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Nr. 10

JUGEND

1896

Ihr Vater war der reichste König, ganz Indien
gehörte ihm vom Himalaya bis zum Ganges, von
China bis nach Persien. Ein Himmel wie aus tausend
Sonnen wölbte sich darüber hin, und himmlisch schön
war auch die Erde in ihrer Unerschöpflichkeit. Ur-
wälder von Riesenkakteen blühten da und Palmen,
ein jedes Blatt wie eine Ruhematte, mit zentner-
schweren Fruchttrauben und mächtigen Kronen, die
sich im Windhauch leise bewegten. Und welch’ be-
rauschend schöne Bilder boten sich dem Auge dar!
Das Meer mit seinen stolzbewimpelten Schiffen, das
bunte Panorama in den Häfen und die herrlichen
Städte an den Ufern der Flüsse mit wasserdurch-
rauschten Gärten und säulengetragenen Pagoden, wo
die Götter mit vergoldeten Bäuchen sassen, fganz
wundervolle Kuppelbauten.

Doch noch viel herrlicher war der Palast des
Königs. Das Dach aus Gold, die Wände aus Marmor,
und Rubin und Demant zierten Waffen und Geräthe.
Eine Treppe führte zum Meer hinab, ein Wunder
von einer Treppe. Die Stufen aus weissem Alabaster
— und gar die Terrasse! Eine solche Mosaik gab’s auf
der ganzen Welt nicht, aus Amethyst und Saphir, ganz
unbeschreiblich!

Den schönsten Flügel bewohnte die Prinzessin.
Ueberall Trophäen goldfrohen Reichthums. Aufge-
häuft waren die Schätze. Das Auge war geblendet,
so sinnverwirrend war der Juwelenglanz. Der herein-
strahlende Sonnenschein wurde mit goldenen Filtern
gefiltert. Sklaven lungerten umher und hohe Mini-
ster beugten sich vor der Königstochter bis zur Erde
und harrten der Befehle ihrer königlichen Hoheit. Der
König trug sein Kind auf Händen und auf Aller Lippen
schwebte es wie ein Gebet: „0 schöne Gül-Bejase!“

In golddurchwirkte Seide war ihr Leib gehüllt und
Perlen und Geschmeide schmückten Hals und Arme.
Ihre Haut war wie warmes Gold. So ruhte sie auf schwel-

lenden Kissen. Für den Demant allein, der auf ihrem
Pantoffel glänzte, konnte man halb Asien kaufen. Träu-
mend lag sie in ihren Gemächern, die Ambraduft ent-
strömten oder Sklavinnen trugen sie in goldenen Sänften
dahin und fächelten sie mit grossen Palmwedeln. Doch
am liebsten lustwandelte sie in ihren Gärten.

Smaragdfarbene Bäche schlängelten sich zwischen
bunten Blüthenbüschen hin. Umflammt von der Sonne,
schien Alles hier zu brennen. Die Farben waren
wie Feuer. Springbrunnen plätscherten, Milliarden
goldener Wasserperlen zerstoben in funkelnden Staub.
Und die süssen Duftwolken, die gen Himmel stiegen!
Es war traumhaft schön, ganz zauberhaft. Paradies-
vögel Hessen ihre lichtgoldenen Schwanzfedern nieder-
wallen, rothe und grüne Papageien wiegten sich in
den Zweigen, und tausendfarbige Colibris flatterten
in der Luft. Gazellen sprangen umher, und wohin das
Auge fiel, sah es blühende Rosen. Schwerglühende
Centifolien in fleischi-
gen Kelchen, gross wie
Mädchenköpfe, und in
allen Farben: lachend
roth und traurig roth
wie blutiger Sammtoder
glänzend weiss, so wie
weisse Seide, ach, so
schön, dass Gül-Bejase
ganz berauscht war. Und
doch sagten ihr die Ro-
sen: „Du bist noch viel
schöner!“

Was die Rosen nicht
alles sagten! Sie leuch-
teten auf ihren schlan-
ken Stielen und wiegten
sich leise. Sie fieberten
schier und dufteten so
süss. Ganz betäubend
dufteten sie und schie-
nen wie betäubt. Zumal
eine blassgelbe glühte
ganz wunderbar. Sie
glich einer verzauberten
Prinzessin, und Thau-

i;o
Register
Juliane Déry: Sonnen-Sehnsucht
Fritz Erler: Zeichnungen zum Text "Sonnensehnsucht"
 
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