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JUGEND

1896

Ein Fund.

Faschings-Capriccio.

Eine Larve, federleicht zu wiegen,

Sah ich einst im Schneegestöber liegen,

Hob es auf, das Harrending, und heute
Prangt es an der Wand als Faschingsbeute.

Manch ein Stäublein kam derweil zu sitzen
In des Feingewebs durchbroch’ne Spitzen,

Manch ein Gastfreund kam in schnelles Fragen:
„Wardst Du Tänzer noch in alten Tagen?“

Mancher witterte ein Abenteuer,

Bis am End’ mir selber nicht geheuer
War beim Anblick jenes Schreckgesichtes,

Das beim Flackerschein des Kerzenlichtes,

Grell umkränzt vom Flammenspiel, dem rothen,
Aussah wie der Schädel eines Todten.

Das unheimliche Visir betrachtend,

Schien mir’s plötzlich, als ob heiss und schmachtend
Durch’s Oval der ausgeschnitt’nen Ringe
Dunkler Feueraugen Gluthstreif dringe,

Und das schwarze Fransenrundgewebe
Eines warmen Mundes Hauch belebe.

Blendend hob sich aus dem Schattendunkel
Arm und Nacken und Geschmeidgefunkel,

Und mit süssem Grau’n und leisem Zittern
Hört’ ich eine Seidenschleppe knittern,

Hörte heimlich einen Fächer rauschen,

Und mir war, als möcht’ ich ewig lauschen.

Und ich sprach: „Du kommst auf weichen Sohlen,
Schönes Weib, den Fund zurückzuholen;

Treulich, siehst Du, thät ich ihn bewahren!

Lass dafür mich, schönste aller Frauen,

Unverhüllt und frei Dein Antlitz schauen!

Schon verzehrt mich sehnendes Verlangen,

Sprich, o sprich! Woher kommst Du gegangen?
Sprich, wer bist Du, überirdisch Wesen?“

„Jetzt Dein Alles, bald bin ich — gewesen!“

.,. . Forschet nicht, was jetzt den Träumer weckte.
Lächelnd sah er, wie die Flamme leckte,

Feurig züngelnd höher sich erstreckte

Aus dem Fastnachtskram mit Spinnwebborden

War ein starr’ Medusenhaupt geworden.

ALFRED BKETSCHEN.

--

Reue.

Schwer ist mein Haupt und schwer ist mein Gewissen
Von Flüsterworten und von heissen Küssen,

Von Küssen schwül, gleich einer Lenznacht Schweigen,
Die blasse Blüthen weckt auf allen Zweigen —

Ungünst’gem Schicksal frevelhaft entrissen-

Schwer ist mein Haupt und schwer ist mein Gewissen.

T. RESA.

Nr. 6

Schlummer. Die feine, kleine Hand liegt auf dem
Laken, als hielte sie noch die Feder. Durch die
geöffnete Seitenthüre sieht man im Nebenraum eine
Frauengestalt: die Frau des Malers.

Priez pour le pauvre Gaspard! so sang Verlaine
auf Kaspar Hauser, mit dem er sich in seinem Unstern
verglich. Mit Wehmuth sehen wir den armen Pech-
vogel scheiden, der auf Erden keine Ruhe fand und
in dessen Leben der Schmerz den Grundton gab:

II pleure dans mon coeur
Comme il pleut sur la ville,

Quelle est cette langueur
Qui penetre mon coeur?

O bruit doux de la pluie
Par terre et sur les toits!

Pour un coeur qui s’ennuie
O le chant de la pluie!

II pleure Sans raison
Dans ce coeur qui s’ecoeure.

Quoi! nulle trahison?

Ce deuil est sans raison.

C’est bien la pire peine
De ne savoir pourquoi,

Sans amour et sans haine,

Mon coeur a tout de peine.

Paul Verlaine

Nach einem Original F. A. Cazals, (im Besitze des Herrn Dr, Bouland) Paris.


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Register
Frédéric Auguste Cazals: Paul Verlaine
Alfred Beetschen: Ein Fund. Faschings-Capriccio
T. Resa: Reue
 
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