Zwei Monate hatte
der Hofmaler allein mit dem Rubenssaal zu
thun, bis er ihn durch aufgemalte Drape-
rien, Guirlanden, Schmuck, Waffen und
kühn über’s Fleisch hereingebogene Zweige
nothdürftig hergerichtet hatte für die rein-

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Register
Felix Vallotton: Schlittschuhläufer
 
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