1896
JUGEND
Nr. 7
in denen ich um dieser Frage willen nicht ein-
schlafen konnte, es gab eine Nacht, in der ich
meinte, durch sie von Sinnen zu kommen, mir
das Thörichteste vornahm, die unsinnigsten Zu-
kunftspläne machte.
Aber schliesslich sucht man sich sein Weib
doch nicht hinter der Larve!
Sein Weib! Soweit war ich schon — und
ich wusste nicht, ob sie nicht einem Andern, ob
sie nicht — aller Welt gehörte! Gar nichts wusste
ich von ihr.
War ich wieder bei Dame Chilosa, dann war
der Sturm vertobt, ich plauderte mit ihr, senkte
meinen Blick in die Tiefe ihrer Augen, hörte den
Wohllaut ihrer Stimme und war glücklich. Dann
hatte ich auch das bestimmte Gefühl, dass sie
jung, reizend, gut und klug sein müsse.
Ging ich aber ein paar Stunden später nach
Hause durch die Winternacht, deren eisige Luft
Stirne und Gedanken abkühlte, so kam wieder
das unselige: „Aber wenn doch ... “ über mich.
Es war der letzte Abend des Faschings. Wir
hatten ein Tischlein in einem wundervoll ab-
gelegenen Nebenraum des Ballsaales erobert und
vor uns stand eine Flasche Champagner. Zum
ersten Male seit unserer Bekanntschaft. Bisher
hatte sie nie eine andere Erfrischung von mir
angenommen, als ein Glas Limonade, oder eine
Tasse Eis.
„Heute ist es ja doch das letzte Mal,“ hatte
ich gebeten.
„Also zum Abschied!“
Mir war es, als ob ihre Stimme zitterte. Ich
schenkte ihr ein; sie hob den Schleier der Larve
ein wenig in die Höhe und mein Blick hing
durstig an ihrem Mund.
„Heute werde ich endlich Dein Gesicht sehen!“
Ich brachte die Worte kaum heraus vor Erreg-
ung. Sie lachte ganz leise.
„Wenn es zwölf Uhr geschlagen hat — am
Aschermittwoch Morgen“.
Nun plauderten wir wieder von Anderem.
Hastiger, unruhiger als sonst, und mit längeren
Pausen. Auch sie schien erregt. Als ich ein-
mal ihre Hand streifte mit der meinigen, hielt
sie diese einen Augenblick fest. Nur einen
Augenblick; es war aber doch ein leiser Druck,
den ich spürte.
Unsere Gläser klangen wieder zusammen.
„Auf das Glück der nächsten Stunde.“
„Auf Dein Glück in dieser und jeder späteren.“
„Auf Deins, Du Liebe, Schöne!“
„Lieb, schön?“
„Ich weiss, dass Du es bist!“
„Chi lo sa!“
Nun wurden wir wiederum ganz still mitten
in dem wüsten, tobenden Treiben der letzten
Garnevalsnacht. Um uns schwirrten die Masken.
Am Nebentische presste sich hinter einem Riesen-
fächer ein Paar in wildem Begehren aneinander.
Nebendran sass ein einsamer Pierrot, den Katzen-
jammer eines ganzen Garnevals in seinem mehl-
bestäubten Gesicht und schlief, des Lärms un-
geachtet, den Schlaf des Ungerechten. Ein Clown
in gelbem Glanzleinen strich herbei und kniff
meine Unbekannte in den Arm. Ich gab dem
steifleinenen Humoristen einen Rippenstoss.
„Maskenfreiheit!“ brüllte er, nahm es aber wei-
ter nicht übel.
Immer heisser wurde der Saal, immer schwüler
die Lustigkeit der Menschen, ln der Luft lag
der Rausch.
„Hast Du mich lieb?“ Mit dieser thörichten
Frage brach ich das Schweigen.
„Warum antwortest Du nicht! Sag’ wenig-
stens Nein!“
„Ein Ja und ein Nein würden Dir gleich
wenig helfen!“
Zierleiste von F. Hass.
Zwölf Uhr!
Dröhnend, langsam, schaurig fast in diesen
Trubel der Narrheit hinein klangen die zwölf
Schläge vom nahen Thurm des Münsters.
„Zwölf Uhr!“ rief ich.
„Aschermittwoch!“ gab sie zur Antwort. Ich
fasste ihre Hand.
„Wirst Du Wort halten und Dich demaskiren?“
„Ja — wenn D u es willst!“
Einen Augenblick zögerte sie noch, dann
nestelte sie an ihrem Kopfputz, die Larve loszu-
machen. Der Knoten wollte sich nicht öffnen
lassen.
„Du musst mir schon behilflich sein!“
Ich stand auf mit hochklopfendem Herzen.
Für mich war das nicht mehr das flüchtige Räthsel
einer Ballnacht, was sich da lösen sollte; es
war eine durch Wochen gesteigerte, geschürte
Leidenschaft, die mich gequält hatte, —• die
nun vielleicht ein Ende haben, oder noch un-
heilvoller auflodern mochte.
Ein namenloses Bangen überkam mich, nicht
ein Bangen vor Unheil, oder eines vor der Zer-
störung eines Wahnes, der mir so lieb geworden.
Ich stand neben ihr, sah ihre blitzenden Augen
zu mir emporgerichtet und hörte sie sagen:
„Nun, Du weisst es ja so gewiss, dass ich
nicht alt und nicht hässlich bin!“
„Das wäre am Wenigsten schlimm und das
beste Mittel, mich von diesem thörichten Herz-
klopfen zu kuriren!“
„Mit diesem Mittel kann ich aber leider nicht
dienen!“
„Weisst Du, dass ich versucht bin, Deinen
Schleier ungehoben zu lassen, liebes verschleiertes
Bild! Am Ende wäre es klüger!“
„Am Ende!“
Mit einem Male wurde der Entschluss in mir
reif, dass meine Unbekannte mir auch unbe-
kannt bleiben sollte und je klarer der Entschluss
ward, desto ruhiger strömte mein Blut wieder
durch die Adern. Den holdseligen Traum als
Traum erhalten — das war das Rechte!
Der ganze magische Reiz, der mich zu dem
berauschenden Wesen hinzog, konnte mit einem
Schlage verflogen sein, wenn ich ihr Gesicht
sah. Irgend ein böses Fältelten um ihr Auge
konnte die Illusion zerstören. Und ein Glück,
das Einem hinterher ausgestrichen wird aus dem
dünnen Büchlein unserer Freuden, das wird zum
bittern Leid. Jetzt war Dame Chilosa für mich
noch lieb, schön und gut! Sie sollte es für
mich bleiben!
„Ich lasse Dir Deine Maske, vielleicht ist’s
das Beste für uns Beide!“
„In irgend einem Sinne'gewiss!“
Ich hatte die Gläser wieder voll gegossen und
wir stiessen an: „Auf ein Wiederbegegnen, irgend-
wo, irgendwann, aber in guter Stunde! Es kann
ja sein, dass es sich fügt!“
„Es kann sein! Chi lo sa!“
Sie nickte mir freundlich zu und ihre Augen
glänzten feucht. Dann hob sie den Schleier der
Larve hoch, um zu trinken. Ich sah ihren Mund
wieder und sah, wie er blühend und jung war.
Wieder ein kleines Toben in der linken Brust-
seite. Dann war’s überwunden.
Nun blieben wir ganz unbefangen noch eine
Weile bei einander und gedachten scherzend der
vergangenen Wochen, lachten über den Schwarm
überhitzter und doch schon halbernüchterter Men-
schen im Saal. Auf keinem Gesicht war eine
reine und ruhige Freude zu lesen. Lieber Allen
lag schon der Schatten der Reue, der Sorge, der
Uebersättigung. Die meisten Frauen hatten jetzt
die Larven abgelegt — aber kein einziges von
allen diesen Gesichtern kam mir anziehend vor.
Unser gelber Clown tänzelte wieder vorbei:
„Demaskiren!“ schrie er.
Fast gleichzeitig erhoben wir uns, Dame Chi-
losa und ich — wir verstanden uns schon, ohne
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in denen ich um dieser Frage willen nicht ein-
schlafen konnte, es gab eine Nacht, in der ich
meinte, durch sie von Sinnen zu kommen, mir
das Thörichteste vornahm, die unsinnigsten Zu-
kunftspläne machte.
Aber schliesslich sucht man sich sein Weib
doch nicht hinter der Larve!
Sein Weib! Soweit war ich schon — und
ich wusste nicht, ob sie nicht einem Andern, ob
sie nicht — aller Welt gehörte! Gar nichts wusste
ich von ihr.
War ich wieder bei Dame Chilosa, dann war
der Sturm vertobt, ich plauderte mit ihr, senkte
meinen Blick in die Tiefe ihrer Augen, hörte den
Wohllaut ihrer Stimme und war glücklich. Dann
hatte ich auch das bestimmte Gefühl, dass sie
jung, reizend, gut und klug sein müsse.
Ging ich aber ein paar Stunden später nach
Hause durch die Winternacht, deren eisige Luft
Stirne und Gedanken abkühlte, so kam wieder
das unselige: „Aber wenn doch ... “ über mich.
Es war der letzte Abend des Faschings. Wir
hatten ein Tischlein in einem wundervoll ab-
gelegenen Nebenraum des Ballsaales erobert und
vor uns stand eine Flasche Champagner. Zum
ersten Male seit unserer Bekanntschaft. Bisher
hatte sie nie eine andere Erfrischung von mir
angenommen, als ein Glas Limonade, oder eine
Tasse Eis.
„Heute ist es ja doch das letzte Mal,“ hatte
ich gebeten.
„Also zum Abschied!“
Mir war es, als ob ihre Stimme zitterte. Ich
schenkte ihr ein; sie hob den Schleier der Larve
ein wenig in die Höhe und mein Blick hing
durstig an ihrem Mund.
„Heute werde ich endlich Dein Gesicht sehen!“
Ich brachte die Worte kaum heraus vor Erreg-
ung. Sie lachte ganz leise.
„Wenn es zwölf Uhr geschlagen hat — am
Aschermittwoch Morgen“.
Nun plauderten wir wieder von Anderem.
Hastiger, unruhiger als sonst, und mit längeren
Pausen. Auch sie schien erregt. Als ich ein-
mal ihre Hand streifte mit der meinigen, hielt
sie diese einen Augenblick fest. Nur einen
Augenblick; es war aber doch ein leiser Druck,
den ich spürte.
Unsere Gläser klangen wieder zusammen.
„Auf das Glück der nächsten Stunde.“
„Auf Dein Glück in dieser und jeder späteren.“
„Auf Deins, Du Liebe, Schöne!“
„Lieb, schön?“
„Ich weiss, dass Du es bist!“
„Chi lo sa!“
Nun wurden wir wiederum ganz still mitten
in dem wüsten, tobenden Treiben der letzten
Garnevalsnacht. Um uns schwirrten die Masken.
Am Nebentische presste sich hinter einem Riesen-
fächer ein Paar in wildem Begehren aneinander.
Nebendran sass ein einsamer Pierrot, den Katzen-
jammer eines ganzen Garnevals in seinem mehl-
bestäubten Gesicht und schlief, des Lärms un-
geachtet, den Schlaf des Ungerechten. Ein Clown
in gelbem Glanzleinen strich herbei und kniff
meine Unbekannte in den Arm. Ich gab dem
steifleinenen Humoristen einen Rippenstoss.
„Maskenfreiheit!“ brüllte er, nahm es aber wei-
ter nicht übel.
Immer heisser wurde der Saal, immer schwüler
die Lustigkeit der Menschen, ln der Luft lag
der Rausch.
„Hast Du mich lieb?“ Mit dieser thörichten
Frage brach ich das Schweigen.
„Warum antwortest Du nicht! Sag’ wenig-
stens Nein!“
„Ein Ja und ein Nein würden Dir gleich
wenig helfen!“
Zierleiste von F. Hass.
Zwölf Uhr!
Dröhnend, langsam, schaurig fast in diesen
Trubel der Narrheit hinein klangen die zwölf
Schläge vom nahen Thurm des Münsters.
„Zwölf Uhr!“ rief ich.
„Aschermittwoch!“ gab sie zur Antwort. Ich
fasste ihre Hand.
„Wirst Du Wort halten und Dich demaskiren?“
„Ja — wenn D u es willst!“
Einen Augenblick zögerte sie noch, dann
nestelte sie an ihrem Kopfputz, die Larve loszu-
machen. Der Knoten wollte sich nicht öffnen
lassen.
„Du musst mir schon behilflich sein!“
Ich stand auf mit hochklopfendem Herzen.
Für mich war das nicht mehr das flüchtige Räthsel
einer Ballnacht, was sich da lösen sollte; es
war eine durch Wochen gesteigerte, geschürte
Leidenschaft, die mich gequält hatte, —• die
nun vielleicht ein Ende haben, oder noch un-
heilvoller auflodern mochte.
Ein namenloses Bangen überkam mich, nicht
ein Bangen vor Unheil, oder eines vor der Zer-
störung eines Wahnes, der mir so lieb geworden.
Ich stand neben ihr, sah ihre blitzenden Augen
zu mir emporgerichtet und hörte sie sagen:
„Nun, Du weisst es ja so gewiss, dass ich
nicht alt und nicht hässlich bin!“
„Das wäre am Wenigsten schlimm und das
beste Mittel, mich von diesem thörichten Herz-
klopfen zu kuriren!“
„Mit diesem Mittel kann ich aber leider nicht
dienen!“
„Weisst Du, dass ich versucht bin, Deinen
Schleier ungehoben zu lassen, liebes verschleiertes
Bild! Am Ende wäre es klüger!“
„Am Ende!“
Mit einem Male wurde der Entschluss in mir
reif, dass meine Unbekannte mir auch unbe-
kannt bleiben sollte und je klarer der Entschluss
ward, desto ruhiger strömte mein Blut wieder
durch die Adern. Den holdseligen Traum als
Traum erhalten — das war das Rechte!
Der ganze magische Reiz, der mich zu dem
berauschenden Wesen hinzog, konnte mit einem
Schlage verflogen sein, wenn ich ihr Gesicht
sah. Irgend ein böses Fältelten um ihr Auge
konnte die Illusion zerstören. Und ein Glück,
das Einem hinterher ausgestrichen wird aus dem
dünnen Büchlein unserer Freuden, das wird zum
bittern Leid. Jetzt war Dame Chilosa für mich
noch lieb, schön und gut! Sie sollte es für
mich bleiben!
„Ich lasse Dir Deine Maske, vielleicht ist’s
das Beste für uns Beide!“
„In irgend einem Sinne'gewiss!“
Ich hatte die Gläser wieder voll gegossen und
wir stiessen an: „Auf ein Wiederbegegnen, irgend-
wo, irgendwann, aber in guter Stunde! Es kann
ja sein, dass es sich fügt!“
„Es kann sein! Chi lo sa!“
Sie nickte mir freundlich zu und ihre Augen
glänzten feucht. Dann hob sie den Schleier der
Larve hoch, um zu trinken. Ich sah ihren Mund
wieder und sah, wie er blühend und jung war.
Wieder ein kleines Toben in der linken Brust-
seite. Dann war’s überwunden.
Nun blieben wir ganz unbefangen noch eine
Weile bei einander und gedachten scherzend der
vergangenen Wochen, lachten über den Schwarm
überhitzter und doch schon halbernüchterter Men-
schen im Saal. Auf keinem Gesicht war eine
reine und ruhige Freude zu lesen. Lieber Allen
lag schon der Schatten der Reue, der Sorge, der
Uebersättigung. Die meisten Frauen hatten jetzt
die Larven abgelegt — aber kein einziges von
allen diesen Gesichtern kam mir anziehend vor.
Unser gelber Clown tänzelte wieder vorbei:
„Demaskiren!“ schrie er.
Fast gleichzeitig erhoben wir uns, Dame Chi-
losa und ich — wir verstanden uns schon, ohne
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