1896
JUGEND
Nr. 6
Des Esels Ehrentrunk.
Ein steirischer Schwank, erzählt von Peter Rosegger.
Diese Geschichte hat sich zugetragen zu Bruck, in der
alten Kreisstadt an der Mur. Angespielt haben sie vier Per-
sonen: Ein Bauer, ein Bader, ein Richter und ein Esel. Ob
von diesen vieren der letztere nicht thatsächlich der Klügere
gewesen ist, wie es das ehrwürdige Geschlecht der Grauen
erheischt, das soll sich zeigrn im Laufe der Begebenheit.
Also hebt es an. Kommt einmal an einem glühheissen
Sommertage ein Bauer mit seinem Esel in die Bruckerstadt.
Als sie bei der Mühle ihre Kornbündel abgelegt gehabt haben
und nacher drauf über den Marktplatz spazieren selbander,
sagt der Bauer zu seinem Genossen: „Du, verdammt! Die
Hitz’, die ich leid!“
' „1h ah!“ meint der Esel.
„Und den Durst, den ich hab!“
„Ih ah!“ singt der Esel.
Nachher kommen sie zum Wirthshaus.
Wie sie zum Wirthshaus kommen, hängt der Bauer
seinen Kameraden mit einem Stricklein an die Planke, die unter
der Linde steht und geht hinein in die Stube auf ein frisches
Krügel. Lässt sich ihn schmecken, den Wein. Schön kühl ist
er, schön süss ist er, schön prickeln thut er auf der Zung’.
„Was ist denn das für einer?“ fragt der Bauer den Wirth.
„Das ist ein Luttenberger“, antwortet der Wirth. Es ist
ja allbekannt, dass bei Luttenberg im Unterland ein gutes
Tröpflein reift, ein gottverflucht gutes Tröpflein.
„Schau Du!“ bewundert der Bauer, „reinen Luttenberger
hast? Istdoch wohl auch sicherlich ein echter und gerechter,Du?“
Schaut der Wirth schief drein: „Was glaubst denn von
mir, Bauer? Dass ich einen unechten Wein hätt’? Einen
ungerechten Wein hätt’? Einen falschen Wein hätt’? Mein
Lieber! Das kann ich dir schon sagen, keinen echteren Lutten-
berger hast Du wohl dein Lebtag nit getrunken, als wie den da!“
„Hab’ überhaupt noch nie keinen Luttenberger getrun-
ken“, sagt der Bauer, „hab nur alleweil gehört, dass er recht-
schaffen gut soll sein, der Luttenberger.“
„Uh Halbnarr!“ lacht der Wirth auf, „der den guten
Wein beim Ohrwaschel hineinlasst, anstatt bei der Gurgel!
Darf ich noch einmal nachschenken?“
„Halt ja, halt ja! Eins tragt’s noch, ein Krügel“, sagt der
Bauer und trinkt mit Andacht den echten und gerechten Wein.
Und seine Seele hätte er mögen verschwören, der Wirth,
darüber, dass sein Wein ein echter Luttenberger ist. Denn
in seinem Hause hinterwärts wohnt der Bader. Der zahlt
keinen Zins, macht aber den Wein. Und der Bader heisst
Franz Luttenberger. Wie er ihn macht? Wasser und Wurzel-
werk, Zucker und Feigen, Zimmt und anderes Gewürz, ein
wenig Branntwein dazu, was weiss ich ! Er sagt’s ja nieman-
dem, der Bader, wie fein er mischt. In seiner lateinischen
Küche werden noch ganz andere Tränklein ausgekocht, kostet
das Flaschel achtzig Kreuzer, weiter schaden sie nicht viel.
Nun, und dass ich sage: Im Hof steht ein Trog, der ist heute
voller Luttenberger, frisch aufgekocht, glühheiss, just im jesen
(gähren); dass wir bald wieder ein neues Tröpfel zu trinken
kriegen, ein echtes und gerechtes!
Jetzt mit Verlaub zu fragen, wie geht’s dem Esel draussen
an der Planke? Dank der Nachfrag, so weit gut. Nur dass ihm
die Zeit alleweil länger wird und der Durst alleweil grösser. Der
Bauer kommt nicht vor, der sitzt drinnen fest. Die Welt ist
doch nichts nutz. Es ist der Unterschied zu gross. So philo-
sophiert der Esel und beutelt den Kopf. Bei dieser ganz harm-
los gemeinten Bewegung reisst er das Stricklein ab und
jetzt wär’ er frei und könnte gehen wohin er wollt’. — Ja,
wenn er gehen kann wohin er will, da geht er durch das Thor
hinein in den Hof und sucht den Brunnentrog, damit er sich
den Durst kann löschen. — Na nu! denkt sich der Esel, wie
er aus dem Troge trinkt, was ist denn das da für ein Wasser?
Ich kenn’ mich nit aus, ist das ein schlechtes Wasser oder
ein guter Wein! Aber schmecken thut’s nit sper! Gar nit sper
schmeckt’s! Ja, - da hör’ ich auf vom Trinken und heb’ an
zum Saufen! .. . .
Nach einer Weile, wie der Bader kommt, um nachzu-
schauen in seinem hölzernen Weingarten, ob sich der Wein
wohl gut ausreift in der Sonne, da findet er einen leeren Trog
und einen vollen Esel. Nicht bald eine reife Weinbeer’ wird
sich so schön bauchig auswachsen, wie sich unser Grauer jetzt
gezeitigt hat. Dabei wackelt er mit dem Kopf, fächelt mit den
Ohren, pustert mit der Schnauze, hüpft mit den Beinen, haut
mit dem Schwanz nach links und nach rechts und hebt lieb-
lich an zu singen: „Ih ah!“ gleichsam: Ich auch bring’ es
zuweg, viechdumm zu werden, wenn ich einen Rausch hab’!“
Der über die Maassen entsetzte Bader läuft in die Wirths-
stube: „Wem gehört der Esel da draussen?“
Der Bauer hat schon geduselt. Jetzt hebt er seinen
Kopf auf: „Esel? Von einem Esel ist die Rede? Das geht
mich an. Der Esel gehört mein“.
„Recht ist’s“, sagt der Bader mit kaltem Ernst, „Bauer,
dann machst Du mir meinen Schaden gut! Verstehst Du?
Meinen Trog Wein hat er mir ausgesoffen. Die ganze Fexung
■st beim Teuxel!“
9S
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Nr. 6
Des Esels Ehrentrunk.
Ein steirischer Schwank, erzählt von Peter Rosegger.
Diese Geschichte hat sich zugetragen zu Bruck, in der
alten Kreisstadt an der Mur. Angespielt haben sie vier Per-
sonen: Ein Bauer, ein Bader, ein Richter und ein Esel. Ob
von diesen vieren der letztere nicht thatsächlich der Klügere
gewesen ist, wie es das ehrwürdige Geschlecht der Grauen
erheischt, das soll sich zeigrn im Laufe der Begebenheit.
Also hebt es an. Kommt einmal an einem glühheissen
Sommertage ein Bauer mit seinem Esel in die Bruckerstadt.
Als sie bei der Mühle ihre Kornbündel abgelegt gehabt haben
und nacher drauf über den Marktplatz spazieren selbander,
sagt der Bauer zu seinem Genossen: „Du, verdammt! Die
Hitz’, die ich leid!“
' „1h ah!“ meint der Esel.
„Und den Durst, den ich hab!“
„Ih ah!“ singt der Esel.
Nachher kommen sie zum Wirthshaus.
Wie sie zum Wirthshaus kommen, hängt der Bauer
seinen Kameraden mit einem Stricklein an die Planke, die unter
der Linde steht und geht hinein in die Stube auf ein frisches
Krügel. Lässt sich ihn schmecken, den Wein. Schön kühl ist
er, schön süss ist er, schön prickeln thut er auf der Zung’.
„Was ist denn das für einer?“ fragt der Bauer den Wirth.
„Das ist ein Luttenberger“, antwortet der Wirth. Es ist
ja allbekannt, dass bei Luttenberg im Unterland ein gutes
Tröpflein reift, ein gottverflucht gutes Tröpflein.
„Schau Du!“ bewundert der Bauer, „reinen Luttenberger
hast? Istdoch wohl auch sicherlich ein echter und gerechter,Du?“
Schaut der Wirth schief drein: „Was glaubst denn von
mir, Bauer? Dass ich einen unechten Wein hätt’? Einen
ungerechten Wein hätt’? Einen falschen Wein hätt’? Mein
Lieber! Das kann ich dir schon sagen, keinen echteren Lutten-
berger hast Du wohl dein Lebtag nit getrunken, als wie den da!“
„Hab’ überhaupt noch nie keinen Luttenberger getrun-
ken“, sagt der Bauer, „hab nur alleweil gehört, dass er recht-
schaffen gut soll sein, der Luttenberger.“
„Uh Halbnarr!“ lacht der Wirth auf, „der den guten
Wein beim Ohrwaschel hineinlasst, anstatt bei der Gurgel!
Darf ich noch einmal nachschenken?“
„Halt ja, halt ja! Eins tragt’s noch, ein Krügel“, sagt der
Bauer und trinkt mit Andacht den echten und gerechten Wein.
Und seine Seele hätte er mögen verschwören, der Wirth,
darüber, dass sein Wein ein echter Luttenberger ist. Denn
in seinem Hause hinterwärts wohnt der Bader. Der zahlt
keinen Zins, macht aber den Wein. Und der Bader heisst
Franz Luttenberger. Wie er ihn macht? Wasser und Wurzel-
werk, Zucker und Feigen, Zimmt und anderes Gewürz, ein
wenig Branntwein dazu, was weiss ich ! Er sagt’s ja nieman-
dem, der Bader, wie fein er mischt. In seiner lateinischen
Küche werden noch ganz andere Tränklein ausgekocht, kostet
das Flaschel achtzig Kreuzer, weiter schaden sie nicht viel.
Nun, und dass ich sage: Im Hof steht ein Trog, der ist heute
voller Luttenberger, frisch aufgekocht, glühheiss, just im jesen
(gähren); dass wir bald wieder ein neues Tröpfel zu trinken
kriegen, ein echtes und gerechtes!
Jetzt mit Verlaub zu fragen, wie geht’s dem Esel draussen
an der Planke? Dank der Nachfrag, so weit gut. Nur dass ihm
die Zeit alleweil länger wird und der Durst alleweil grösser. Der
Bauer kommt nicht vor, der sitzt drinnen fest. Die Welt ist
doch nichts nutz. Es ist der Unterschied zu gross. So philo-
sophiert der Esel und beutelt den Kopf. Bei dieser ganz harm-
los gemeinten Bewegung reisst er das Stricklein ab und
jetzt wär’ er frei und könnte gehen wohin er wollt’. — Ja,
wenn er gehen kann wohin er will, da geht er durch das Thor
hinein in den Hof und sucht den Brunnentrog, damit er sich
den Durst kann löschen. — Na nu! denkt sich der Esel, wie
er aus dem Troge trinkt, was ist denn das da für ein Wasser?
Ich kenn’ mich nit aus, ist das ein schlechtes Wasser oder
ein guter Wein! Aber schmecken thut’s nit sper! Gar nit sper
schmeckt’s! Ja, - da hör’ ich auf vom Trinken und heb’ an
zum Saufen! .. . .
Nach einer Weile, wie der Bader kommt, um nachzu-
schauen in seinem hölzernen Weingarten, ob sich der Wein
wohl gut ausreift in der Sonne, da findet er einen leeren Trog
und einen vollen Esel. Nicht bald eine reife Weinbeer’ wird
sich so schön bauchig auswachsen, wie sich unser Grauer jetzt
gezeitigt hat. Dabei wackelt er mit dem Kopf, fächelt mit den
Ohren, pustert mit der Schnauze, hüpft mit den Beinen, haut
mit dem Schwanz nach links und nach rechts und hebt lieb-
lich an zu singen: „Ih ah!“ gleichsam: Ich auch bring’ es
zuweg, viechdumm zu werden, wenn ich einen Rausch hab’!“
Der über die Maassen entsetzte Bader läuft in die Wirths-
stube: „Wem gehört der Esel da draussen?“
Der Bauer hat schon geduselt. Jetzt hebt er seinen
Kopf auf: „Esel? Von einem Esel ist die Rede? Das geht
mich an. Der Esel gehört mein“.
„Recht ist’s“, sagt der Bader mit kaltem Ernst, „Bauer,
dann machst Du mir meinen Schaden gut! Verstehst Du?
Meinen Trog Wein hat er mir ausgesoffen. Die ganze Fexung
■st beim Teuxel!“
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