Nr. 4
1896
»Ich verstehe Sie nicht! Was soll denn
ich verrathen!«
-Wie gut ihr das Rothwerden steht!
Goldkind!«
»Wenn Sie wollen, dass ich mit Ihnen
plaudern soll —-
»Gut! — Sie haben Recht! Es wäre
Schade um dies Plauderstündchen. Was
liegt auch an dem unverständigen Fürwort!
Sie oder Du! Soll ich Ihnen was erzählen,
gnädiges Fräulein?«
»Wenn es etwas Vernünftiges ist!«
»Vernünftig? Nein! Dazu ist es viel
zu hübsch! — Es war zu einer Zeit, da
ich Sie noch Miez nennen durfte, Fräulein
Wilhelmine, und alle Welt nannte Sie da-
mals noch Miez, denn Sie waren, verzeihen
Sie, noch ein Backfisch in des Wortes grün-
ster Bedeutung. Und wie grün war ich!
Ich trug die Abiturientenmütze auf den
Locken — oh ja! bitte, damals hatte ich
noch Locken —- und hatte das Herz und
den Kopf so voll von Unsinn und über-
quellendem Gefühl, dass ich meine Em-
pfindungen in Reime setzte. Für alles Hohe
und Ideale schwärmte ich —die Arbeit aus-
genommen — und was meinem Pegasus in
die Quere kam, wurde besungen. Und Sie
waren das einzige Wesen, das Sinn und Ge-
duld für meine Poesien hatte. Und dann!
Es war ein Abend im Park! Grillengezirp
und Vogelgezwitscher füllte die Luft. Wir
sassen auf einer Steinbank — sie kann auch
aus Holz gewesen sein — und schauten zu,
wie der rothe Mond über den flachen Hügeln
der Ferne heraufstieg. Ich hatte Ihnen eben
ein Gedicht mit Weltschmerzgedanken vor-
gelesen, dazu kam der Mond, die Grillen,
der Hollunderduft — und unsere Seelen
wurden weich. Es war nur Freundschaft,
Fräulein Wilhelmine, was wir uns dort
schworen — aber Freundschaft auf Tod und
Leben.«
»Die will ich Ihnen ja auch —-
»Zu viel Güte! — Damals sagten wir
uns, dass wir bis an den Rand des Grabes
gute Kameraden bleiben, uns nie etwas
verheimlichen, nichts übel nehmen wollten
unser Leben lang. Wir redeten sehr klug
und sehr geringschätzig von den Leuten,
die eine richtige Freundschaft nicht für mög-
lich hielten zwischen Mann und Weib —
nein, so präcise drückten wir uns nicht aus.
Wir sagten: zwischen jungen Leuten, wie
wir. Aber wir wollten es ihnen schon zei-
gen ! Alle Welt sollte sehen, dass wir rich-
tige Freunde seien. Und duzen wollten wir
uns auch, aller Welt zum Trotz — und wenn
die Tante Laura darüber explodirte!-
Wissen Sie noch, wie wir unseren Bund be-
siegelten? War das hübsch!«
»Sie sind unartig und waren es damals
auch!«
»Aber sie wehrten sich nicht und wir
meinten es auch so ehrlich und kindisch
mit unserm verlegenen Anfängerkuss. So-
gar unsere Nasen gingen uns dabei im Wege
um, so ungeschickt waren wir.«
»Wenn Sie nicht aufhören, von so thö-
richten Dingen zu reden, gehe ich zu Mama
hinüber in den Saal!«
»Ich bin schon zu Ende mit den thörich-
ten Dingen und es ist Schade darum! Heim
nun ist eben auch Alles dahin und zu Ende,
was wir uns damals versprochen haben für s
Leben!«
»Doch nur, dass wir Du zu einander
sagen wollten —«
»Alles Andere auch!«
- Das sehe ich doch nicht ein, Was denn
— zum Beispiel.«
»Dass wir einander nie etwas übel neh-
men wollten! Den Gontrakt habe ich selbst
gebrochen und es Ihnen sehr verübelt, dass
Sie heute dem Amtsrichter den Cotillon
gaben!«
»Oh der! Das ist ja alles nur wegen
Mama! Sie nickte mir so gebieterisch zu,
als der würdige Mann um den Tanz bat.
Und hinterdrein sagte sie etwas so Kom-
isches zu Tante Laura — etwas was ich nicht
verstand — etwas von mehreren Eisen, die
sie im Feuer habe —-
»Was für eine weitblickende Mama ha-
ben Sie doch! Und darum das Verbot! —
Und waren Sie mir nicht auch schon oft um
etwas böse, Mie— gnädiges Fräulein ? War-
um schmollten Sie denn, als wir neulich
vom Schlittschuhlaufen nach Hause gingen
und ich Ihnen die Flügelschuhe tragen woll-
te? Sie sagten: ,Bitte, ich will Andere Ihrer
Galanterie nicht berauben!1 und sagten es
bitter — wie Galle!«
»Das war, weil Sie sich so viel mit die-
ser Frau Bartow zu thun machten. Sie ist
eine Sirene, sagt —-
»Mama!«
»Jawohl! Und alle Welt sagt es! Und
Sie müssen doch nicht glauben, dass dies
echtes blondes Haar ist! Und ihr Ruf! Der
kleine Blasswitz von den Husaren soll sich
ihretwegen erschossen haben — Und sie soll
gar nicht Wittwe sein — sondern blos ge-
schieden! Sie hat ihren Mann böswillig ver-
lassen. Schulden hat sie auch.«
»Und mit diesem entsetzlichen Weibe
tanze ich heute den Cotillon!»
»Höhnen Sie nur! — Bis Sie in ihrem
Netz zappeln, bis es Ihnen geht wie dem
armen Blasswitz. Ach Arthur — sie wird
Sie sehr unglücklich machen, sie ist falsch
und so putzsüchtig und sie malt sich —
ich habe es vorhin ganz deutlich gesehen,
sie malt sich!«
»Miez!«
»Ich bitte!«
»Das Alles ist schon wieder gegen un-
sern alten Gontrakt. Wir haben uns doch
versprochen, was wir irgend einander mit-
zutheilen hätten, gerade heraus zu sagen?«
»Gewiss! Ich thue es ja eben!«
»Sie thuen es nicht und ich habe es
auch nicht gethan. Nun reden wir alle
Beide schon eine halbe Stunde um die
Sache herum und sagen uns doch nicht,
was wir uns sagen müssten!«
»Das verstehe ich nun wirklich nicht!
Was sagen müssten?«
»Dass es überhaupt mit der alten
Freundschaftsgeschichte nichts mehr sein
kann!«
»Und warum das?«
»Weil — sieh mich einmal an! — weil
wir uns dazu viel zu lieb haben, Herzens-
kind!«
»Aber was Dir einfällt, Arthur —-
»Nein, sind wir dumm, sind wir dumm
gewesen! So was nicht glatt weg einzu-
sehen! Haben uns lieb und wissen es
nicht und sagen es einander nicht!«
»Aber ich habe Ihnen —«
»Du, heisst es jetzt, Miez, Du!«
»Ich habe ja gar nicht gesagt, dass
ich — Sie lieb habe! Es ist auch gar
nicht so.«
»Und die Eifersucht auf die Sirene?«
Zierleiste von j. Diez.
1896
»Ich verstehe Sie nicht! Was soll denn
ich verrathen!«
-Wie gut ihr das Rothwerden steht!
Goldkind!«
»Wenn Sie wollen, dass ich mit Ihnen
plaudern soll —-
»Gut! — Sie haben Recht! Es wäre
Schade um dies Plauderstündchen. Was
liegt auch an dem unverständigen Fürwort!
Sie oder Du! Soll ich Ihnen was erzählen,
gnädiges Fräulein?«
»Wenn es etwas Vernünftiges ist!«
»Vernünftig? Nein! Dazu ist es viel
zu hübsch! — Es war zu einer Zeit, da
ich Sie noch Miez nennen durfte, Fräulein
Wilhelmine, und alle Welt nannte Sie da-
mals noch Miez, denn Sie waren, verzeihen
Sie, noch ein Backfisch in des Wortes grün-
ster Bedeutung. Und wie grün war ich!
Ich trug die Abiturientenmütze auf den
Locken — oh ja! bitte, damals hatte ich
noch Locken —- und hatte das Herz und
den Kopf so voll von Unsinn und über-
quellendem Gefühl, dass ich meine Em-
pfindungen in Reime setzte. Für alles Hohe
und Ideale schwärmte ich —die Arbeit aus-
genommen — und was meinem Pegasus in
die Quere kam, wurde besungen. Und Sie
waren das einzige Wesen, das Sinn und Ge-
duld für meine Poesien hatte. Und dann!
Es war ein Abend im Park! Grillengezirp
und Vogelgezwitscher füllte die Luft. Wir
sassen auf einer Steinbank — sie kann auch
aus Holz gewesen sein — und schauten zu,
wie der rothe Mond über den flachen Hügeln
der Ferne heraufstieg. Ich hatte Ihnen eben
ein Gedicht mit Weltschmerzgedanken vor-
gelesen, dazu kam der Mond, die Grillen,
der Hollunderduft — und unsere Seelen
wurden weich. Es war nur Freundschaft,
Fräulein Wilhelmine, was wir uns dort
schworen — aber Freundschaft auf Tod und
Leben.«
»Die will ich Ihnen ja auch —-
»Zu viel Güte! — Damals sagten wir
uns, dass wir bis an den Rand des Grabes
gute Kameraden bleiben, uns nie etwas
verheimlichen, nichts übel nehmen wollten
unser Leben lang. Wir redeten sehr klug
und sehr geringschätzig von den Leuten,
die eine richtige Freundschaft nicht für mög-
lich hielten zwischen Mann und Weib —
nein, so präcise drückten wir uns nicht aus.
Wir sagten: zwischen jungen Leuten, wie
wir. Aber wir wollten es ihnen schon zei-
gen ! Alle Welt sollte sehen, dass wir rich-
tige Freunde seien. Und duzen wollten wir
uns auch, aller Welt zum Trotz — und wenn
die Tante Laura darüber explodirte!-
Wissen Sie noch, wie wir unseren Bund be-
siegelten? War das hübsch!«
»Sie sind unartig und waren es damals
auch!«
»Aber sie wehrten sich nicht und wir
meinten es auch so ehrlich und kindisch
mit unserm verlegenen Anfängerkuss. So-
gar unsere Nasen gingen uns dabei im Wege
um, so ungeschickt waren wir.«
»Wenn Sie nicht aufhören, von so thö-
richten Dingen zu reden, gehe ich zu Mama
hinüber in den Saal!«
»Ich bin schon zu Ende mit den thörich-
ten Dingen und es ist Schade darum! Heim
nun ist eben auch Alles dahin und zu Ende,
was wir uns damals versprochen haben für s
Leben!«
»Doch nur, dass wir Du zu einander
sagen wollten —«
»Alles Andere auch!«
- Das sehe ich doch nicht ein, Was denn
— zum Beispiel.«
»Dass wir einander nie etwas übel neh-
men wollten! Den Gontrakt habe ich selbst
gebrochen und es Ihnen sehr verübelt, dass
Sie heute dem Amtsrichter den Cotillon
gaben!«
»Oh der! Das ist ja alles nur wegen
Mama! Sie nickte mir so gebieterisch zu,
als der würdige Mann um den Tanz bat.
Und hinterdrein sagte sie etwas so Kom-
isches zu Tante Laura — etwas was ich nicht
verstand — etwas von mehreren Eisen, die
sie im Feuer habe —-
»Was für eine weitblickende Mama ha-
ben Sie doch! Und darum das Verbot! —
Und waren Sie mir nicht auch schon oft um
etwas böse, Mie— gnädiges Fräulein ? War-
um schmollten Sie denn, als wir neulich
vom Schlittschuhlaufen nach Hause gingen
und ich Ihnen die Flügelschuhe tragen woll-
te? Sie sagten: ,Bitte, ich will Andere Ihrer
Galanterie nicht berauben!1 und sagten es
bitter — wie Galle!«
»Das war, weil Sie sich so viel mit die-
ser Frau Bartow zu thun machten. Sie ist
eine Sirene, sagt —-
»Mama!«
»Jawohl! Und alle Welt sagt es! Und
Sie müssen doch nicht glauben, dass dies
echtes blondes Haar ist! Und ihr Ruf! Der
kleine Blasswitz von den Husaren soll sich
ihretwegen erschossen haben — Und sie soll
gar nicht Wittwe sein — sondern blos ge-
schieden! Sie hat ihren Mann böswillig ver-
lassen. Schulden hat sie auch.«
»Und mit diesem entsetzlichen Weibe
tanze ich heute den Cotillon!»
»Höhnen Sie nur! — Bis Sie in ihrem
Netz zappeln, bis es Ihnen geht wie dem
armen Blasswitz. Ach Arthur — sie wird
Sie sehr unglücklich machen, sie ist falsch
und so putzsüchtig und sie malt sich —
ich habe es vorhin ganz deutlich gesehen,
sie malt sich!«
»Miez!«
»Ich bitte!«
»Das Alles ist schon wieder gegen un-
sern alten Gontrakt. Wir haben uns doch
versprochen, was wir irgend einander mit-
zutheilen hätten, gerade heraus zu sagen?«
»Gewiss! Ich thue es ja eben!«
»Sie thuen es nicht und ich habe es
auch nicht gethan. Nun reden wir alle
Beide schon eine halbe Stunde um die
Sache herum und sagen uns doch nicht,
was wir uns sagen müssten!«
»Das verstehe ich nun wirklich nicht!
Was sagen müssten?«
»Dass es überhaupt mit der alten
Freundschaftsgeschichte nichts mehr sein
kann!«
»Und warum das?«
»Weil — sieh mich einmal an! — weil
wir uns dazu viel zu lieb haben, Herzens-
kind!«
»Aber was Dir einfällt, Arthur —-
»Nein, sind wir dumm, sind wir dumm
gewesen! So was nicht glatt weg einzu-
sehen! Haben uns lieb und wissen es
nicht und sagen es einander nicht!«
»Aber ich habe Ihnen —«
»Du, heisst es jetzt, Miez, Du!«
»Ich habe ja gar nicht gesagt, dass
ich — Sie lieb habe! Es ist auch gar
nicht so.«
»Und die Eifersucht auf die Sirene?«
Zierleiste von j. Diez.