Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Nr. 7

i JUGEND

1896

Jingo-Fieber.

*jBerlin, 2. Januar. S. M. der Kaiser
hat den Präsidenten Krüger der südafri-
kanischen Republik telegraphisch dazu be-
glückwünscht, dass die Buren den bewaff-
neten Einfall eines englischen Räuberhaupt-
manns Dr. Jameson tapfer zurückgewiesen
haben.

* London, 4. Januar. Lord Salisbury
erklärt, die englische Nation werde sich in
ihren Rechten durch keine Einmischung
einer fremden Macht, wer diese auch sei,
beirren lassen. „Punch“ bringt eine Zeich-
nung, welche die Britannia, gegen alle Welt
in Waffen starrend, darstellt. Der poeta lau-
reatus Mr. Austin veröffentlicht im „Stan-
dard“ einen Artikel, worin er dem deut-
schen Kaiser räth, sich in Zukunft immer
erst bei seiner weisen Grossmutter Rath
zu erholen. Austin wird die Heldenthaten
Jameson’s in einem zweibändigen Epos be-
singen.

* Madrid, 25. Januar. Die Königin von
Spanien hat dem Schah von Persien einen
telegraphischen Glückwunsch gesandt, weil
die Perser jüngst den Einfall räuberischer
afghanischer Horden mit den Waffen sieg-
reich zurückschlugen.

* London, 27. Januar. Chamberlain
erklärt, das britische Volk sei nicht ge-
willt,diesen Schimpf sich gefallen zu lassen.
„Punch“ bringt ein Bild, welches die eng-
lische Nation als Stier darstellt, der einen
spanischen Torero auf seine Hörner ge-
spiesst hat. Der poeta laureatus Mr. Austin
erklärt im „Standard“, die Königin von
Spanien thäte besser, sich bei Damen erst
Rath zu holen, die das Regieren schon
länger betreiben, als sie. Der Dichter
schreibt an einem Epos „der Räuberhaupt-
mann“, welches die Thaten der Afghanen
verherrlicht.

^Petersburg, 28. Januar. Der Zar
hat dem an der Riviera weilenden Gross-
fürsten Iwan eine Glückwunschkarte ge-
schickt, weil dieser ungerupft aus der Diebs-
höhle von Montecarlo entkommen sei.

* London, 30. Januar. Lord Salisbury
erklärt bezüglich der Depesche des Zaren,
England werde auch durch diese neue Be-
leidigung sich nicht abhalten lassen, un-
entwegt und überall sein gutes Recht zu
fordern. Der „Punch“ bringt im Bilde den
englischen Löwen, welcher den russischen
Bären zerfleischt. Der poeta laureatus Mr.
Austin erklärt im „Standard“, die Heraus-
forderung des Zaren gegen eine Dame, die
seine Urgrossmutter sein könnte, als gerade-
zu frivol. Er schreibt an einem fünfbändigen
Heldengedicht „Black and Red“, welches
die moralische Bedeutung der Spielhölle in
Montecarlo feiert.

*Paris,31.Januar. Der Präsident Faure
sandte an den Negerhäuptling Wisch! Wa-
sch! in Dahomey ein Glückwunschschrei-
ben, weil jener glücklich den Händen ara-
bischer Sklavenjäger entronnen sei.

* London, 1. Februar. Lord Chamber-
lain erklärt bezüglich dieses Glückwunsch-
schreibens, die britische Nation sei nicht
gesonnen, einen derartigen Schimpf ge-
duldig einzustecken. „Punch“ bringt eine
Zeichnung, darstellend die Britannia, wel-
che sich die ganze Welt auf den Buckel
steigen lässt. Mr. Austin veröffentlicht im
„Standard“ einen Artikel mit der Drohung,
der englische Hof werde in Zukunft seinen
Cognac anderswoher zu beziehen wissen,
als aus Frankreich, ganz ohne Rücksicht
darauf, ob hiedurch der französische Han-
del empfindlichen Schaden erleidet, oder
nicht. Der poeta laureatus schreibt an
einem Heldengedicht die „Sklavenjagd“,
welches den ruhmreichen Thaten der Araber
gewidmet ist.

* Sofia, 3. Februar, fcürst Ferdinand
von Bulgarien sandte ein Glückwunschtele-
gramm an den Fürsten von Montenegro,
weil dieser durch einen glücklichen Zufall
derGefahr entging, von einem Paletotmarder
seinesWinterüberziehersberaubtzu werden.

'"London, 5. Februar. Salisbury erklärt
diese Depesche als eine freche Provokation
des englischen Volkes. Im „Standard“ ver-
langt Mr. Austin energische Repressalien
gegen die continentalen Polizei-Institute,
welche von jeher allen englischen Taschen-
dieben und Einbrechern besonders aufsäs-
sig seien. Er wird in Kurzem ein dreibänd-
iges Epos „der Paletotmarder der schwar-
zen Berge“ vollendet haben.

*Rom,6. Februar. Der König von Ita-
lien hat dem König von Griechenland tele-
graphisch zu seinem Geburtstag gratulirt.

* London, 7. Februar. Chamberlain er-
klärt, diese Depesche sei ein Schlag in’s Ge-
sicht der englischen Nation. Der „Punch“
zeigt in einem Bilde den englischen Löwen,
welcher den italienischen Stiefel in Fetzen
reisst. Mr. Austin fordert im „Standard“ die
Beschiessung Roms von Malta aus. Er dich-
tet eben ein Epos, welches u. s. w. u. s. f.

Da capo in infinitum.

Jugend und Wissen.

War einst ein Herr von Reichenbach,
Erforschte die Natur
Und kam gar bald in diesem Fach
Manch’ Neuem auf die Spur.

Das Paraffin und Kreosot
Verdanken ihm ihr Sein,

Doch mit der Lehre von dem Od
Stand ziemlich er allein.

ln manchem od-magnetischen Brief
Erklärte er der Welt,

Wie sich der Mensch, der sensitiv.

Zu jenem Od verhält.

Doch da nur alles Theorie
Und der Beweis gefehlt,

Hat man ihn zur Kategorie
Der Irrenden gezählt.

Da Dubois-Reymond ihn für dumm
Und für verrückt erklärt,

Hat sich das liebe Publikum
Nicht zu dem Od bekehrt.

Gewendet hat sich jetzt das Blatt.

Man hat zu früh gelacht,

Denn der Professor Röntgen hat
Exact Beweis erbracht.

Zwar nennt er die entdeckte Kraft
Den X-Strahl, doch es scheint,

Dass diese gleiche Eigenschaft
Der Reichenbach gemeint.

Und Dubois-Reymond ist blamirt,

Hört wieder mit Verdruss,

Dass sich ein Forscher niemals schiert
Um’s Ignorabiriius.

Nicht folget ihm, wer geistig jung
Des Wissens Schätze mehrt.

Drum fort mit allem, was den Schwung
Des Jugendmuths beschwert, h. kühne.

ioü
Register
Arpad Schmidhammer: Finger weg!
[nicht signierter Beitrag]: Jingo-Fieber
H. Kühne: Jugend und Wissen
 
Annotationen