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Nr. 4

JUGEND

1896

Die Jahre orgeln rasch sich ab,
Ich orgle fort bis an mein Grab;

Ich hoff’, dass reine Melodei’n
Für heuer auf der Walze sei’n!

Der grosse Brummkreisel schien ge-
waltig erbost zu sein, obwohl er eigentlich
wenig Ursache hatte, und der hölzerne liess
all die hitzigen Vorwürfe stumm über sich
ergehen. Aber der Brummkreisel schimpfte
und tobte immer weiter wie ein altes Wasch-
weib. —

„Ach Du — Du Lump! — Du hast gar
keine Berechtigung neben mir zu existiren!
-Du denkst wohl gar, Du bist meines-
gleichen, Du elender Proletarier Du! Bist
Du vielleicht auf die drei blanken Knöpfe
da an Deiner Mütze stolz? Oder darauf,
dass Du von Holz bist? — pfui Teufel: von
Holz! — Bettelpack! — Sieh mich einmal
an: ich bin von Blech! — Du mit Deinem
platten Schädel erkennst natürlich nicht den
gewaltigen Unterschied! — Ich kann auch
singen, dass alle Menschen entzückt lau-
schen; ich habe auch goldene, rosenfarbene
und dunkelblaue Bänder über Brust und
Bauch — und ein silbernes um den Hals,
während Du — Du dummer Pöbel Du! —
Dich mit schmutzigen rothen und grünen
Streifchen brüstest! — Und Deine ganze
Figur! Ich würde mich ja schämen, wenn

ich so wenig Chic besässe! Weisst Du über-
haupt, was Chic ist! — Du siehst ja aus
wie ein umgekehrter Kirchthurm — hähähä!
— Du hast ja nicht einmal einen anständigen
Bauch!-Ach Gott! Ich vergeude wahr-

haftig meine kostbare Zeit und meine kost-
bare Lunge an dieses Lumpenpack! Die ver-
dienend ja gar nicht, dass man sich mit ihrer
Beglückung abgibt!“

Der Holzkreisel war ganz starr, denn
er fühlte im Innersten, dass all diese Schelt-
worte berechtigt wären und wagte keinen
Ton zu erwidern; der andere aber fühlte
sich durch seine wuchtige Rede gewaltig
gekräftigt und erhoben: diesem Gesindel
hatte er’s endlich einmal gründlich gegeben!

Da scheuchte ihn eine Hand empor; er
musste sich drehen, unermüdlich drehen
und dazu sein eintöniges Lied brummen,
wie er’s schon tausendmal gethan hatte.
Und neben ihm wirbelte der „pöbelhafte“
Holzkreisel. — Freilich nach dem Schlage
einer Peitsche. Aber tanzen mussten sie
beide, so lange ihr Herr—der kleine Knabe —

es wünschte-höchstens durftedergrosse

dabei ärgerlich brummen. l. wetzlar.

Märkische Stimmung.

Wenn die Wolke graut, die Sonne sticht,
Bleiern der Himmel brütet:

Wand’rer, hab’ Acht! Lang währt es nicht,
Bis der Donner poltert und wüthet.

Der Himmel wird ein Feuermeer,

Der Sturm knickt Fichtenäste —

Und unter Dir und um Dich her
Nur Sümpfe und Moräste.

Doch wie’s gekommen, zieht’s vorbei
Und die Vögel im Laube frohlocken;

Die Erde, die Sonne glänzen wie neu,
Dein Fuss geht sicher und trocken.

D’rum brauchst Du vor dem märkischen

Sand

Nicht wie vor den Alpen zu zittern:

Im Ganzen ist’s ein trock’nes Land —
Trotz seinen schnellen Gewittern.

CONRAD ALBERTI.


Die „Loreley“.

Ich weiss nicht, was soll es bekunden,
Was heute so traurig mich stimmt:

Ich denk an ein Kriegsschiff, das unten
Am fernen Bosporus schwimmt.

Die Luft ist kühl, es will dunkeln
Und glatt liegt bei Stambul die Fluth —
Die „Loreley“ — höre ich munkeln —
Sei lang’ schon zu gar nichts mehr gut.

Die Kanonen — in sichern Verliessen
Des Schiffsraums liegen sie stumm:

Man wagt es,nicht, oben zu schiessen,
Sonst kippte die „Loreley“ um.

So liegt sie seit uralten Zeiten
Vor Anker am nämlichen Fleck,

Das Moos wächst ihr längst an den Seiten
Und Schwammerln und Seegras auf Deck’

Die allerunschuldigste Bö’ macht,

Dass sie die Balance verliert:

So stolz wird germanische Seemacht
Im Ausland repräsentirt.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Das Schifflein mit Mann noch und Mans>
Drum ist es am Besten, wir bringen
Den Kasten bei Zeiten nach Haus!

Und kann er soweit nicht mehr laufen,
Ist nicht viel Schaden dabei:

Wir streichen es frisch und verkaufen
Den Türken das Prachtstück für neu.

KI-KI-Kl’


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Register
J. Kerschensteiner: Zeichnung ohne Titel
Konrad Alberti: Märkische Stimmung
Ki-Ki-Ki: Die "Loreley"
L. Wetzlar: Die beiden Kreisel
[nicht signierter Beitrag]: Vignette
 
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