Nr. 10
JUGEND
1896
Deutsches Reichspatent
Nr. 78,946,317,762,106: Dreh-
bare Rednertribüne.
Bekanntlich schweifen in sämmtlichen
Parlamenten (ausgenommen ist nur der
deutsche Reichstag) sehr viele Abgeordnete
(ausgenommen sind nur die Herren Sozial-
demokraten) gerne vom Thema ab und spre-
chen, sozusagen, „zu den Millionen da draus-
sen.“ Das veranlasst die weisen Herrn vom
Präsidium (ausgenommen ist nur der Herr
v. Buol) oft, energisch „zur Sache“ zu rufen.
Diesem Hebelstand, der (namentlich da, wo
Diäten gezahlt werden) die Parlamentsver-
handlungen empfindlich in die Länge zieht,
hilft die neue, von Herrn Berthold Dunkel-
grau erfundene drehbare Rednertribüne,
von der wir oben ein Abbild geben, gründ-
lich ab. Sobald ein Redner anfängt, mit
überflüssigen Schlagwörtern herumzuwer-
fen, auf dass er im Parteiblättchen glor-
reich erscheine, drückt der jeweilige Prä-
sident (ausgenommen natürlich ist der Herr
v. Buol) auf einen Knopf und die Tribüne
dreht sich nach der Aussenseite des Ge-
bäudes, so dass der Redner ruhig zum
Fenster hinaus reden kann, während
innen ein Anderer das Wort erhält und zur
Sache spricht.
Das Duell.
„Mein Herr, Sie haben mich fixirt,
D’rob fühle ich mich insultirt.
Hier meine Karte!“ — „Acceptirt.“
Man einigt sich, ’s wird duellirt;
Sucht Jemand aus, der secundirt
Und ’s ganze Schauspiel inscenirt. —
Pistolen werden inspizirt,
Und der Paukant noch instruirt
Und auch im Schiessen exercirt,
Damit er nicht den Kopf verliert,
Der Arzt rechtzeitig avisirt;
Vorsichtig Jeder noch testirt,
(Man kann nicht wissen, was passirt!)
Stumm wird am Kampfplatz salutirt,
Versöhnungsdusel simulirt,
Distance und Waffen kontrolirt,
Eins, Zwei und — los, dann kommandirt.
Der Eine wankt, ist leicht blessirt
Und, wie der Arzt gleich konstatirt,
Der Kampf muss werden jetzt sistirt.
Niemand ist desshalb indignirt,
Man reicht die Hand sich dann blasirt,
Und thut, als wär’ nichts arrivirt;
Wenn der Verletzte bandagirt,
Freundschaftlich heim wird eskortirt,
Fühlt man sich rehabilitirt,
Wird von der Welt als Held fetirt. —
S. FRANK.
Agrarier-Marseillaise.
Wir sind die Partei für Altar und Thron
Und patriotisches Streben,
Die edelsten Leute der ganzen Nation
Und wir nur kennen den guten Ton
In Politik und im Leben.
I
Doch selbst die loyalste Geduld zerriss,
Weil zu tief der Preis für das Brod stand,
Wer gestern noch „Mumm“ trank, trinkt
gewiss
162
Im besten Falle heut’ noch „Koch fils“,
So arg ist bereits der Nothstand!
Für’s Vaterland geben wir Leben und Gut,
Des Reiches treueste Söhne — '
Doch wenn uns Wer nicht den Willen thut,
So sagen wir Ihm mit kaltem Blut:
„Kein Kanitz — dann gibts keine Kähne.“
Es könnten wohl Alle im deutschen Gau
An Vaterlandslieb’ von uns lernen —
Doch färbt Ihr die Margarine nicht blau,
So streichen wir Euch - nun wisst Ihr’s genau
Die Mittel für neue Kasernen!
Der feinste Ton ist uns strenges Gesetz
Wir dächten, das könntet Ihr wissen!
Nur ausnahmsweise spricht Herr von Plötz
Und der Herrvon Diestwie der selige Götz
Als das Fenster er zugeschmissen!
Stets sind wir für König und Kaiser da
Doch Manches bedarf erst der Klärung,
Wir lehnen Euch ab — so wollt Ihr es ja
Im nächsten Jahre den Heeres-Etat,
Verschmäht Ihr die doppelte Währung!
Wir sind der einzig verlässige Hort
Des Reiches in Stürmen und Nebeln,
Doch geht die Sache noch lang so fort
Und Mirbach bittet vergeblich um’s Worb
So schlagen wir uns halt zu Bebeln!
Und meint Ihr, dass nach verlor’nem Gefech1
Wir endlich die Streitaxt begraben —
Ja, Prosit die Mahlzeit! Da kennt Ihr uns
schlecht —
Wir sind die Partei für Sitte und Recht
Und wollen auch was davon haben!
ki-ki-ki.
JUGEND
1896
Deutsches Reichspatent
Nr. 78,946,317,762,106: Dreh-
bare Rednertribüne.
Bekanntlich schweifen in sämmtlichen
Parlamenten (ausgenommen ist nur der
deutsche Reichstag) sehr viele Abgeordnete
(ausgenommen sind nur die Herren Sozial-
demokraten) gerne vom Thema ab und spre-
chen, sozusagen, „zu den Millionen da draus-
sen.“ Das veranlasst die weisen Herrn vom
Präsidium (ausgenommen ist nur der Herr
v. Buol) oft, energisch „zur Sache“ zu rufen.
Diesem Hebelstand, der (namentlich da, wo
Diäten gezahlt werden) die Parlamentsver-
handlungen empfindlich in die Länge zieht,
hilft die neue, von Herrn Berthold Dunkel-
grau erfundene drehbare Rednertribüne,
von der wir oben ein Abbild geben, gründ-
lich ab. Sobald ein Redner anfängt, mit
überflüssigen Schlagwörtern herumzuwer-
fen, auf dass er im Parteiblättchen glor-
reich erscheine, drückt der jeweilige Prä-
sident (ausgenommen natürlich ist der Herr
v. Buol) auf einen Knopf und die Tribüne
dreht sich nach der Aussenseite des Ge-
bäudes, so dass der Redner ruhig zum
Fenster hinaus reden kann, während
innen ein Anderer das Wort erhält und zur
Sache spricht.
Das Duell.
„Mein Herr, Sie haben mich fixirt,
D’rob fühle ich mich insultirt.
Hier meine Karte!“ — „Acceptirt.“
Man einigt sich, ’s wird duellirt;
Sucht Jemand aus, der secundirt
Und ’s ganze Schauspiel inscenirt. —
Pistolen werden inspizirt,
Und der Paukant noch instruirt
Und auch im Schiessen exercirt,
Damit er nicht den Kopf verliert,
Der Arzt rechtzeitig avisirt;
Vorsichtig Jeder noch testirt,
(Man kann nicht wissen, was passirt!)
Stumm wird am Kampfplatz salutirt,
Versöhnungsdusel simulirt,
Distance und Waffen kontrolirt,
Eins, Zwei und — los, dann kommandirt.
Der Eine wankt, ist leicht blessirt
Und, wie der Arzt gleich konstatirt,
Der Kampf muss werden jetzt sistirt.
Niemand ist desshalb indignirt,
Man reicht die Hand sich dann blasirt,
Und thut, als wär’ nichts arrivirt;
Wenn der Verletzte bandagirt,
Freundschaftlich heim wird eskortirt,
Fühlt man sich rehabilitirt,
Wird von der Welt als Held fetirt. —
S. FRANK.
Agrarier-Marseillaise.
Wir sind die Partei für Altar und Thron
Und patriotisches Streben,
Die edelsten Leute der ganzen Nation
Und wir nur kennen den guten Ton
In Politik und im Leben.
I
Doch selbst die loyalste Geduld zerriss,
Weil zu tief der Preis für das Brod stand,
Wer gestern noch „Mumm“ trank, trinkt
gewiss
162
Im besten Falle heut’ noch „Koch fils“,
So arg ist bereits der Nothstand!
Für’s Vaterland geben wir Leben und Gut,
Des Reiches treueste Söhne — '
Doch wenn uns Wer nicht den Willen thut,
So sagen wir Ihm mit kaltem Blut:
„Kein Kanitz — dann gibts keine Kähne.“
Es könnten wohl Alle im deutschen Gau
An Vaterlandslieb’ von uns lernen —
Doch färbt Ihr die Margarine nicht blau,
So streichen wir Euch - nun wisst Ihr’s genau
Die Mittel für neue Kasernen!
Der feinste Ton ist uns strenges Gesetz
Wir dächten, das könntet Ihr wissen!
Nur ausnahmsweise spricht Herr von Plötz
Und der Herrvon Diestwie der selige Götz
Als das Fenster er zugeschmissen!
Stets sind wir für König und Kaiser da
Doch Manches bedarf erst der Klärung,
Wir lehnen Euch ab — so wollt Ihr es ja
Im nächsten Jahre den Heeres-Etat,
Verschmäht Ihr die doppelte Währung!
Wir sind der einzig verlässige Hort
Des Reiches in Stürmen und Nebeln,
Doch geht die Sache noch lang so fort
Und Mirbach bittet vergeblich um’s Worb
So schlagen wir uns halt zu Bebeln!
Und meint Ihr, dass nach verlor’nem Gefech1
Wir endlich die Streitaxt begraben —
Ja, Prosit die Mahlzeit! Da kennt Ihr uns
schlecht —
Wir sind die Partei für Sitte und Recht
Und wollen auch was davon haben!
ki-ki-ki.