Nr. 7
JUGEND
1896
zu reden — und gingen. Ich half ihr in
den Pelz mit der freundlichen Sorgfalt
eines Gatten, der seiner Pflichten und
Rechte sicher ist, und geleitete sie an
den Wagen, der ihrer harrte. Ein letzter
Händedruck. Sie blieb vor dem Wagen
noch einen Augenblick zögernd stehen,
— ich fühlte, dass sie zum Abschied
irgend etwas thun oder sagen wollte.
Dann stieg sie rasch ein — die Räder
rollten davon. —
Vorbei!
Ich selbst ging nach Hause und liess
mich von dem Thauwind anwehen, der
mächtig hereinbrach. Man spürte die
Luft lind um den Hals, wie ein paar
weiche Arme. Die Gassen waren dicht
belebt von maskirten und bürgerlich ge-
kleideten Menschen. Vor mir schwankte
der gelbe Hanswurst, unser Gespenst
dieser Nacht, einher und kröhlte, den
schlaftrunkenen Pierrot vom Nebentisch
mit sich ziehend:
„Lass’ zu dem Glauben dich be-
kehren:
Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!“
Arme Teufel! Wie wird es ihnen in
ein paar Stunden im Schädel brummen!
Und wie viele Leute von allen diesen
überhaupt werden sich ihres Ascher-
mittwochs freuen? Wüste Köpfe, leere
Börsen, ausgebrannte oder übervolle
Herzen, bang vor frevelhaft beschwor-
nem Glück und noch bänger vor dem,
was nach ihm kommt! Wie viel Katzen-
jammer um verschwendete Zeit, ver-
schwendetes Gut, verschwendetes Ge-
fühl! Wieviel gelähmte Kraft, wieviel
Zerstreuung in Gehirnen, die Grund
hätten, gesammelt und klar zu bleiben !
Aschermittwoch!
Wie ganz anders endete dieses Mal
für mich der Fasching! Ich war ver-
gnügt, wie ein Verliebter, aber ohne
Bangen, ohne Gewissensbisse, ohne
Eifersucht, ohne Verlangen. Der Gegen-
stand meiner Liebe war nicht mehr,
war in Nebel zerflossen. Wer wird Herz-
weh haben um ein Phantom!
So sollte man sich alle Illusionen
erhalten können im Leben!
Und etwas wie eine ganz leise Hoff-
nung lebte doch zu tiefst auf dem Grunde
dieser Empfindungen: einmal blitzen
mir vielleicht dennoch aus dem Gewühl
des Lebens ein paar tiefschwarze, wohl-
bekannte Augen entgegen und aus der
wesenlosen Liebe zu einer Maske blüht
am Ende noch ein leibhaftiges Glück
auf! Vielleicht, irgendwo, irgendwann!
Chi lo sa! o.
Fasching.
Wie eine reife, süsse Dolde
Hing Deine Güte über mir,
Im Rausche griff ich nach dem Golde
Und streifte schon an deine Zier.
Da hat ein graugewob’ner Schleier
Mir Deinen Liebreiz jäh vermummt
Und unsrer Seelen bunte Feier
Ist ohne Klagelaut verstummt.
OTTO ERICH HARTLEBEN.
G
Liebeslist.
Gesegnet soll die Eisenbahn sein! —
Verzeih’ ihnen, Herrgott, die Sünde!
Es geben sich täglich dort Stelldichein
Der Max und die Wumbalinde.
Sie üben beide dort argen Betrug,
Ich finde von ihnen das hässlich, —
Sie nehmen Abschied bei jedem Zug
Und küssen und knutschen sich
grässlich.
Man trennt sich dann, übermannt vom
Gefühl,
Doch trifft man sich wieder mit Schläue
Und dann beginnt das süsse Spiel
Beim nächsten Zuge auf’s Neue. -—
Sie segnen beide die Eisenbahn —
Und pfeift es, so weiss ich’s zu deuten:
Jetzt fangen zum Abschied sie wieder an,
Sich zu küssen vor allen Leuten. —
IGNAZ RAVER.
Sprüche.
Frische knusperige Jugend
Hab’ ich immer gut vertragen,
Aber altgeback’ne Tugend —
Die verdirbt mir leicht den Magen.
♦x y
Tragt die Nase noch so hoch —
Schneuzen müsst ihr sie ja doch!
Gottesfurcht und Geisselhiebe
Sind billiger als Menschenliebe.
*x
Begeist’rungnennt man es im Lebensmai
Und im November Jugendeselei.
■*x
Ein jeder Dummkopf kann Respekt
verlangen,
Sobald ihm erst die Haare ausgegangen.
Unter den Gerüchen geht mir nur
Aas und Weihrauch wider die Natur.
*x
Was gibt euch Alten denn das Recht,
Dass ihr verächtlich die Achseln zuckt?
Der Jugend Fehler sind alle echt,
Ein heraldischer Scherz von J. Diez. Oltd eure Tugenden Kunstprodukt. MO.
WAPPEN
Dir RO'TM BOLI -OTEN.+++ -
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JUGEND
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zu reden — und gingen. Ich half ihr in
den Pelz mit der freundlichen Sorgfalt
eines Gatten, der seiner Pflichten und
Rechte sicher ist, und geleitete sie an
den Wagen, der ihrer harrte. Ein letzter
Händedruck. Sie blieb vor dem Wagen
noch einen Augenblick zögernd stehen,
— ich fühlte, dass sie zum Abschied
irgend etwas thun oder sagen wollte.
Dann stieg sie rasch ein — die Räder
rollten davon. —
Vorbei!
Ich selbst ging nach Hause und liess
mich von dem Thauwind anwehen, der
mächtig hereinbrach. Man spürte die
Luft lind um den Hals, wie ein paar
weiche Arme. Die Gassen waren dicht
belebt von maskirten und bürgerlich ge-
kleideten Menschen. Vor mir schwankte
der gelbe Hanswurst, unser Gespenst
dieser Nacht, einher und kröhlte, den
schlaftrunkenen Pierrot vom Nebentisch
mit sich ziehend:
„Lass’ zu dem Glauben dich be-
kehren:
Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!“
Arme Teufel! Wie wird es ihnen in
ein paar Stunden im Schädel brummen!
Und wie viele Leute von allen diesen
überhaupt werden sich ihres Ascher-
mittwochs freuen? Wüste Köpfe, leere
Börsen, ausgebrannte oder übervolle
Herzen, bang vor frevelhaft beschwor-
nem Glück und noch bänger vor dem,
was nach ihm kommt! Wie viel Katzen-
jammer um verschwendete Zeit, ver-
schwendetes Gut, verschwendetes Ge-
fühl! Wieviel gelähmte Kraft, wieviel
Zerstreuung in Gehirnen, die Grund
hätten, gesammelt und klar zu bleiben !
Aschermittwoch!
Wie ganz anders endete dieses Mal
für mich der Fasching! Ich war ver-
gnügt, wie ein Verliebter, aber ohne
Bangen, ohne Gewissensbisse, ohne
Eifersucht, ohne Verlangen. Der Gegen-
stand meiner Liebe war nicht mehr,
war in Nebel zerflossen. Wer wird Herz-
weh haben um ein Phantom!
So sollte man sich alle Illusionen
erhalten können im Leben!
Und etwas wie eine ganz leise Hoff-
nung lebte doch zu tiefst auf dem Grunde
dieser Empfindungen: einmal blitzen
mir vielleicht dennoch aus dem Gewühl
des Lebens ein paar tiefschwarze, wohl-
bekannte Augen entgegen und aus der
wesenlosen Liebe zu einer Maske blüht
am Ende noch ein leibhaftiges Glück
auf! Vielleicht, irgendwo, irgendwann!
Chi lo sa! o.
Fasching.
Wie eine reife, süsse Dolde
Hing Deine Güte über mir,
Im Rausche griff ich nach dem Golde
Und streifte schon an deine Zier.
Da hat ein graugewob’ner Schleier
Mir Deinen Liebreiz jäh vermummt
Und unsrer Seelen bunte Feier
Ist ohne Klagelaut verstummt.
OTTO ERICH HARTLEBEN.
G
Liebeslist.
Gesegnet soll die Eisenbahn sein! —
Verzeih’ ihnen, Herrgott, die Sünde!
Es geben sich täglich dort Stelldichein
Der Max und die Wumbalinde.
Sie üben beide dort argen Betrug,
Ich finde von ihnen das hässlich, —
Sie nehmen Abschied bei jedem Zug
Und küssen und knutschen sich
grässlich.
Man trennt sich dann, übermannt vom
Gefühl,
Doch trifft man sich wieder mit Schläue
Und dann beginnt das süsse Spiel
Beim nächsten Zuge auf’s Neue. -—
Sie segnen beide die Eisenbahn —
Und pfeift es, so weiss ich’s zu deuten:
Jetzt fangen zum Abschied sie wieder an,
Sich zu küssen vor allen Leuten. —
IGNAZ RAVER.
Sprüche.
Frische knusperige Jugend
Hab’ ich immer gut vertragen,
Aber altgeback’ne Tugend —
Die verdirbt mir leicht den Magen.
♦x y
Tragt die Nase noch so hoch —
Schneuzen müsst ihr sie ja doch!
Gottesfurcht und Geisselhiebe
Sind billiger als Menschenliebe.
*x
Begeist’rungnennt man es im Lebensmai
Und im November Jugendeselei.
■*x
Ein jeder Dummkopf kann Respekt
verlangen,
Sobald ihm erst die Haare ausgegangen.
Unter den Gerüchen geht mir nur
Aas und Weihrauch wider die Natur.
*x
Was gibt euch Alten denn das Recht,
Dass ihr verächtlich die Achseln zuckt?
Der Jugend Fehler sind alle echt,
Ein heraldischer Scherz von J. Diez. Oltd eure Tugenden Kunstprodukt. MO.
WAPPEN
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