1890
JUGEND
Nr. 6
Der Bauer reimt sich das Ding bald zusammen und fragt:
„Hab’ ich’s ihm geschafft, dass er Dir Deinen Pantsch soll
austrinken?“
Hierauf der Bader: „Du hast Dein Vieh anzuhängen,
dass es nicht loskommt und keinen Schaden macht! Hast
mich gehört? Und wenn Dein Esel einen Schaden macht,
so wirst Du dafür hergenommen. Meinen Trog voll Wein
mach’ mir gut. Verstehst?!“
Darauf hin wird der Bauer nüchtern. Langsam bäumt
er sich auf, hoch auf! Mit der Nase pfnaust er und sagt so-
dann in gemessener Würde: „Bader! Hättest Du Deinen Wein
dort gehabt, wohin er gehört, im Keller, und mein Grauer
war’ dazu gekommen, nachher könntest aufbegehren. Wenn
der Bauer im Wirthshaus sitzt und sein Esel derweil in den
Hof geht, so hat er recht. Wenn der Esel Durst hat und zum
Brunnen geht und trinkt, so hat er auch recht. Wenn aber
im Brunnentrog das Wasser verdorben ist und das Vieh wird
krank davon — wer ist dran schuldig? Der das Wasser hat
verdorben. Und wenn das Vieh auf so ein Gesüff verreckt,
wer steht mir gut? Der den Trank hat verdorben. Du stehst
mir gut, Bader, und von Dir begehr’ ich einen gesunden Esel,
wenn der besoffene krepirt!“
So hat er gesprochen, der Bauer. Und wie der Bader
merkt, dass sein Gegner den Spiess umwendet, da wird er
höllisch wild, geht zum Gericht und verklagt den Esel, den
Esel mitsammt dem Bauern. Na, gut über das.
Jetzt, was wird da herauskommen? Der Richter ruft sie
vor. Der Bader ist Gott Lob und Dank gesund, der stellt sich
ein. Dem Bauer ist heute gewiss so so, er weiss selber nicht
recht, wie. Aber vorhanden ist er auch. Der Esel aber, der
hat schauderhaftes Kopfweh — der lässt sich entschuldigen.
Der Richter sitzt zu Gericht.
„Es ist“, sagt er und nimmt eine Prise, „es ist eine harte
Sach’. Für diesen Fall finde ich im Gesetz keinen Para-
graphen. Der Esel hat niemanden umgebracht, hat nichts
gestohlen, hat nicht Ehr abgeschnitten, hat 'kein Wort ge-
brochen, hat niemanden verzaubert oder verhext — nicht
bald so ein braver Mensch ist mir vorgekommen wie dieser
Esel. Und den soll ich schuldig sprechen? Ich müsste rein
nach dem Zechrecht vergehen, nach dem altgermanischen.
Und da haben wir zwei Fälle: Der zahlende Gast und der
freie Gast. — Saget mir einmal, lobwerther Herr Bader, hat
der Esel den Wein als stehend getrunken oder als sitzend?“
„Bank hab’ ich ihm keine hingestellt zum Trog, dem
Biest!“ gibt der Bader in seiner Entrüstung zur Antwort.
Darauf der Richter: „Also stehend. Gut. Wenn der
Angeklagte als stehend hat getrunken, so ist’s ein Stehwein
gewesen, ein Ehrentrunk. Einen Ehrentrunk haben jedoch
die alten Germanen niemandem nachgeredet. Der Stehwein
ist umsonst, der Herr Esel ist nichts schuldig.“
Was ist’s weiter? Seit dieser Entscheidung nennt man
zu Bruck an der Mur einen gepantschten Wein — des Esels
Ehrentrunk. Indessen — der Langohr verzichtete für Weiteres
auf die Ehre, er hatte einmal getrunken und er trank nicht
wieder.
Die Sittenkommission.
ln der bayrischen Kammer, da grämte sich Einer
Von Geist ein Grosser, von Körper ein Kleiner
Weil mit der Tugend auf unserer Schau-
Bühne es stünde gar so mau!
Er sprach:
„Wer, wie ich, als des Volkes Vater
Berufen sich fühlt, kann das deutsche Theater
Nur mit verbundenen Augen und Ohren
Besuchen, weil ’s allen Anstand verloren.
Da sieht man gar Vieles, was sich nicht ziemt,
Da wird viel Sittenloses gemimt,
Und wenn sich am Schlüsse mit zierlichem Neigen
Die ausgeschnittenen Damen verbeugen,
So lässt dies lächelnde Niederbücken
Das Publikum viel zu tief oft blicken.
Hab’ eigenäugig bestätigt das
Mit einem vortrefflichen Opernglas.“
Auch sonst, so sprach er, säh’ man vom Fleische
Vieles, was bess’re Bedeckung heische,
Und wär’ es auch mit Trikot übersponnen
Er sei darum doch in Scham entbrennen
Und hält' sich, so bald der Vorhang fiel,
Erröthend gewendet von diesem Spiel.
Und Dramen würden gegeben, Dramen!
Verderblich für Männer, Kinder und Damen,
Für Religion und für Moral,
Geschmack und Gesinnung gleich fatal!
In einem Stücke zum Beispiel, dem „Faust“,
Sei er vor Schrecken gar nicht geblieben,
So furchtbar habe es ihm gegraust:’
Da habe sich einer dem Teufel verschrieben
Und dieser hatte gar Böses zu sagen
Ueber die heilige Kirche und ihren Magen
Und auch die hohe Theologie
Verspottete er mit Infamie.
Ein anderes Stück, das hab’ ihn verdrossen,
Weil man da drinnen nach Obst geschossen,
Und für die lieben Gottesgaben
Sollt’ man doch mehr Verehrung haben.
Und in einem andern Stück - von Moliere,
Der auch so ein saubrer Moderner wär’
Da käme ein Mann vor, ein frommer Mann,
Der gar nichts Böses nicht leiden kann,
Voll Tugend und Keuschheit bis über die Ohren,
Kurz einer, der so recht geboren
Zu einer Leuchte der Centrumspartei —
Der wär’ dort geradezu vogelfrei
Und würde verfolgt mit tückischem Kniff,
Der Vertreter der Sitte, der arme Tartüffe.
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JUGEND
Nr. 6
Der Bauer reimt sich das Ding bald zusammen und fragt:
„Hab’ ich’s ihm geschafft, dass er Dir Deinen Pantsch soll
austrinken?“
Hierauf der Bader: „Du hast Dein Vieh anzuhängen,
dass es nicht loskommt und keinen Schaden macht! Hast
mich gehört? Und wenn Dein Esel einen Schaden macht,
so wirst Du dafür hergenommen. Meinen Trog voll Wein
mach’ mir gut. Verstehst?!“
Darauf hin wird der Bauer nüchtern. Langsam bäumt
er sich auf, hoch auf! Mit der Nase pfnaust er und sagt so-
dann in gemessener Würde: „Bader! Hättest Du Deinen Wein
dort gehabt, wohin er gehört, im Keller, und mein Grauer
war’ dazu gekommen, nachher könntest aufbegehren. Wenn
der Bauer im Wirthshaus sitzt und sein Esel derweil in den
Hof geht, so hat er recht. Wenn der Esel Durst hat und zum
Brunnen geht und trinkt, so hat er auch recht. Wenn aber
im Brunnentrog das Wasser verdorben ist und das Vieh wird
krank davon — wer ist dran schuldig? Der das Wasser hat
verdorben. Und wenn das Vieh auf so ein Gesüff verreckt,
wer steht mir gut? Der den Trank hat verdorben. Du stehst
mir gut, Bader, und von Dir begehr’ ich einen gesunden Esel,
wenn der besoffene krepirt!“
So hat er gesprochen, der Bauer. Und wie der Bader
merkt, dass sein Gegner den Spiess umwendet, da wird er
höllisch wild, geht zum Gericht und verklagt den Esel, den
Esel mitsammt dem Bauern. Na, gut über das.
Jetzt, was wird da herauskommen? Der Richter ruft sie
vor. Der Bader ist Gott Lob und Dank gesund, der stellt sich
ein. Dem Bauer ist heute gewiss so so, er weiss selber nicht
recht, wie. Aber vorhanden ist er auch. Der Esel aber, der
hat schauderhaftes Kopfweh — der lässt sich entschuldigen.
Der Richter sitzt zu Gericht.
„Es ist“, sagt er und nimmt eine Prise, „es ist eine harte
Sach’. Für diesen Fall finde ich im Gesetz keinen Para-
graphen. Der Esel hat niemanden umgebracht, hat nichts
gestohlen, hat nicht Ehr abgeschnitten, hat 'kein Wort ge-
brochen, hat niemanden verzaubert oder verhext — nicht
bald so ein braver Mensch ist mir vorgekommen wie dieser
Esel. Und den soll ich schuldig sprechen? Ich müsste rein
nach dem Zechrecht vergehen, nach dem altgermanischen.
Und da haben wir zwei Fälle: Der zahlende Gast und der
freie Gast. — Saget mir einmal, lobwerther Herr Bader, hat
der Esel den Wein als stehend getrunken oder als sitzend?“
„Bank hab’ ich ihm keine hingestellt zum Trog, dem
Biest!“ gibt der Bader in seiner Entrüstung zur Antwort.
Darauf der Richter: „Also stehend. Gut. Wenn der
Angeklagte als stehend hat getrunken, so ist’s ein Stehwein
gewesen, ein Ehrentrunk. Einen Ehrentrunk haben jedoch
die alten Germanen niemandem nachgeredet. Der Stehwein
ist umsonst, der Herr Esel ist nichts schuldig.“
Was ist’s weiter? Seit dieser Entscheidung nennt man
zu Bruck an der Mur einen gepantschten Wein — des Esels
Ehrentrunk. Indessen — der Langohr verzichtete für Weiteres
auf die Ehre, er hatte einmal getrunken und er trank nicht
wieder.
Die Sittenkommission.
ln der bayrischen Kammer, da grämte sich Einer
Von Geist ein Grosser, von Körper ein Kleiner
Weil mit der Tugend auf unserer Schau-
Bühne es stünde gar so mau!
Er sprach:
„Wer, wie ich, als des Volkes Vater
Berufen sich fühlt, kann das deutsche Theater
Nur mit verbundenen Augen und Ohren
Besuchen, weil ’s allen Anstand verloren.
Da sieht man gar Vieles, was sich nicht ziemt,
Da wird viel Sittenloses gemimt,
Und wenn sich am Schlüsse mit zierlichem Neigen
Die ausgeschnittenen Damen verbeugen,
So lässt dies lächelnde Niederbücken
Das Publikum viel zu tief oft blicken.
Hab’ eigenäugig bestätigt das
Mit einem vortrefflichen Opernglas.“
Auch sonst, so sprach er, säh’ man vom Fleische
Vieles, was bess’re Bedeckung heische,
Und wär’ es auch mit Trikot übersponnen
Er sei darum doch in Scham entbrennen
Und hält' sich, so bald der Vorhang fiel,
Erröthend gewendet von diesem Spiel.
Und Dramen würden gegeben, Dramen!
Verderblich für Männer, Kinder und Damen,
Für Religion und für Moral,
Geschmack und Gesinnung gleich fatal!
In einem Stücke zum Beispiel, dem „Faust“,
Sei er vor Schrecken gar nicht geblieben,
So furchtbar habe es ihm gegraust:’
Da habe sich einer dem Teufel verschrieben
Und dieser hatte gar Böses zu sagen
Ueber die heilige Kirche und ihren Magen
Und auch die hohe Theologie
Verspottete er mit Infamie.
Ein anderes Stück, das hab’ ihn verdrossen,
Weil man da drinnen nach Obst geschossen,
Und für die lieben Gottesgaben
Sollt’ man doch mehr Verehrung haben.
Und in einem andern Stück - von Moliere,
Der auch so ein saubrer Moderner wär’
Da käme ein Mann vor, ein frommer Mann,
Der gar nichts Böses nicht leiden kann,
Voll Tugend und Keuschheit bis über die Ohren,
Kurz einer, der so recht geboren
Zu einer Leuchte der Centrumspartei —
Der wär’ dort geradezu vogelfrei
Und würde verfolgt mit tückischem Kniff,
Der Vertreter der Sitte, der arme Tartüffe.
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