Nr. 5
JUGEND
1896
Das halbe Venezuela
Möcht er für seine Kehla —
Wer weiss wie das geschah
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
Doch wie er sich so gierig
Zum Sprunge hat geduckt —
o tempora, o mores! —
Da hat man in Amerika
Gehörig aufgemuckt! —
o tempora, o mores! —
Der Leu, der liebt den Frieden,
Drum ist er leer geschieden —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
In Afrika, drauf dacht er,
Da kümmert’s keine Maus —
o tempora, o mores! —
Im schwarzen Erdtheil ist ja
Der Löwe wie zu Haus’ —
o tempora, o mores! —
Zwei ganze Republuken,
Die wollt’ er da verschlucken —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Bekehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
Doch auch im Kaffernlande
Schlug man ihn auf die Tatz’, —
o tempora, o mores! —
Dass er vor Wuth nur wusste
Zu fauchen wie ’ne Katz! —
o tempora, o mores! —
Mit eingeklemmtem Schwänze
Drückt er er sich weg vom Tanze —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
WILLIAM WAUER.
Die
Reichstagsschwänzer
Im Reichstag ist es ein wahrer Graus,
weil im ganzen Haus sitzen der Abgeord-
neten kaum ein Dutzend; ihre Freifahrts-
karte benutzend, belieben sie ohne Gren-
zen die Sitzungen zu schwänzen. Selbst
wenn der Herr Graf Mirbach spricht,
reizt es sie nicht und im hohen Haus
sieht es kläglich, höchst kläglich aus.
Bald sitzt auf hohem Sessel, gehalten
durch seiner Würde Fessel, nur mehr
der Präsident noch da und liest die Ger-
mania. In müssiger Ruh’ schläft ein Saal-
diener auf seinem Stuohl — warte nur
Buol, bald schläfst auch Du!
Aber die Sache ist sehr betrüblich
und durchaus nicht lieblich, denn es han-
delt sich mit nichten um wurschtige Ge-
’s Almbacherl.
Originalzeichnung von A. Schmidhammer.
schichten. Darum hat Herr v. Buol viel
nachgedacht, wie man das besser macht.
Die ersten Gedanken,die ihm kamen,
fielen auf die Damen und, in der That,
wenn man recht überlegt es hat,muss man
ihm zugeben allzumal, das gäbe ein Le-
ben unten im Saal, wenn den Reichsboten
zur Linken und Rechten, rosige Mägdlein
sitzen möchten. Doch hätte ihren Nach-
theil auch die Geschieht’, man verstände
dann bald keinen Redner nicht. Dann
dachte Herr von Buol auch schon an die
five sisters Barrisson; wenn die viel-
leicht in den Zwischenpausen chic und
lustig und comme-il-faut, mit wenig
Fleisch und viel Trikot sich Hessen be-
wundern? Doch das waren Flausen. Die
Herren vom Centrum als Wächter der
Sitten, hätten es nicht gelitten; es wär’
von den Frommen dann Keiner gekom-
men, tanzten um des Präsidenten Thron
die fünf Schwestern Barrisson.
Auch um Diäten war schon gebeten,
aber allerwegen war der Reichstag da-
gegen. Und zwar mit Recht! Denn würde
eigens dafür „geblecht“, dann blieben
Manche wie angemauert und endlos hätt’
es gedauert, bis man zu Ende eine Ses-
sion bringen könnte.
Dann ist von Freibier die Rede
gewesen — da störten die Spesen. Zwar
wird erzählt, es hätt’ nicht viel gefehlt,
dass die Brauer in Bayern bereit sich
erklärten, sie werden gratis liefern das
nöthige Bier, doch sie wollten dafür, dass
mit neuen Steuern der Gerstensaft auf
deutscher Erden nimmer dürfe belastet
werden. Und auf dies Verlangen sei Herr
von Miquel nicht eingegangen. Dann kam
man auf eine andere Methode: in jeder
Legislaturperiode wollte man dem eine
Prämie schenken, der am öftesten sass
auf des Reichstags Bänken, vielleicht
einen Orden, den niederen Adel, eine
Tabatiere, eine Busennadel, eine Windt-
horstbüste, eine gemalte Pfeife, einen
Hofrathstitel, oder eine Achselschleife
eine schwarz-roth-weisse, mit der In-
schrift: Dem Fleisse. Doch muss ich ge-
stehen, das hätte doch kindlich aus-
gesehen.
Auch ein Orchestriert wollte man kau-
fen, zu ergötzen der Abgeordneten Hau-
fen, um ihrer mehrbeisammen zu finden,
eine Reichstagskneipzeitung gründen,
man wollte, damit sie nicht ermatten,
während der Sitzung das Skatspiel ge-
statten, man wollte die Debatten illu-
strieren und lustige Bildlein projicieren
mit der Zauberlaterne auf weisse Lein-
wand — doch jeder Vorschlag fand einen
Einwand.
Ich wüsste freilich ein Mittel ohne
Prämien und Titel, das die Mitglieder
des Parlaments brächte zu stärkerer Fre-
quenz: Dass Jeder sich ehrlich selbst er-
zählt, wozu ihn eigentlich die Wähler ge-
wählt, und dass er sich sagt: Hier handelt
sich’s nicht um ein Vergnügen, sondern
um Pflicht, und dass die Herrn im hohen
Haus weniger sprächen zum Fenster hin-
aus, sondern nur zu den Collegen. Das
würde ein Segen, denn um ein Drittel
würden durch dieses Mittel kürzer Debat-
ten und Reden und erträglich für Jeden.
So aber bleibt es eine Schande, für
die ganzen deutschen Lande, dass, wie
wir als kleine Jungen manchmal hinter
die Schule gungen, so die grossen Herrn
in Berlin zum Reichstag gehören und
gehen nicht hin. o. w.
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JUGEND
1896
Das halbe Venezuela
Möcht er für seine Kehla —
Wer weiss wie das geschah
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
Doch wie er sich so gierig
Zum Sprunge hat geduckt —
o tempora, o mores! —
Da hat man in Amerika
Gehörig aufgemuckt! —
o tempora, o mores! —
Der Leu, der liebt den Frieden,
Drum ist er leer geschieden —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
In Afrika, drauf dacht er,
Da kümmert’s keine Maus —
o tempora, o mores! —
Im schwarzen Erdtheil ist ja
Der Löwe wie zu Haus’ —
o tempora, o mores! —
Zwei ganze Republuken,
Die wollt’ er da verschlucken —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Bekehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
Doch auch im Kaffernlande
Schlug man ihn auf die Tatz’, —
o tempora, o mores! —
Dass er vor Wuth nur wusste
Zu fauchen wie ’ne Katz! —
o tempora, o mores! —
Mit eingeklemmtem Schwänze
Drückt er er sich weg vom Tanze —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
WILLIAM WAUER.
Die
Reichstagsschwänzer
Im Reichstag ist es ein wahrer Graus,
weil im ganzen Haus sitzen der Abgeord-
neten kaum ein Dutzend; ihre Freifahrts-
karte benutzend, belieben sie ohne Gren-
zen die Sitzungen zu schwänzen. Selbst
wenn der Herr Graf Mirbach spricht,
reizt es sie nicht und im hohen Haus
sieht es kläglich, höchst kläglich aus.
Bald sitzt auf hohem Sessel, gehalten
durch seiner Würde Fessel, nur mehr
der Präsident noch da und liest die Ger-
mania. In müssiger Ruh’ schläft ein Saal-
diener auf seinem Stuohl — warte nur
Buol, bald schläfst auch Du!
Aber die Sache ist sehr betrüblich
und durchaus nicht lieblich, denn es han-
delt sich mit nichten um wurschtige Ge-
’s Almbacherl.
Originalzeichnung von A. Schmidhammer.
schichten. Darum hat Herr v. Buol viel
nachgedacht, wie man das besser macht.
Die ersten Gedanken,die ihm kamen,
fielen auf die Damen und, in der That,
wenn man recht überlegt es hat,muss man
ihm zugeben allzumal, das gäbe ein Le-
ben unten im Saal, wenn den Reichsboten
zur Linken und Rechten, rosige Mägdlein
sitzen möchten. Doch hätte ihren Nach-
theil auch die Geschieht’, man verstände
dann bald keinen Redner nicht. Dann
dachte Herr von Buol auch schon an die
five sisters Barrisson; wenn die viel-
leicht in den Zwischenpausen chic und
lustig und comme-il-faut, mit wenig
Fleisch und viel Trikot sich Hessen be-
wundern? Doch das waren Flausen. Die
Herren vom Centrum als Wächter der
Sitten, hätten es nicht gelitten; es wär’
von den Frommen dann Keiner gekom-
men, tanzten um des Präsidenten Thron
die fünf Schwestern Barrisson.
Auch um Diäten war schon gebeten,
aber allerwegen war der Reichstag da-
gegen. Und zwar mit Recht! Denn würde
eigens dafür „geblecht“, dann blieben
Manche wie angemauert und endlos hätt’
es gedauert, bis man zu Ende eine Ses-
sion bringen könnte.
Dann ist von Freibier die Rede
gewesen — da störten die Spesen. Zwar
wird erzählt, es hätt’ nicht viel gefehlt,
dass die Brauer in Bayern bereit sich
erklärten, sie werden gratis liefern das
nöthige Bier, doch sie wollten dafür, dass
mit neuen Steuern der Gerstensaft auf
deutscher Erden nimmer dürfe belastet
werden. Und auf dies Verlangen sei Herr
von Miquel nicht eingegangen. Dann kam
man auf eine andere Methode: in jeder
Legislaturperiode wollte man dem eine
Prämie schenken, der am öftesten sass
auf des Reichstags Bänken, vielleicht
einen Orden, den niederen Adel, eine
Tabatiere, eine Busennadel, eine Windt-
horstbüste, eine gemalte Pfeife, einen
Hofrathstitel, oder eine Achselschleife
eine schwarz-roth-weisse, mit der In-
schrift: Dem Fleisse. Doch muss ich ge-
stehen, das hätte doch kindlich aus-
gesehen.
Auch ein Orchestriert wollte man kau-
fen, zu ergötzen der Abgeordneten Hau-
fen, um ihrer mehrbeisammen zu finden,
eine Reichstagskneipzeitung gründen,
man wollte, damit sie nicht ermatten,
während der Sitzung das Skatspiel ge-
statten, man wollte die Debatten illu-
strieren und lustige Bildlein projicieren
mit der Zauberlaterne auf weisse Lein-
wand — doch jeder Vorschlag fand einen
Einwand.
Ich wüsste freilich ein Mittel ohne
Prämien und Titel, das die Mitglieder
des Parlaments brächte zu stärkerer Fre-
quenz: Dass Jeder sich ehrlich selbst er-
zählt, wozu ihn eigentlich die Wähler ge-
wählt, und dass er sich sagt: Hier handelt
sich’s nicht um ein Vergnügen, sondern
um Pflicht, und dass die Herrn im hohen
Haus weniger sprächen zum Fenster hin-
aus, sondern nur zu den Collegen. Das
würde ein Segen, denn um ein Drittel
würden durch dieses Mittel kürzer Debat-
ten und Reden und erträglich für Jeden.
So aber bleibt es eine Schande, für
die ganzen deutschen Lande, dass, wie
wir als kleine Jungen manchmal hinter
die Schule gungen, so die grossen Herrn
in Berlin zum Reichstag gehören und
gehen nicht hin. o. w.
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