Nr. 3
JUGEND
1896
Partien des Gehirns, vor Allem der „Grosshirnrinde“ zu,
und auch hier stehen die dem höheren Denken dienenden
Nervenkörper neben solchen, welche ganz direkt die Sinnes-
werkzeuge und die Muskulatur im Zentralorgan vertreten. Die
genaue Unterscheidung aller dieser Elemente ist äusserst
schwierig und erst im Werden begriffen. Das Gesammt-
gewicht des Gehirns aber steht normaler Weise viel eher
zur Körpergrösse, zur leiblichen Entwicklung und Kraft, als
zur Intelligenz im Verhältniss. Das Riesengehirn eines Bis-
marck erklärt sich zum grössten Theile aus der ganzen wuch-
tigen Persönlichkeit des ungewöhnlich grossen und starken
Mannes; dass darin die Denkzentren einen verhältniss-
mässig grossen Raum einnehmen, ist zweifellos. Im klebri-
gen kann auch ein grosser dummer Kerl ein sehr schweres und
grosses, ein zartes und gescheidtes Männlein ein sehr kleines
Gehirn besitzen, und genau so verhält es sich bei unseren
Schwestern. Da die meisten unter diesen von kleinerer Statur
und weniger raubthierartig beschaffen sind, als die Männer,
so haben auch die meisten ein leichteres Gehirn, — nicht
weil sie dümmer sind, als die Männer!
Jene Gehirnpartien aber, welche speziell der Intelligenz
als Grundlage dienen, sind in ihrer Ausbreitung nicht blos
das Produkt der Erbanlage, sondern auch der Uebung und
der durch diese bedingten spezifischen Ernährung. Man ver-
statte dem zu höherer geistiger Thätigkeit veranlagten Frauen-
hirn die rechtzeitige Uebung und die stolzen Thorwächter
der Sperrforts werden sich wundern, wie viele geschickte
Kolleginnen sich ihnen an die Seite stellen werden.
Was der Mann trotzdem im Allgemeinen in fast allen
geistigen Thätigkeiten vor der Frau voraus hat und wohl
immer voraus haben wird, das beruht in der~stärkeren An-
griffsfähigkeit, welche ihrerseits wesentlich von geschlecht-
lichen Verhältnissen abhängt, — von jenen Verhältnissen,
aus denen sich u. a. auch unsere Stimme zum Bass ent-
wickelt, und welche jenen Brustton der Ueberzeugung zeitigen,
der so oft nur leerer Schall ist. Ueberall wo raubthierartige
Energie, rohe Kraft, Leidenschaft, Brüllen etc. am Platze sind,
da wird der Mann der Frau stets überlegen bleiben; er ist
kühner und verwegener in allen Dingen, auch im Denken
und Phantasiren. Dafür ist die Frau feiner, geduldiger, sorg-
licher, mitleidsvoller. Wenn sie nicht alle physischen und die
meisten moralischen Lasten der Fortpflanzung zu tragen hätte
— wer weiss, ob sie nicht längst unsere gefährliche Rivalin
auch im staatlichen Leben wäre!
Wer aber meint, dass das „hysteroi'de Denken“ (wie ich
ganz allgemein das sprunghafte und durchlöcherte Denken nen-
nen möchte) ein trauriges Vorrecht unserer lieben Schwestern
sei, der ist gewaltig im Irrthum. Wir müssten denn, — wollten
wir gewisse Unzulänglichkeiten in Bau, Ernährung und Ver-
knüpfung der Denkzellen als „weibliches Prinzip“ bezeichnen,
— uns zu dem ungeheuerlichen, aber tiefsinnigen Satze ver-
steigert : „Es gibt unter den Männern mehr Weiber, als unter
den Weibern Männer.“ Ist doch die Geschichte menschlicher
Grausamkeit undZerstörungswuth, menschlichen Irrthums und
Aberglaubens im Wesentlichen nur eine Geschichte männ-
licher Geistesumnachtung!
Also, verehrte liebe Schwestern, vertrauen Sie getrost
dem göttlichen Funken, mit dem auch Ihr Gehirn geladen
ist; aber vergessen Sie nicht, dass die Lehre »von dem
Rechte, das mit uns geboren«, in der männlichen Rechts-
philosophie niemals für die Frau gegolten hat. Was Sie in der
Gleichberechtigung mit uns Männern auf den Gebieten geist-
igen Schaffens erreichen werden, werden Sie uns ab trotzen
müssen in heissem Kampfe und unter Anwendung aller er-
denklichen Kriegslisten. Und darin sind Sie uns ja über-
legen, — wenn Sie wollen. georg hirth.
Rückblick u. Ausschau.
Von Ibykus.
Wieder nach des Jahres Wende
Blick ich sinnend und verwundert
Auf das menschliche Getriebe
In dem sinkenden Jahrhundert.
Die civilisierten Völker
Bringen durch die fernsten Meere
Höhere Cultur und Bildung
Und — die Repetiergewehre.
Drohend starren in Europa
Millionen Bajonette,
Während Frau von Suttner lieblich
Bläst die Friedens-Klarinette.
An der Seine, wo von jeher
Art und Sitte gar so fein sind,
Zittert man vor einem Menschen,
Dessen Hände gar nicht rein sind. —
Aus dem Harem trat der Kranke
Mann, und Said Pascha rief er.
Doch den Pascha packt ein Grausen;
Schleunigst um die Ecke lief er. —
Ueberall ein Zukunftsbangen,
Ueberall ein banges Zagen.
Selbst die Mächtigen der Erde
Stehen stumm vor solchen Fragen:
Wird der heil’ge Vater schliesslich
Dulden, dass der Portugiesen
König in dem Quirinale
Seine Liebden lassen grüssen? —
Wie wird der Bulgarenfürste
Festigen sein schwankend’ Thrönchen?
Wird den rechten Glauben finden
Er für sein durchlaucht’ges Söhnchen? —
Wer kann’s wissen? — Und tief unten
Geht ein Grollen durch die Masse.
Mit der Armuth bitterm Jammer
Bündet sich der Neid, der blasse.
Den Enterbten Glück verheissend
Und das Ende ihrer Nöthen
Seh ich durch die Lande schleichen
Hassverbreitende Propheten.
Bebel mit der rothen Fahne
Klopft schon leis’ an die Kasernen.
Und wir wandeln dunkle Wege
Trotz elektrischer Laternen.
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Partien des Gehirns, vor Allem der „Grosshirnrinde“ zu,
und auch hier stehen die dem höheren Denken dienenden
Nervenkörper neben solchen, welche ganz direkt die Sinnes-
werkzeuge und die Muskulatur im Zentralorgan vertreten. Die
genaue Unterscheidung aller dieser Elemente ist äusserst
schwierig und erst im Werden begriffen. Das Gesammt-
gewicht des Gehirns aber steht normaler Weise viel eher
zur Körpergrösse, zur leiblichen Entwicklung und Kraft, als
zur Intelligenz im Verhältniss. Das Riesengehirn eines Bis-
marck erklärt sich zum grössten Theile aus der ganzen wuch-
tigen Persönlichkeit des ungewöhnlich grossen und starken
Mannes; dass darin die Denkzentren einen verhältniss-
mässig grossen Raum einnehmen, ist zweifellos. Im klebri-
gen kann auch ein grosser dummer Kerl ein sehr schweres und
grosses, ein zartes und gescheidtes Männlein ein sehr kleines
Gehirn besitzen, und genau so verhält es sich bei unseren
Schwestern. Da die meisten unter diesen von kleinerer Statur
und weniger raubthierartig beschaffen sind, als die Männer,
so haben auch die meisten ein leichteres Gehirn, — nicht
weil sie dümmer sind, als die Männer!
Jene Gehirnpartien aber, welche speziell der Intelligenz
als Grundlage dienen, sind in ihrer Ausbreitung nicht blos
das Produkt der Erbanlage, sondern auch der Uebung und
der durch diese bedingten spezifischen Ernährung. Man ver-
statte dem zu höherer geistiger Thätigkeit veranlagten Frauen-
hirn die rechtzeitige Uebung und die stolzen Thorwächter
der Sperrforts werden sich wundern, wie viele geschickte
Kolleginnen sich ihnen an die Seite stellen werden.
Was der Mann trotzdem im Allgemeinen in fast allen
geistigen Thätigkeiten vor der Frau voraus hat und wohl
immer voraus haben wird, das beruht in der~stärkeren An-
griffsfähigkeit, welche ihrerseits wesentlich von geschlecht-
lichen Verhältnissen abhängt, — von jenen Verhältnissen,
aus denen sich u. a. auch unsere Stimme zum Bass ent-
wickelt, und welche jenen Brustton der Ueberzeugung zeitigen,
der so oft nur leerer Schall ist. Ueberall wo raubthierartige
Energie, rohe Kraft, Leidenschaft, Brüllen etc. am Platze sind,
da wird der Mann der Frau stets überlegen bleiben; er ist
kühner und verwegener in allen Dingen, auch im Denken
und Phantasiren. Dafür ist die Frau feiner, geduldiger, sorg-
licher, mitleidsvoller. Wenn sie nicht alle physischen und die
meisten moralischen Lasten der Fortpflanzung zu tragen hätte
— wer weiss, ob sie nicht längst unsere gefährliche Rivalin
auch im staatlichen Leben wäre!
Wer aber meint, dass das „hysteroi'de Denken“ (wie ich
ganz allgemein das sprunghafte und durchlöcherte Denken nen-
nen möchte) ein trauriges Vorrecht unserer lieben Schwestern
sei, der ist gewaltig im Irrthum. Wir müssten denn, — wollten
wir gewisse Unzulänglichkeiten in Bau, Ernährung und Ver-
knüpfung der Denkzellen als „weibliches Prinzip“ bezeichnen,
— uns zu dem ungeheuerlichen, aber tiefsinnigen Satze ver-
steigert : „Es gibt unter den Männern mehr Weiber, als unter
den Weibern Männer.“ Ist doch die Geschichte menschlicher
Grausamkeit undZerstörungswuth, menschlichen Irrthums und
Aberglaubens im Wesentlichen nur eine Geschichte männ-
licher Geistesumnachtung!
Also, verehrte liebe Schwestern, vertrauen Sie getrost
dem göttlichen Funken, mit dem auch Ihr Gehirn geladen
ist; aber vergessen Sie nicht, dass die Lehre »von dem
Rechte, das mit uns geboren«, in der männlichen Rechts-
philosophie niemals für die Frau gegolten hat. Was Sie in der
Gleichberechtigung mit uns Männern auf den Gebieten geist-
igen Schaffens erreichen werden, werden Sie uns ab trotzen
müssen in heissem Kampfe und unter Anwendung aller er-
denklichen Kriegslisten. Und darin sind Sie uns ja über-
legen, — wenn Sie wollen. georg hirth.
Rückblick u. Ausschau.
Von Ibykus.
Wieder nach des Jahres Wende
Blick ich sinnend und verwundert
Auf das menschliche Getriebe
In dem sinkenden Jahrhundert.
Die civilisierten Völker
Bringen durch die fernsten Meere
Höhere Cultur und Bildung
Und — die Repetiergewehre.
Drohend starren in Europa
Millionen Bajonette,
Während Frau von Suttner lieblich
Bläst die Friedens-Klarinette.
An der Seine, wo von jeher
Art und Sitte gar so fein sind,
Zittert man vor einem Menschen,
Dessen Hände gar nicht rein sind. —
Aus dem Harem trat der Kranke
Mann, und Said Pascha rief er.
Doch den Pascha packt ein Grausen;
Schleunigst um die Ecke lief er. —
Ueberall ein Zukunftsbangen,
Ueberall ein banges Zagen.
Selbst die Mächtigen der Erde
Stehen stumm vor solchen Fragen:
Wird der heil’ge Vater schliesslich
Dulden, dass der Portugiesen
König in dem Quirinale
Seine Liebden lassen grüssen? —
Wie wird der Bulgarenfürste
Festigen sein schwankend’ Thrönchen?
Wird den rechten Glauben finden
Er für sein durchlaucht’ges Söhnchen? —
Wer kann’s wissen? — Und tief unten
Geht ein Grollen durch die Masse.
Mit der Armuth bitterm Jammer
Bündet sich der Neid, der blasse.
Den Enterbten Glück verheissend
Und das Ende ihrer Nöthen
Seh ich durch die Lande schleichen
Hassverbreitende Propheten.
Bebel mit der rothen Fahne
Klopft schon leis’ an die Kasernen.
Und wir wandeln dunkle Wege
Trotz elektrischer Laternen.
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