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1896

JUGEND

Nr. 5

ich Ihnen schon besorgen; übri-
gens — ich habe Zeit, ich werde
es gleich thun.«

An der nächsten Strassen-
ecke ist ein Laden, wie ich ihn
brauche; ich lasse einige Röcke
zusammenpacken, nehme den
Burschen mit und in kurzer Zeit
liegen die Sachen vor ihr auf
dem Bett. Nach langem Lieber-
legen wählt sie einen Rock aus
blassrosa Wolle: »Das wäre ganz
'was wunderschönes.« Sie streicht
unaufhörlich mit den mageren
Händen über den weichen Stoff
dann giebt sie mir die Hand:
»Ach sind Sie gut; ich will
auch recht für Sie beten. Jetzt
fürcht’ ich mich nicht mehr; jetzt
werd’ ich nicht mehr frieren.«

Damit legt sie sich still und
zufrieden in die Kissen zurück.

— Am zweiten Tage danach,
gehe ich in der Nachmittagsstunde
wieder hin. Vor der Thüre angekommen, höre ich von drin-
nen lautes Stampfen und Lachen; mein Klopfen wird überhört.

„Unterhaltungsabend.“

Eine Seebad-Reminiscenz.

im Tanzsaal ringsum lauern die Hyänen,

Zum Fang von Schwiegersöhnen ausgerüstet,

Die Dummheit bläht sich und der Reichthum brüstet
Mit falschen Haaren sich und falschen Zähnen.

Die Herren schwitzen und die Damen gähnen;

Kein Jüngling naht sich, den’s zu frei’n gelüstet,

Und manche Jungfrau, ach, schon halb verwüstet,
Welkt einsam hin in ungestilltem Sehnen.

Wie ich sie hasse, diese Kuppler-Reigen,

Die Läster-Mäuler, die Pikantes munkeln,

Die jeden Strandklatsch flüsternd weiter tragen!

Ach! Könnt’ ich meine Königin euch zeigen!

Wie würde sie euch allesammt verdunkeln,

Mit ihrer Schönheit eure Künste schlagen!

FRANZ WOLFBAUER.

Ich öffne. Dasselbe^Mädchen, das mir beim ersten Anblick so
abstossend erschien, tanzt wie toll im Zimmer umher — im
Unterrock — im rosawollenen.

»Was soll das heissen? Wie kommst Du zu dem Rock?«

»Jessas! Schrei’n S’mich doch net gleich so an! Was ist
denn los?«

»Wie kommst Du zu dem Rock?«

»Ja, was meinen denn Sie? Das wär’ doch schad’ ge-
wesen, um den schönen, neuen Rock. Was soll denn ’ne
Todte damit?«

»Todt! — Wann ist sie gestorben?«

»Na, vorgestern Abend. Sie waren ja Mittags noch da.
Das war a Schererei! Wir haben so keinen Platz, da haben
wir’s gleich ’nausschaffen lassen.«

»Und den Rock — den hast Du ihr fortgenommen?«

»Ja freilich! Was denn sonst? Den kann ich gut brauchen.
Da schaun’s her, wie es mir passt!«

Ich kann das grinsende Gesicht nicht mehr seh’n und
werfe die Thüre zu; hinter mir her gelles Gelächter.

— Wie ich Abends in der warmen Stube sitze und der
nasse Schnee an die Fenster schlägt, werde ich die verrückte
Idee nicht los, dass das arme Weib — nun doch friert —.

Fünf Sprüche.

Der Dir Deine Liebe genommen hat,

Der ist geschickt zu Werke gegangen.

Oder — der Schmetterling war schon matt.

Sonst hätt’ er sich nicht gefangen.

Wie still ist manch’ Ereigniss hingeflossen,

Und doch wie lange wirkt es nach, und doch
Wie freundlich wirkt’s, wie sonnenlichtumgossen,
Wenn die Erinnerung nachfrägt: Weisst Du noch?

Ein wachsender Bau, eine reifende Saat,

Ein grosses Werk, das dem Ende nah’t, —

Wer schafft und strebt, dem ist es bewusst,

Was das in sich birgt an Wonne und Lust!

Die ihr glückloser Liebe Sklaven seid,

Und könntet ihr’s, ihr würdet nicht entsagen.

Wie manche tiefe Liebe ist nur Leid

Und doch ein theures Leid und süss zu tragen!

Das Glück ist wie sonniges Wetter,

Das Glück ist wie ein feinseidenes Kleid,

Es kleidet Jeden viel netter,

Als Noth und Leid! frida schanz.

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Register
Théophile Alexandre Steinlen: Zeichnung zum Text "In der Stille"
[nicht signierter Beitrag]: Zeichnung ohne Titel
Frida Schanz: Fünf Sprüche
[nicht signierter Beitrag]: Vignette
Franz Wolfbauer: "Unterhaltungsabend"
 
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