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1896

JUGEND

Nr. 8

- Der Gaukler unserer lieben Frau.

Nach einem alten Stoff, von Anatol France.

I.

Zu König Ludwigs Zeit lebte in Frankreich ein armer, aus
Compiegne gebürtiger Gaukler, Namens Barnabe, der von
Stadt zu Stadt zog und überall seine Kunststückchen zum
Besten gab.

An Jahrmarktstagen breitete er auf dem öffentlichen Platz
einen alten, ganz verschlissenen Teppich aus, und nachdem
er die Kinder und Gaffer durch allerlei Scherzreden ange-
zogen, die ihm ein alter Gaukler überliefert hatte und an
denen er niemals ein Wörtlein änderte, zwang er seinen Kör-
per in die sonderbarsten Stellungen und liess einen zinnernen
Teller auf seiner Nase tanzen. Anfangs betrachtete ihn die
Menge mit gleichgültiger Miene; aber wenn er sich dann auf
die Hände stellte und mit den Füssen sechs kupferne, im
Sonnenlicht glitzernde Kugeln in die Luft warf und wieder auf-
fing, oder gar, sich hintenüberbeugend, bis sein Nacken die
Füsse berührte, ein vollkommenes Rad aus seinem Körper
machte und in dieser Stellung mit zwölf Messern spielte —
da lief ein Gemurmel der Bewunderung durch die Zuschauer
und es regnete Geldstücke auf seinen Teppich.

Und doch hatte Barnabö de Compiögne, wie Alle, die von
ihrer Kunst leben, grosse Mühe, sein Dasein zu fristen. Er
verdiente sein Brod buchstäblich im Schweisse seines An-
gesichts und hatte somit von den Plagen, die der Sünde unseres
Urvaters Adam anhaften, seinen gehörigen Theil zu tragen.
Ueberdies konnte er nicht einmal arbeiten, so viel er wollte.
Um seine schönen Künste zu entfalten, brauchte er Sonnen-
wärme und Tageslicht, wie der Baum, um Blüthen und Früchte
zu treiben; im Winter war er nur ein entlaubter, halb abge-
storbener Stamm. Die gefronte Erde war dem Gauklerhand-
werk nicht förderlich, und wie das Heimchen, von dem Marie
de France erzählt, litt er in der schlechten Jahreszeit unter
Hunger und Kälte. Aber da er einfältigen Herzens war, trug
er seine Leiden in Geduld.

Er hatte nie über den Ursprung des Reichthums und
die Ungleichheit der menschlichen Loose nachgedacht, sondern
rechnete fest darauf, dass, wenn diese Welt schlecht sei, die
andere unfehlbar um so besser sein müsse, und diese Hoff-
nung hielt ihn aufrecht. Er machte es nicht wie die Mehrzahl
seiner diebischen und ungläubigen Genossen, die ihre Seele
dem Teufel verkaufen. Er lästerte niemals den Namen Gottes,
führte ein ehrbares Leben, und obwohl er selbst kein Weib
hatte, begehrte er doch nie die Frau seines Nächsten: denn das
Weib ist die Feindin des Starken, wie aus der Geschichte von
Samson und Delila erhellt, welche uns die heilige Schrift be-
richtet.

In Wahrheit war sein Geist den Lüsten des Fleisches nicht
zugewandt und es wurde ihm leichter, auf die Frauen, als
auf den Wein zu verzichten; denn bei aller Mässigkeit liebte
er doch nach des Tages Hitze einen guten Trunk. Er war ein
rechtschaffener Mann, voll Gottesfurcht, und der heiligen Jung-
frau innig ergeben. Wenn er in eine Kirche trat, verfehlte er

niemals, vor dem Bilde der Gottesmutter auf die Kniee zu
fallen und also zu beten: »Heiligejungfrau, behüte mein Leben,
bis es Gott gefallen wird, es von mir zu nehmen, und wenn ich
dereinst gestorben bin, nimm mich auf in die Freuden des
Paradieses«.

II.

Als er nun eines schönen Abends nach einem Regentag
trübselig und gebückt fürbass schritt, unterm Arm seine Kugeln
und Messer in den Teppich eingewickelt und nach einerScheune
ausschaute, in der er seinen Hunger verschlafen könnte, sah
er einen Mönch desselben Weges ziehen und grösste ihn in
aller Ehrerbietung. Indem sie zusammen weiterschritten, knüpf-
ten sie alsbald ein Gespräch an.

»Gevatter«, sprach der Mönch, »wie kommt’s, dass Ihr
ganz grün gekleidet seid? Habt Ihr etwa in einem Mysterium
den Narren zu spielen?«

»Keineswegs, ehrwürdiger Vater», erwiderte Barnabe. »Wie
Ihr mich hier seht, heisse ich Barnabö und bin meines Zeichens
ein Gaukler. Es wäre dies der schönste Stand der Welt, wenn
man nur dabei satt zu essen hätte.«

»Freund Barnabe«, versetzte der Mönch, »überleget wohl,
was Ihr sagt. Es gibt keinen schöneren Stand, als den geist-
lichen; da preist man Gott, die Jungfrau und die Heiligen,
und so ist das Klosterleben dem Herrn ein steter Lobgesang.«

Da erwiderte Barnabe: »Ehrwürdiger Vater, ich bekenne,
dass ich thöricht geredet habe. Mein Stand lässt sich dem
Eurigen nicht vergleichen, denn wenn es auch verdienstlich
ist, beim Tanzen einen Stock mit einem Geldstück zu balan-
ciren, so reicht doch dies Verdienst nicht an das Eurige hinan.
Ich möchte wohl, wie Ihr, ehrwürdiger Vater, Tag für Tag die
Messe lesen und besonders das Lob der hl. Jungfrau singen,
für die iclfeine ganz besondere Verehrung hege. Mit tausend
Freuden würde ich auf meine Kunst verzichten, die meinen
Namen in mehr als sechshundert Orten, von Soissons bis
Beauvais bekannt gemacht hat, um ein klösterliches Leben
zu führen.«

Den Mönch rührte die Einfalt des Gauklers, und da es ihm
nicht an Menschenkenntniss gebrach, ersah er in Barnabe
einen jener Auserwählten, von denen der Herr gesagt hat:
»Friede sei mit ihnen auf Erden.« Darum sprach er: »Barnabe,
mein Freund, kommt mit mir, und ich will Euch Eintritt ver-
schaffen in das Kloster, dessen Prior ich bin. Der Herr, der
die heilige Maria von Egypten durch die Wüste führte, hat mich
auf Euren Weg gesandt, auf dass ich Euch den Pfad des Heils
weise.«

So kam es, dass Barnabö Mönch ward. In dem Kloster,
wo er aufgenommen wurde, wetteiferten die Mönche im Dienste
der hl. Jungfrau und jeder suchte ihr zu dienen mit jeglicher
Fertigkeit, die ihm Gott verliehen hatte.

Der Prior verfasste Bücher, die nach den Regeln der
Scholastik'von den Tugenden der Mutter Gottes handelten,
und der Bruder Moriz übertrug diese Abhandlungen mit
kundiger Hand auf Bogen feinsten Pergaments.

Der Bruder Alexander malte darauf zierliche Miniatur-
bildchen. Da war zu sehen die Himmelskönigin, auf Salo-
monis Thron sitzend, zu dessen Füssen vier Löwen Wache

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Anatole France: Der Gaukler unserer lieben Frau
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