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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 1 und 2
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Nr. 1 und 2

1896

. JUGEND .

. X.D

Ein Orakel.

Früher Lieutenant der Husaren,

Jetzo Fürst von den Bulgaren,

Sitzt der arme Ferdinand,

Sohn der Fürstin Clementine,

Trüb, mit langer Nas’ und Miene
In dem neuen Vaterland.

War’ ja schön sich Fürst zu nennen,

Aber freilich — anerkennen
Müsst’ ihn erst die schnöde Welt!

Und da hat man ihm gerathen:

»Nimm Dir halt den Zar als Pathen,

Dann ist Alles wohlbestellt!«

Angethan in Purpurwindel —

Welch’ ein allerliebstes Kindel! —

Liegt der Erbprinz in der Box;

Und der Vater rauft die Haare:

»Welcher Glaube ist der wahre —
Römisch oder orthodox?«

»Lass’ ich ihn auf’s Neue taufen,

Mir des Zaren Gunst zu kaufen?«

Ruft der Herrscher zweifelnd aus —

»Trau der Kukuk diesen Tröpfen!«

Und er zählt an seinen Knöpfen:

»Boris oder Nikolaus?«

»Ein Orakel sollst Du fragen —«

Hört er eine Stimme sagen —

»Diese Windel, blüthenrein,

Sei um Deinen holden Jungen
Zehn Minuten lang geschlungen,

Und dann blickt getrost hinein!

Blieb das Linnen ohne Makel,

Spricht bejahend das Orakel
Und der Pope hat das Wort;

Lest ihr And’res aus dem Kissen,

Will der Prinz davon nichts wissen
Und man jagt den Popen fort!«

So geschieht’s. Man harrt mit Bangen,

Bis die Wartezeit vergangen,

Was das Schicksal künden lässt?

Und mit aufgeregtem Schnaufen
Kommt die Kinderfrau gelaufen:

»Euer Durchlaucht, ein Protest!«

K

Die französischen Parlamentarier müssen
doch ihr Geld werth sein — sonst
hätten die Herren Panamisten sie nicht
gekauft.

Herr Bourgeois kennt keinen Scherz,
Schon hat er den Aaron fangen lassen
Am Ende fasst er sich doch noch das Herz,
Den Herz zu fassen?

Nobile Trifolium.

Abbü, Marquise und Marquis —

Gibt's noch ein Kleeblatt so wie sie?
Vertragen die sich nicht — fürwahr
Erscheint’s dem Weisen wunderbar!

Sonst pflegt sich fröhlich zu vertragen
Das Pack, sobald es sich geschlagen.
Versöhnen werden sich auch diese,

Marquis, Abbü und Frau Marquise.

Was war denn weiter auch dabei?

Ein Bis’chen Heu- und Meuchelei,

Ein Bis’chen Meineid und Betrügen,

Auf allen Seiten viele Lügen,

Pikante Spuren alter Sünden

Und neuer Sünden (kaum zu künden),

Ein Schielen nach des Nächsten Frau
Und ihrem Geld — jesuitisch schlau,

Viel Frömmelei, infames Hetzen
Und Vieles noch, was den Gesetzen
Zuwiderhandelt des Gerichts —

Von Allem etwas — weiter nichts!

Nun ist’s vorbei, des Lebens froh
Sind Nayve’s jetzt und Rosselot.

Und hoffentlich wird dann auch schleunig
Die schöne Trias wieder einig.

Nun deckt der Nächstenliebe Schleier
Auf die vergangenen Abenteuer
Und heiter sitzen beim Cafe
Marquis, Marquise und Abbe!

85

Schrecklich!

Jüngst ist ein empörendes Faktum ge-
scheh’n — Am Bahnhofperron zu München, —
Das lässt sich mit matter Entschuldigung —
Nachträglich nicht übertünchen! — Sie haben
den Doktor Orterer — Belästigt mit kecken
Fragen, — Sie Hessen den grossen Centrums-
mann — Nicht ohne Fahrschein zum Wagen! '

— Man werfe die ganze Verkehrsdirektion —
Mit faulen Aepfeln und Eiern! — Ihr Personal
erkennt nicht einmal — Den Rektor aller Bayern!

— Der Mann, der’s verstand, von der Oppo-
sition — Wie Keiner zu profitiren — Er musste
sich erst vor dem Condukteur — Als Fahrgast
legitimiren. — Mit tödtlich beleidigtem Selbst-
gefühl — Erfüllt von grimmigem Hasse — Be-
stieg er mit seinem Freibillet — Dann grollend
die erste Klasse. — Von der alten National-
krankheit — Ist wieder ein Fall zu melden —
Das liebe germanische Vaterland — Misskennt
seinen grössten Helden! — So ist es dem Fürsten
Bismarck passirt — Von Seiten gewisser Leute

Und jetzt ist dem bayerischen Centrumspapst
Geschehen das Nämliche heute. — Man
wage die That am Bahnhofperron — Nur ja
nicht entschuldbar zu nennen — Des Doktor

Orterer Angesicht — Ist wirklich nicht schwer
zu erkennen! —Wer’s einmal nur photographirt
geseh’n — Der muss es auf immer behalten

— Es steht ja das ganze Centrumsprogramm

— In seinen verkniffenen Falten!

55

Gross und mächtig ist der Zar aller
Reussen! Unumschränkt gebeut er über
Menschen, Thiere und Bauern seines weiten
Reiches und er hat kein Gesetz über sich.
Jeder im Lande gehorcht dem leisesten
Wink seiner Brauen, Jedem ist des Herren
Wunsch Befehl. Bios Einer thut — und
manchmal dem Beherrscher aller Reussen
zum Trotz — auch in Russland, was ihm
gutdünkt — der Klapperstorch!

Als dem verhafteten Aaron (auch Arton
genannt) der Polizeicommissär sein Notiz-
buch abnahm, fand er darinnen eine lange
Reihe Namen von französischen Abgeord-
neten, Beamten und Senatoren aufgeschrie-
ben. „Was sind das für Namen?“ fragte
strenge der Commissär. — „Ach, das sind
Sammelvermerke!“ erwiderte der brave
Aaron. „Ich bin Lumpensammler.“

Im ehemaligen Reichstagsge-
bäude in Berlin ist jetzt eine Barbier-
stube etablirt — man sagt es sei nicht
schön vom Fiskus, dass er um ein paar
lumpige Tausender den ehrwürdigen Bau
für so was hergibt! Aber im Grunde ist
dem Haus das Metier doch nicht so fremd.
Hier hat der deutsche Michel sich schon so
manchem Aderlass unterziehen müssen,
hier wurde mancher brave Zopf geflochten,
j hier hat so mancher Volksbeglücker seine
Wähler gründlich über den Löffel bar-
biert, hier wurde gar oft eine Menge
lauschender Hörer von gewandten Diplo-
matenhänden gründlich eingeseift, hier
sind oft die heterogensten Dinge über
einen Kamm geschoren worden und
Mancher hat hier Haare gelassen, der
es unternahm, sich mit einem Stärkeren
zu — „kampeln“.

Das Durchschnitts-Einkommen der
preussischen Volksschullehrer soll auf
jährlich 900 Mark „hinaufgeschraubt“ wer-
den? Wenn aber das rapide Steigen ihres
Einkommens die preussischen Volksschul-
lehrer zu Prass, Völlerei, Börsenspiel und
anderen Lastern verführt — wehe der künf-
tigen Generation der preussischen Jugend!

SXT

In Dingsda feierte die 9jährige Klavier-
virtuosin Bronislawa Meierfrau ihr zehn-
jähriges Jubiläum als Wunderkind.
Diejubilarin wurde mit Lorbeer und Blumen
überschüttet.

In Wien hat sich ein Greis von etlichen
zwanzig Jahren eine Kugel durch den Kopf
gejagt — als Grund gab er an: aus langer
Weile. Zu bescheiden; er hat wohl eigent-
lich schreiben wollen: aus Rücksicht
auf meine Mitmenschen.

-8
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[nicht signierter Beitrag]: Aphorismen und Epigramme
Julius Diez: Seeschlange
 
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