Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1896

JUGEND

Nr. 8

hängenden Ast und biss die Zähne in’s
Holz, um zu verhüten, dass ihr Klappern
hörbar würde.

„Auf einmal aber sah ich ein Licht. Wenn
ich sage, dass alle Funktionen des Blutes
plötzlich stockten, so sage ich zu wenig.
Mein Herz hörte auf zu schlagen, in meine
Augen drängte sich eine heisse Nässe, die
den Blick gleichsam verhängte. Mit den
Füssen fühlte ich mich nicht mehr auf
festem Grund stehend, mir war, als schwebe
ich in freier Luft. Lieber die Haut des
Rückens liefen blitzschnelle, eisigkalte
Schauer und der Gaumen war trocken wie
Leder. Dort drüben, als ob es aus dem
Berg hervorquölle, funkelte ein eigrosses,
silberbleiches, schwankendes Licht. Ich
stürzte fort. Ich hörte Gemurmel und
Geraschel und Gezischei hinter mir; ich
fühlte Fäuste an meinem Nacken, die mich
weiterstiessen, und als ich mich umzu-
sehen wagte, sah ich immer noch das
Licht . . . Und ich betete!

„Sie werden freilich lächeln, wenn ich
Ihnen die Quelle dieses spukhaften Lichtes
angebe. Doch mir verschaffte es nur kurze
Erleichterung, als ich fand, dass es der
Mond war, von dem ein kleiner Ausschnitt
durch ein Loch zwischen den Blättern fiel,
sodass es aussah, als hänge eine bleiche
Ampel dort . . . Sie dürfen nicht glauben,
dass ich eine furchtsame Seele sei, ein
pattes, schreckhaftes Herz besitze. Nein,
jm Gegentheil, ich war stets ein sehr that-
kräftiger und muthiger Mensch. Aber diese
Finsterniss lähmt alles Urtheil, alle Ver-
nunft, alle Besonnenheit, alle Kräfte. Es
ist die Finsterniss des unendlichen Raums,
die das Leben erstickt, den Organismus
verstört. Doch hören Sie weiter!

»Ich kam nun auf einen breiten Fahrweg
und über mir stand der klare, wolkenlose
Himmel. Es war, als ob ich in den lichten
Jag hinausgetreten wäre. Ich konnte über
die Baumwipfel, die am Abhang standen,
uinausblicken auf eine Landschaft, die be-
graben war in nächtlicher Dämmerung. Den
Horizont umsäumte wie ein schmales Band
das letzte ersterbende Roth des Sonnen-
untergangs: tief und düster,
glanzlos und verschwommen
P°8 es hin, den Rand der
ernen Berge kaum berüh-
rend. Aber ich hörte keinen
Laut, eine so bedrückende
stille war in aller Gottes-
*Ht. Kein Hund bellte, keine
Lilockr.-

Den Irrthum nicht gewahrend,rschritt~’ich
weiter und immer weiter wie" der arme
Flüchtling des Märchens und schliesslich
verlor ich wieder den Pfad unter den Füssen.
Mit der Stirn stiess ich an einen Stamm und
ich jammerte auf vor Schmerz. Der Berg
neben mir schien verschwunden, denn nach
welcher Richtung ich mich auch wenden
mochte, der Boden blieb eben. Bald fiel ich
über einen Stein und riss mir die Hände
wund, bald zerrissen die Dornen das Fleisch
meiner Wangen.

„Und dann beschloss ich, mich nieder-
zulegen. Ich wollte das Umherirren auf-
geben und auf das Licht des Tages harren.
Ich warf mich auf den trocknen, warmen
Waldboden und schloss die Augen. Zuerst
verursachte mir die ununterbrochene Stille
eine quälende Unruhe und ich wagte mich
nicht zu rühren. Ich zog meine Taschenuhr
und lauschte ihrem monotonen Ticken.
Aber während ich sie noch am Ohr hielt,
stand sie still. Werden Sie es glauben, dass
dieser kleine, ja lächerliche Umstand mich
in solch wahnsinnige Aufregung versetzte,
dass ich dalag, in Schweiss gebadet und
immer noch horchte . . . horchte, ob es
denn möglich sei, dass dies Räderwerk dem
lähmenden Einfluss der Finsterniss unter-
legen . . . Und nun sah ich ein blutrothes
Gesicht vor mir, das sich abhob aus dem
dichten Dunkel wie ein Bluttropfen auf
schwarzer Seide. Und gleich daneben noch
eines, aber mit grünlicher Färbung und noch
eins . . . noch eins . . . noch eins ... sie
tanzten um mich herum, bliesen mir ihren
Hauch in’s Gesicht . . . Und da hörte ich
auch reden... Worte, schwer hervorgelallte,
wie hingeseufzt, wie durch eine Schicht
Erde hindurchgesprochen. Und die Nacht
starrte' mich an, so grausam und unbarm-
herzig: ich fühlte deutlich, wie sich die

e tönte, kein Stunden-
schlag klang an mein Ohr:
nichts! Der Mond stand seit-
wärts hinter dem Wald, und
er war es, der diese graue,
nebelhafte Dämmerung über
alles Land warf.

„Ich wusste nicht, wo ich
mich befand. Lange zögerte
ich weiter zu gehen, aber end-
lich beschloss ich doch den
gefundenen Weg zu verfol-
gen. Und nur zu bald musste
'eh diesen Entschluss be-
reuen. Hätte ich mich doch
Hort niedergeworfen in das
Moos, in’s dürre Laub und
wachen Auges das Morgen-
roth erwartet!

„Wieder schlossen sich
nie Kronen über mir. Und
als ich umkehren wollte, von
Grauen erfasst, gerieth ich
auf einen ganz falschen Weg.

Finsterniss an meine Brust andrängte, wie
ich die Lider schliessen musste unter der
Gewalt. Und da sprang ich auf und griff mir
an den Kopf und wimmerte, winselte . . .
Gestalten stiegen rings aus dem Erdboden
und sahen mich an . . . Nein, das waren
keine Hallucinationen, das war!... Das
sind Dinge, von denen wir nichts wissen,
von denen wir nichts wissen werden, bis
das Ende gekommen ist und die ewige
Finsterniss.

„Was soll ich Ihnen noch weiter sagen?
Ich bringe es kaum über mich, dieses Letzte
zu schildern, diesen letzten Schrecken, der
mir den Verstand geraubt. Sehen Sie, wenn
Sie in nächtlicher Einsamkeit vor Ihrem Bett
sitzen, und ein Stuhl, der vor Ihnen steht,
fängt plötzlich an, sich von selbst zu be-
wegen, und er steht dann von selbst auf
dem Tische, ohne dass Sie nur die Hand
gerührt haben, so mag Ihr Entsetzen viel-
leicht ein .ähnliches sein. Da scheint der
ganzeKörper zusammenzuschrumpfen, man
fühlt nichts mehr an sich, wo man hintastet,
greift man ins Leere, Haut und Fleisch sind
Luft geworden für die Zeit dieses Schreck-
ens.

| „Wie ich nun so stand, noch zitternd von
all dem Ausgestandenen, fällt plötzlich ein
heller, gleissendrother Lichtkegel hinein in
die Tiefen des Waldes. Ich sah es mit den-
selben Augen, mit denen ich jetzt dieses
Fenster sehe. Niemand kann sagen, ich
hätte geträumt, oder mein Auge, meine über-
hitzte Phantasie hätte mich betrogen. Nein,
ich sah es deutlich und die Kraft der Er-
innerung an das unverlöschliche Bild des
plötzlich erleuchteten Forstes’ersticken je-
den Zweifel in mir. Es war, wie wenn die
Erdrinde zu Glas geworden wäre und die
Feuersbrünste, die im Innern des Planeten
wüthen, hätten für die Dauer von zehn Se-
kunden ihren Schein heraufgeworfen.

Nun, am Morgen fanden mich meine Freunde
im Fieberdelirium. Ich lag am, Waldrand,
hundert Schritte von St. Valentin.... Ah,
nun kommt ja auch unser Zug schon.

„Wollen Sie nicht meinen Koffer tragen
helfen ? Er ist gar zu schwer. Was ich sagen
wollte: wenn Ihnen einmal
Jemand zu viel von der Poe-
sie des Waldes reden soll-
te, versäumen Sie nicht, ihn
ein klein wenig abzukühlen.“

Das andre Land.

Willst Du glücklich sein?
Komm ich will Dich führen.
Hinter blauen Bergen
Drüben liegt das Land.
Lächle, lächle doch!

Sollst die Sonne spüren.

Gib mir Deine Hand nun;
Lass uns glücklich sein!

Oh, das Land ist schön:
Lauter stille Hügel;

Voller blüh’n die Wiesen,

Wo wir beide geh’n.

Und Dir ist so leicht.
Glaubst, Du trügest Flügel,
Oh, Du fühlst Dich mitten
In den Himmel hinein —

Komm!

Originalzelchnung von j Die*.

FRANZ EVERS.

121
Register
Julius Diez: Medaillon
Franz Evers: Das andere Land
 
Annotationen