1896
JUGEND
Nr. 6
Um den Dichter, der in der Boheme des Quartier
latin lebte, schaarten sich junge Bewunderer,~-die ihn
auf den Schild erhoben als Führer ihrer neuen Poeten-
schule, oft ohne selbst ihn recht zu verstehen. Die
Gruppe der „Decadenten“ sah in ihm ihren Meister,
obwohl er nichts von ihr wissen wollte. Die klare,
frische, gut französische Sprache, die er in seinen
besseren Werken gebrauchte, hat nichts gemein mit
der dunklen und geschraubten Redeweise, mit welcher
die „Decadents“ die Armuth ihrer Gedanken zu ver-
bergen suchen. Doch ging es ihm wie vielen Grossen:
Seine Verehrer wurden ihm zum Vorwurf gemacht.
Wir sehen dies in einer Karikatur von Emile Cohl
angedeutet, die in einem Flugblatt der Vanier’schen
Buchhandlung, Verlaine’s Verlagsfirma, erschien:
Der Dichter mit Teufelskrallen und der „Decadence“
als Schwanz. Als Leier hat er eine Gefängnissmauer,
als Saiten die Eisenstäbe eines Fensters.
Von seinen Werken erwähnen wir noch: «La
Bonne Chanson», «Romances sans paroles-, «Les
Poetes maudits», «Jadis et Naguöre», und «Les Me-
moires d’un Veuf».
Am 8. Januar machte ein Lungenschlag dem
Leben des Dichters ein Ende. Keiner seiner Freunde
stand ihm im letzten Stündlein zur Seite, denn keiner
hatte geglaubt, dass die Krankheit den, trotz vielen
Leidens immer noch kräftigen 52 er so rasch hin-
raffen würde. Es gab viel Trauer im Quartier latin,
dessen grösster Dichter hingeschieden war, und mit
dem Pariser Schulenviertel trauert jetzt ganz Frank-
reich um den echtesten seiner Lyriker.
Ein Busenfreund Verlaine’s, der Maler Cazals, hat
wenige Stunden nach dem Tode den Hingeschiedenen
auf seinem Sterbebett im bescheidenen Miethstübchen
gezeichnet und der „Jugend“ dieses Bild, das einzige
seiner Art, überlassen. Verlaine ruht sanft, wie im
JUGEND
Nr. 6
Um den Dichter, der in der Boheme des Quartier
latin lebte, schaarten sich junge Bewunderer,~-die ihn
auf den Schild erhoben als Führer ihrer neuen Poeten-
schule, oft ohne selbst ihn recht zu verstehen. Die
Gruppe der „Decadenten“ sah in ihm ihren Meister,
obwohl er nichts von ihr wissen wollte. Die klare,
frische, gut französische Sprache, die er in seinen
besseren Werken gebrauchte, hat nichts gemein mit
der dunklen und geschraubten Redeweise, mit welcher
die „Decadents“ die Armuth ihrer Gedanken zu ver-
bergen suchen. Doch ging es ihm wie vielen Grossen:
Seine Verehrer wurden ihm zum Vorwurf gemacht.
Wir sehen dies in einer Karikatur von Emile Cohl
angedeutet, die in einem Flugblatt der Vanier’schen
Buchhandlung, Verlaine’s Verlagsfirma, erschien:
Der Dichter mit Teufelskrallen und der „Decadence“
als Schwanz. Als Leier hat er eine Gefängnissmauer,
als Saiten die Eisenstäbe eines Fensters.
Von seinen Werken erwähnen wir noch: «La
Bonne Chanson», «Romances sans paroles-, «Les
Poetes maudits», «Jadis et Naguöre», und «Les Me-
moires d’un Veuf».
Am 8. Januar machte ein Lungenschlag dem
Leben des Dichters ein Ende. Keiner seiner Freunde
stand ihm im letzten Stündlein zur Seite, denn keiner
hatte geglaubt, dass die Krankheit den, trotz vielen
Leidens immer noch kräftigen 52 er so rasch hin-
raffen würde. Es gab viel Trauer im Quartier latin,
dessen grösster Dichter hingeschieden war, und mit
dem Pariser Schulenviertel trauert jetzt ganz Frank-
reich um den echtesten seiner Lyriker.
Ein Busenfreund Verlaine’s, der Maler Cazals, hat
wenige Stunden nach dem Tode den Hingeschiedenen
auf seinem Sterbebett im bescheidenen Miethstübchen
gezeichnet und der „Jugend“ dieses Bild, das einzige
seiner Art, überlassen. Verlaine ruht sanft, wie im