Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 7

IUGEND

1896

Ein Aschermittwoch.

Wir hatten uns sechs oder sieben Mal
in jenem langen Fasching getroffen, aber
nur da, wo Maskenfreiheit galt und Larven
getragen wurden, denn ich sah sie nie ohne
Larve. Vielleicht trafen wir uns auch sonst
noch hin und wieder auf einem Ball, auf
der Strasse, im Theater — ich weiss es
nicht und sie hat es mir jedenfalls nicht
verrathen.

Sie kam immer im schwarzen Domino
und hatte immer die gleiche Nadel am
Busen stecken, an der ich sie erkannte:
ein goldenes Mistelzweiglein mit Perlen-
beeren.

Mit dem ersten Blick hatte sie mich
gefesselt. Sie war eher klein, als gross.
Von ihrer Gestalt liess das bauschige
Seidengewand nicht viel mehr erkennen,
als dass sie geschmeidig und schlank war.
Ein Stückchen Arm, zwischen dem hohen
schwarzen Handschuh und dem Aermel,
war voll und weiss, der Ansatz des Halses
an die Schulter so schön, wie man ihn
selten sieht. Es war zum Entzücken, wenn
sie diesen schlanken Hals bewegte und sie
drehte das Köpfchen gerne ein wenig kokett
hin und her, als wüsste sie, wie gut ihr
das stand. In ihrem Nacken kräuselte sich
dichtes dunkles Haar. Auch ihren Mund
habe ich gesehen, einen nicht zu kleinen
Mund mit vollen, rothen Lippen, die lachen
konnten, lachen, dass Einem das Herz im
Leibe mitlachen musste, auch wenn es
bang und traurig gewesen war. Auch
schmollen sah ich diese Lippen, und sie
sind auch dann nicht minder hübsch ge-
wesen.

Sie war immer sehr gut angezogen und
vermied dabei einen übertriebenen Chic
ebenso geschmackvoll wie alles Spiess-
bürgerliche und Alltägliche. Allerliebst
waren stets ihre kleinen, feinen Schuhe —
„ein köstlich Ding an Frauen!“ — frei
nach Lear!

Zuerst trafen wir uns zufällig und plau-
derten ungezwungen, wie zwei Leute, denen
der Mummenschanz mit seinen Freiheiten

nichts Neues mehr ist. Unser Gespräch
kam schnell in Fluss und war in einigen
Minuten lebhaft und reizvoll; das war
schon ein Zeichen dafür, dass unsere
Seelen einander verstanden. Wir sprachen
nicht vom Schlittschuhlaufen und nicht
vom Wetter, nicht von Sudermann und
nicht von Mascagni. Auf Verlegenheits-
themen gerieth man gar nicht in ihrer
Gesellschaft. Als wir zum ersten Male
auseinandergingen, bat ich sie um ein
Wiedersehen.

„O ja im Domino!“

„Und das Erkennungszeichen?“ Sie
deutete auf die goldene Mistel.

Acht Tage später traf ich sie auf dem
Opernball. Wir sprachen wieder nicht vom
Theater oder anderem Nothbehelf; immer
von uns selbst, immer vom lebendigen
Leben. Beim Auseinandergehen sagte sie
mir freiwillig, wo sie nächstens zu treffen
sein werde. Immer hinter der Maske na-
türlich!

So begegneten wir uns bald da, bald
dort und wir blieben dann stets zusammen,
bis sie nach Hause fuhr. Bis an den Wagen
ging ich mit; ich hatte versprechen müssen,
ihr aber nie weiter zu folgen. Ob sie meinet-
wegen kam, weiss ich nicht, doch es mochte
wohl sein. Dass ich ihretwegen kam, weiss
ich gewiss. Und bald kam ich nur allzu
gerne!

Ich war verliebt in einen Domino!
Wer war sie? Eine Dame der »ganzen«
Welt oder ein Dämchen der halben? Eine
Frau? Ein Mädchen? Wenn ich sie fragte,
oder gar auf Umwegen eine Auskunft zu
ergattern suchte, lachte sie mit ihrem hell- j
sten Lachen und gab mir die Antwort:

„Chi lo sa? Wer weiss es?“

Madonna Chilosa nannte ich sie denn
auch.

Sie sprach nie ein allzu freies Wort,
verübelte aber auch einen Scherz nicht, der
kecker war, als das übliche Ballgespräch.
Als ich einmal in einem unbewachten
Augenblick die Lippen auf ihre Schulter
drückte, schlug sie mich weder mit dem
Fächer in’s Gesicht, noch fuhr sie zornig
auf. Sie sagte ganz ruhig, bittend fast:

„Lass’ das, sonst komme ich nicht
wieder!“

Da liess ich es und je öfter wir uns
trafen, desto mehr liess ich von dem, was
ich vorher gewagt. Auch im Reden, ob-
wohl da die Versuchung, ein wenig imper-
tinent zu sein, ziemlich gross war. Drehte
sich doch unser Gespräch zumeist im Kreise
um Herzensfragen. Dass dies nie eintönig
und nie gefährlich wurde, weiss ich heute
kaum mehr zu fassen. Fing ich je einmal
an, von schöngeistigen Dingen zu reden,
so gab sie meist eine kurze, oft eine gute
Antwort, brach dann aber ah. Es schien,
als hätte sie eher Bildung, als Unbildung
zu verbergen.

Natürlich hatte ich sie schon am Schlüs-
se des ersten Ballabends gebeten, die Mas-
ke zu lüften. Sie schüttelte lachend den
Kopf und entschwand, als es Zeit wurde,
sich zu demäskiren.

Gerade so das zweite Mal.

Auf dem dritten Maskenball waren wir
schon gute Freunde. Damals versprach
sie mir, am letzten Abend des Garnevals die
Maske abzunehmen, wenn ich artig bliebe.

Nun drängte ich nicht mehr. Mit jeder
Begegnung freilich wuchs meine Neugier,
aber jedesmal mischte sich auch stärkeres
Bangen dazu.

War sie wirklich der mächtigen Re-
gung werth, die mir das Blut so stürmisch
zum Herzen drängte, wenn ich nur von
Weitem ihre wohlbekannte, vermummte
Gestalt auf mich zuschreiten sah? War
sie schön? War sie jung? War sie ver-
blüht? Gut? Schlecht?

Dass sie nicht hässlich sein könne,
stand in mir fest. Dass sie jung sei, dafür
sprach der feingedrechselte Hals — nicht
mehr siebzehn- oder achtzehnjährig, das
bewiesen die frauenhaften Schultern. Das
bewies übrigens auch die Art, wie sie vom
Leben sprach.

Was würde ich inne, wenn die Maske
fiel? Eine solche Frage sollte Einem nicht
mehr sehr viel Herzklopfen machen, wenn
man sechsunddreissig Jahre zählt und nicht
gerade mehr zum ersten Mal vor einem
holden Räthsel steht. Es gab aber Nächte,

102
Register
Julius Diez: Zierleisten
O. [Ostini]: Ein Aschermittwoch
 
Annotationen