1896
JUGEND
Nr. 1 und 2
gewordenen Augen der Schwarzenauer.
Auch der Titian kostete harte Arbeit, aber
sie gelang; und seine ruhende Venus sah
denn auch bald aus wie eine in Binden ge-
wickelte Mumie. Einer herrlichen alten
Kölner Madonna, die das Jesuskind an die
Brust gelegt hatte, malte der Meister den
Spalt im Kleide schön blau wieder zu und
liess die heilige Frau ihr Kindlein mit der
Flasche stillen. So ging es weiter in jedem
Saal. Selbst das Viehzeug auf der Weide
erhielt die nöthigen Retouchen und ein
mächtiger Stier von Paul Potter war mit
einem Pinsel voll blauer Himmelsfarbe
schnell zum Ochsen degradirt. Und so
fort mit Grazie!
In der Skulpturengalerie war die Ar-
beit leicht. Man verhüllte alles Gefähr-
liche mit weissen Leintüchern. Als die
Commission zum Revidiren kam, hoben die
Herren hier und dort die meisten Falten
hoch und constatirten noch einmal, wie
nothwendig die Verhüllung gewesen. Sie
nahmen es genau mit ihrer Aufgabe.
Die öffentlichen Denkmäler in der Stadt
waren auch schnell aptirt für die wieder-
gewonnene Moral. Alle nackten Genien
bekamen so viel Palmzweige und Attri-
bute in die Hand, dass kein Stückchen
überflüssigen Fleisches sichtbar blieb.
Jetzt glaubte man, so ziemlich fertig
zu sein. Da kam ein Brieflein an die Com-
mission: sie sollten doch in den Kirchen
einmal gründlich nachsehen, dort sei aller-
hand zu finden, was die tapferen Forscher
angehe. Und — siehe da — es war so!
Da gaukelten um Kanzeln und Altäre,
um Friese und Gewölbzwickel nackte Engel
und Englein in hellen Schaaren, da standen
heilige Sebastiane von Pfeilen durchbohrt
und an allen Ecken und Enden andere
Märtyrer, die nicht viel mehr anhatten,
als ihren Heiligenschein, da nährten heilige
Mütter wie jene in der Gemäldegallerie
ihre Bambini mit der Nahrung, die der
liebe Gott den Neugeborenen bestimmt hat.
Im Dom stand ein Sankt Borromäus, der
war nackter als nackt, denn er hatte sogar
die Haut ausgezogen und trug sie wie einen
Plaid über dem Arme. Der musste nun
zweimal angezogen werden, zuerst in eine
Haut, dann in einen Mantel. In einer alten
Votivkirche fanden sie nach Hunderten
Täfelchen mit den entsetzlichsten Schil-
dereien; denn die Leute hatten sich dem
Patron der Kapelle in allen erdenklichen
Nöthen versprochen und selbige sauber ab-
malen lassen. Das wurde summarisch be-
handelt. Man schüttete die Täflein auf
einen Haufen und lustig prasselten die
Flammen aus dem ausgedörrten Holzwerk
und die Gassenbuben tanzten um den
Scheiterhaufen. Auch die vielen wächsernen
Glieder, die in der Kirche hingen, konnten
nicht so bleiben, denn die Arme hatten
keine Aermel und die Beine keine Hosen
an. Man schmolz sie ein und machte Altar-
kerzen daraus. Der Küster that sich auch
etliche Pfund auf die Seite für den Haus-
gebrauch.
Und Schwarzenau war, wenigstens nach
der Aussenseite hin, die keuscheste Stadt
von der Welt geworden. Bis herab zu den
Pfefferkuchenfiguren hatte der Bekleidungs-
drang gewüthet und der Lebzelter verzierte
seine berühmte Gruppe „Adam und Eva“
mit schöner Toilette aus Zuckerguss. In
keinem Bilderladen gab es mehr was Nack-
tes; es gab überhaupt keine Bilderhändler
mehr. Die sassen alle schon wegen Ge-
fährdung der öffentlichen Moral im Ge-
fängnisse.
Auch beim Baden wurde die weit-
gehendste Angezogenheit vorgeschrieben,
selbst für die Cabinen, nicht blos für’s
Schwimmbassin. Die gewissenhafte Com-
mission guckte durch alle Ritzen und
Schlüssellöcher und wehe dem, der in un-
sittlichem Costüm betroffen ward. Nach-
gerade kamen sich die Leute aber auch in
ihren Kleidern nackt vor und sahen sich
gegenseitig daraufhin an und construirten
sich mit ihren Blicken unter den Kleider-
falten der Andern deren Gliederbau.
Immer weiter kam man so in der Sitt-
lichkeit, immer neue Gebiete erschlossen
sich ihren Bestrebungen. Schliesslich durf-
ten auch die Fleischer ihre rosigen Hammel
und Kälberviertel nicht mehr unverhüllt in
die Auslagen hängen. Hunde und Pferde,
Stuhl- und Clavierbeine bekamen Hosen.
In den Theatern wurde eine strenge Gen
sur für die Costüme eingerichtet: selbst die
schöne Helena musste sich wie eine Herren-
huterin anziehen. Tricots durfte Niemand
mehr tragen — ausgenommen die Ballet-
ratten der fürstlichen Oper, denn S. Durch-
laucht interessirten sich für die Kunst.
Endlich war das Werk gethan.
Beim Hofball erstattete der Hofcaplan
der Dame Adelaide ausführlichen Bericht
und überreichte ihr die Liste der ausge-
tilgten Nacktheiten, sauber gedruckt und
für die Mitglieder der Commission mit
reichlichen Kupfern versehen. Dieser Ka-
talog enthielt 4785 Nummern. Die Hof-
dame athmete befriedigt auf und ihr Busen
wogte in freudiger Erregung. Man konnte
das genau wahrnehmen, denn ihr Kleid
war ausgeschnitten bis zur 7. Rippe. Und
alle Damen rings umher waren ähnlich
angethan, theils mit, theils ohne Grund, auf
dem Hofballe zu Schwarzenau, der Metro-
pole der Sittlichkeit.
keinen Spazierstock, keine Sackuhren, die
nicht ein geheimnissvolles Fach, ein Löch-
lein zum Durchgucken hatten. Und was
man da sah! Pfui Teufel!
Es kann nicht verschwiegen werden:
Die ehemaligen Mitglieder der Sittencom-
mission waren die eifrigsten Sammler.
Denn wenn der Löwe einmal Blut ge-
leckt hat.
Es ist nur ein Glück, dass Schwarzenau
örtlich und die Geschichte vom Fischreiter
und der Hofdame zeitlich uns so ferne liegt,
so ferne! Ki-ki-ki.
Das Werk also war vollendet! Welch’
ein Glück für die Stadt, dass das Fräulein
Adelaide von der Zipf früher so lustig
gelebt hatte!
Denn sonst hätte sie am Ende gar nicht
gemerkt, dass der Bube auf dem Delphin
nackt und ein so grosses Aergerniss war;
der Bronzebrunnen hätte immer so weiter
Seelen vergiftet eine nach der andern und
die andern Nuditäten wären auch nicht aus-
gespürt und aus der Weit geschafft worden!
In Wahrheit sind die Schwarzenauer
freilich nicht besser geworden. Im nächsten
Jahre gab’s dort genau so viel Wickelkinder
ohne Väter und Frauen ohne Männer, wie
vorher. Es wurden noch um etliche Jüng-
ferlein mehr verführt, die Giftmorde und
anderen Schandthaten aus Eifersucht nah-
men auch nicht ab und die Ehe ward auch
nicht von mehr Leuten heilig gehalten, als
sonst. Auch an Putzwuth und Gefallsucht
ward keine Abminderung verspürt. Mäd-
chenjäger, Mitgiftspekulanten und Heirats-
schwindler trieben ihr Gewerbe blühender
als je. Und eine neue Art von Delikten kam
dazu. Es mussten Viele bestraft werden
wegen heimlicher Verbreitung bedenklicher
Bilder und Schriften. Das Geschäft warf
jetzt reichen Gewinn ab. Ganz andere
Dinge, als die, die man verboten oder ver-
kleistert hatte, kamen im Stillen in Um-
lauf. Da gab es bald kein Dös’chen mehr,
das nicht zum Abschrauben war, kein Käst-
chen ohne doppelten Boden, keine Pfeife,
(9 e.. L.oc/.'C /
Sprüche des Konfusius.
Wenn Dich eine Mücke sticht, darfst
Du sie umbringen; wenn Dich ein Elephant
musst Du ihn um Verzeihung bitten!
tritt,
Sprich stets,
jedesmal wirst
worfen werden!
*
wie
Du
£
Du denkst; nicht
deshalb hinausge-
Wenn die Rosen keine Dornen hätten,
wären sie mit einer Zunge bewaffnet.
au
Wohlthun bringt Zinsen;
sserdem noch Dividenden.
Nichtsthun
B. Rauchenegger.
2Z
JUGEND
Nr. 1 und 2
gewordenen Augen der Schwarzenauer.
Auch der Titian kostete harte Arbeit, aber
sie gelang; und seine ruhende Venus sah
denn auch bald aus wie eine in Binden ge-
wickelte Mumie. Einer herrlichen alten
Kölner Madonna, die das Jesuskind an die
Brust gelegt hatte, malte der Meister den
Spalt im Kleide schön blau wieder zu und
liess die heilige Frau ihr Kindlein mit der
Flasche stillen. So ging es weiter in jedem
Saal. Selbst das Viehzeug auf der Weide
erhielt die nöthigen Retouchen und ein
mächtiger Stier von Paul Potter war mit
einem Pinsel voll blauer Himmelsfarbe
schnell zum Ochsen degradirt. Und so
fort mit Grazie!
In der Skulpturengalerie war die Ar-
beit leicht. Man verhüllte alles Gefähr-
liche mit weissen Leintüchern. Als die
Commission zum Revidiren kam, hoben die
Herren hier und dort die meisten Falten
hoch und constatirten noch einmal, wie
nothwendig die Verhüllung gewesen. Sie
nahmen es genau mit ihrer Aufgabe.
Die öffentlichen Denkmäler in der Stadt
waren auch schnell aptirt für die wieder-
gewonnene Moral. Alle nackten Genien
bekamen so viel Palmzweige und Attri-
bute in die Hand, dass kein Stückchen
überflüssigen Fleisches sichtbar blieb.
Jetzt glaubte man, so ziemlich fertig
zu sein. Da kam ein Brieflein an die Com-
mission: sie sollten doch in den Kirchen
einmal gründlich nachsehen, dort sei aller-
hand zu finden, was die tapferen Forscher
angehe. Und — siehe da — es war so!
Da gaukelten um Kanzeln und Altäre,
um Friese und Gewölbzwickel nackte Engel
und Englein in hellen Schaaren, da standen
heilige Sebastiane von Pfeilen durchbohrt
und an allen Ecken und Enden andere
Märtyrer, die nicht viel mehr anhatten,
als ihren Heiligenschein, da nährten heilige
Mütter wie jene in der Gemäldegallerie
ihre Bambini mit der Nahrung, die der
liebe Gott den Neugeborenen bestimmt hat.
Im Dom stand ein Sankt Borromäus, der
war nackter als nackt, denn er hatte sogar
die Haut ausgezogen und trug sie wie einen
Plaid über dem Arme. Der musste nun
zweimal angezogen werden, zuerst in eine
Haut, dann in einen Mantel. In einer alten
Votivkirche fanden sie nach Hunderten
Täfelchen mit den entsetzlichsten Schil-
dereien; denn die Leute hatten sich dem
Patron der Kapelle in allen erdenklichen
Nöthen versprochen und selbige sauber ab-
malen lassen. Das wurde summarisch be-
handelt. Man schüttete die Täflein auf
einen Haufen und lustig prasselten die
Flammen aus dem ausgedörrten Holzwerk
und die Gassenbuben tanzten um den
Scheiterhaufen. Auch die vielen wächsernen
Glieder, die in der Kirche hingen, konnten
nicht so bleiben, denn die Arme hatten
keine Aermel und die Beine keine Hosen
an. Man schmolz sie ein und machte Altar-
kerzen daraus. Der Küster that sich auch
etliche Pfund auf die Seite für den Haus-
gebrauch.
Und Schwarzenau war, wenigstens nach
der Aussenseite hin, die keuscheste Stadt
von der Welt geworden. Bis herab zu den
Pfefferkuchenfiguren hatte der Bekleidungs-
drang gewüthet und der Lebzelter verzierte
seine berühmte Gruppe „Adam und Eva“
mit schöner Toilette aus Zuckerguss. In
keinem Bilderladen gab es mehr was Nack-
tes; es gab überhaupt keine Bilderhändler
mehr. Die sassen alle schon wegen Ge-
fährdung der öffentlichen Moral im Ge-
fängnisse.
Auch beim Baden wurde die weit-
gehendste Angezogenheit vorgeschrieben,
selbst für die Cabinen, nicht blos für’s
Schwimmbassin. Die gewissenhafte Com-
mission guckte durch alle Ritzen und
Schlüssellöcher und wehe dem, der in un-
sittlichem Costüm betroffen ward. Nach-
gerade kamen sich die Leute aber auch in
ihren Kleidern nackt vor und sahen sich
gegenseitig daraufhin an und construirten
sich mit ihren Blicken unter den Kleider-
falten der Andern deren Gliederbau.
Immer weiter kam man so in der Sitt-
lichkeit, immer neue Gebiete erschlossen
sich ihren Bestrebungen. Schliesslich durf-
ten auch die Fleischer ihre rosigen Hammel
und Kälberviertel nicht mehr unverhüllt in
die Auslagen hängen. Hunde und Pferde,
Stuhl- und Clavierbeine bekamen Hosen.
In den Theatern wurde eine strenge Gen
sur für die Costüme eingerichtet: selbst die
schöne Helena musste sich wie eine Herren-
huterin anziehen. Tricots durfte Niemand
mehr tragen — ausgenommen die Ballet-
ratten der fürstlichen Oper, denn S. Durch-
laucht interessirten sich für die Kunst.
Endlich war das Werk gethan.
Beim Hofball erstattete der Hofcaplan
der Dame Adelaide ausführlichen Bericht
und überreichte ihr die Liste der ausge-
tilgten Nacktheiten, sauber gedruckt und
für die Mitglieder der Commission mit
reichlichen Kupfern versehen. Dieser Ka-
talog enthielt 4785 Nummern. Die Hof-
dame athmete befriedigt auf und ihr Busen
wogte in freudiger Erregung. Man konnte
das genau wahrnehmen, denn ihr Kleid
war ausgeschnitten bis zur 7. Rippe. Und
alle Damen rings umher waren ähnlich
angethan, theils mit, theils ohne Grund, auf
dem Hofballe zu Schwarzenau, der Metro-
pole der Sittlichkeit.
keinen Spazierstock, keine Sackuhren, die
nicht ein geheimnissvolles Fach, ein Löch-
lein zum Durchgucken hatten. Und was
man da sah! Pfui Teufel!
Es kann nicht verschwiegen werden:
Die ehemaligen Mitglieder der Sittencom-
mission waren die eifrigsten Sammler.
Denn wenn der Löwe einmal Blut ge-
leckt hat.
Es ist nur ein Glück, dass Schwarzenau
örtlich und die Geschichte vom Fischreiter
und der Hofdame zeitlich uns so ferne liegt,
so ferne! Ki-ki-ki.
Das Werk also war vollendet! Welch’
ein Glück für die Stadt, dass das Fräulein
Adelaide von der Zipf früher so lustig
gelebt hatte!
Denn sonst hätte sie am Ende gar nicht
gemerkt, dass der Bube auf dem Delphin
nackt und ein so grosses Aergerniss war;
der Bronzebrunnen hätte immer so weiter
Seelen vergiftet eine nach der andern und
die andern Nuditäten wären auch nicht aus-
gespürt und aus der Weit geschafft worden!
In Wahrheit sind die Schwarzenauer
freilich nicht besser geworden. Im nächsten
Jahre gab’s dort genau so viel Wickelkinder
ohne Väter und Frauen ohne Männer, wie
vorher. Es wurden noch um etliche Jüng-
ferlein mehr verführt, die Giftmorde und
anderen Schandthaten aus Eifersucht nah-
men auch nicht ab und die Ehe ward auch
nicht von mehr Leuten heilig gehalten, als
sonst. Auch an Putzwuth und Gefallsucht
ward keine Abminderung verspürt. Mäd-
chenjäger, Mitgiftspekulanten und Heirats-
schwindler trieben ihr Gewerbe blühender
als je. Und eine neue Art von Delikten kam
dazu. Es mussten Viele bestraft werden
wegen heimlicher Verbreitung bedenklicher
Bilder und Schriften. Das Geschäft warf
jetzt reichen Gewinn ab. Ganz andere
Dinge, als die, die man verboten oder ver-
kleistert hatte, kamen im Stillen in Um-
lauf. Da gab es bald kein Dös’chen mehr,
das nicht zum Abschrauben war, kein Käst-
chen ohne doppelten Boden, keine Pfeife,
(9 e.. L.oc/.'C /
Sprüche des Konfusius.
Wenn Dich eine Mücke sticht, darfst
Du sie umbringen; wenn Dich ein Elephant
musst Du ihn um Verzeihung bitten!
tritt,
Sprich stets,
jedesmal wirst
worfen werden!
*
wie
Du
£
Du denkst; nicht
deshalb hinausge-
Wenn die Rosen keine Dornen hätten,
wären sie mit einer Zunge bewaffnet.
au
Wohlthun bringt Zinsen;
sserdem noch Dividenden.
Nichtsthun
B. Rauchenegger.
2Z