Nr. 11
JUGEND
1896
läppisch und ungeschlacht, voll Angst und
Scham und Selbstquälerei.
Eines Abends sassen wir — Charley,
Mr. Klein und ich zusammen in einem
Restaurant. Der Erstere blass, unruhig und
zerstreut, sah zum Erbarmen aus. Selbst
auf sein Aeusseres hatte er nicht mehr
die gewohnte Sorgfalt verwendet, seine
Cravatte sass schief, sein Haar war nicht
so wohlgescheitelt wie sonst.
Plötzlich fragte er heiser, wie man in
grosser Erregung spricht, abrupt, mitten
in einem Gespräch über politische Vor-
fälle: „Was würden Sie sagen, wenn ich
die Else heirathete?“
Da war nicht gut antworten. Charley
fuhr fort:
„Ich weiss Alles, was man dagegen
einwenden kann. Sie hat kein gutes Vor-
leben — aber wie soll ein schönes Mädel,
arm wie sie, zu einem solchen kommen?
Sie ist jetzt oft nicht lieb gegen mich —
aber das wird sie als meine Frau schon
werden. Ich schaffe ihr doch eine Position
- das dankt sie mir auch!“
„Es wird Ihnen furchtbar viel Geld
kosten, wenn Sie sich wieder von ihr
scheiden lassen,“ sagte Klein. „Und es
wird gewiss so kommen, glauben Sie!“
Der Verliebte starrte ihn rathlos an
und seufzte dann mit dem Ausdrucke voll-
kommener Hilflosigkeit:
„Aber ich kann mir einfach nicht mehr
helfen. Ich gehe zu Grunde so, vor Ver-
liebtheit und Eifersucht und Zweifel!“
In diesem Augenblicke trat van der
Week ein, dem wir seit Langem thunlichst
aus dem Wege gingen. Auch Charley war
in den letzten Wochen nicht mit ihm ge-
sehen worden. Das fiel mir jetzt plötzlich
ein. Der Baron schritt zu unserem Tisch
her. Das unvermeidliche Glas im Auge,
geschniegelt wie immer, aber ein wenig
unsicher im Gang. Er hatte getrunken.
„Na, Herr Gänsberger, was machen Sie
denn? Man sieht Sie ja gar nicht mehr.
Immer in Minnediensten — was?“
„Lassen Sie mich zufrieden!“ gab ihm
der Andere grob zur Antwort, — grob zum
ersten Male, seit wir ihn kannten.
„Er ist böse auf mich,“ näselte van
der Week.
„Ich will mit Ihnen überhaupt nichts
mehr zu thun haben.“ An Charley’s Schlä-
fen schwollen die Adern an. Ich hatte
ihn bis jetzt nie erregt gesehen und fühlte,
dass Ungewöhnliches in ihm vorging.
„Pah!“ machte der Andere und schlürfte
seinen Cognac, mit affektirter Grazie den
kleinen Finger der Rechten ausspreizend —
„pah! Weibergeschichten, meine Herren!
Wenn Einer seine schöne Else ansieht “
„Sie waren einfach unverschämt neu-
lich —,“ brauste Charley auf. „Und dies steht
Ihnen schlechter an als jedem Andern.“
Wir Alle wussten, dass es dem Baron
wirklich schlecht anstund, gegen Charley
unverschämt zu sein. Das fühlte Jener
auch. Er wurde dunkelroth und sagte dann
mit seinem süffisantesten Gesicht:
i
„Sie hätten ältere Rechte ein wenig re-
spektiren sollen, Herr Gänsberger.“ Der
sprang jäh auf, dass ein paar Gläser um-
fielen — das verstand er doch!
„Was soll das heissen?“ rief er, heiser
vor Wuth.
„Dass Else meine Geliebte war, bevor
ich sie Ihnen abgetreten habe. Jedermann’s
Geschmack ist’s freilich nicht, mit dem
vorlieb zu nehmen, was andere Leute nicht
mehr mögen!“
Bebend, zehnfach in seinem Empfinden
gekränkt, sprang der Andere auf, und was
er nun that, war nicht cavaliermässig und
durchaus nicht korrekt. Klatschend fiel
Charley’s mächtige Hand ein paar Mal auf
das Gesicht seines Gegners und bevor sich
einer in’s Mittel legen konnte, zappelte das
zierliche Herrlein blutend auf der Diele.
Man sprang dazwischen, wusch dem
Baron die Nase und brachte Gänsbergers
Fäuste zur Ruhe.
Und dann — erledigten wir das Uebrige
in der herkömmlichen Weise.
Als wir am andern Morgen um elf Uhr
Charley die Bedingungen seines Gegners
mittheilten, war jener ruhig, fast heiter.
„Also auf morgen früh!“ sagte er bei’m
Auseinandergehen. „Nur keine Aufregung!
Unter Lebemännern kann so was ja ein-
mal Vorkommen. Wenn man es dann nur
korrekt austrägt! Uebrigens — der Baron
hat geflunkert gestern — und Else hat mir
geschworen, dass kein wahres Wort an dem
ist, was er sagte.“ —
Er war unverbesserlich dumm !
Wir fuhren durch den herrlichen Früh-
jahrsmorgen vor die Stadt hinaus. Die
Sonne schien goldig über die Rasenplätze
der Anlagen, deren ersten grünen Schimmer
Primeln und weisse Anemonen in Massen
durchstickten. Frisch und scharf ging der
Frühwind über uns hin. ,
Unser Duellant war munter; der Ameri-
kaner, der ihm sekundiren sollte, bleich
und erregt. Er hatte den Pistolenkasten
auf seinem Schooss und sprach in den
kräftigsten Ausdrücken über den Baron
im Speziellen und über europäische Ehr-
begriffe im Allgemeinen.
Als wir auf dem verabredeten Platze,
einer breiten Lichtung in den Auen des
Flusses, angekommen waren, wickelten sich
die üblichen Ceremonien glatt und schnell
ab. Der Baron hatte einen Sekundanten,
der genau so geziert und albern aussah,
wie er selbst. Der Unparteiische, ein ha-
gerer, trockener Herr mit martialischem
Schnurrbart, vollzog seine Obliegenheiten
mit gemachter Gleichgültigkeit, wie ein Ball-
ordner, der eine Franpaise kommandirt.
Hart und schnarrend fiel das Kommando.
Charley schoss sofort, hastig, ohne zu
zielen. Er fehlte. Van der Week, der asch-
fahl mit verbissenem Gesicht dagestanden
hatte, rückte bis zur Barriere vor und schoss
dann sicher und ruhig den guten Charley
Gänsberger nieder.
Wir sprangen hinzu. Vor Schmerzen
zusammengekrümmt lag der Arme da und
was sich in seinen Zügen malte, war we-
niger Todesangst, als ein massloses Staunen.
„Mit mir ist’s aus“, flüsterte er und griff
nach seiner Brust und das rothe Blut rie-
selte ihm zwischen den Fingern durch; der
Arzt riss ihm das Hemd auf und schüttelte
sofort den Kopf.
„Nichts mehr zu wollen!“
Charley’s Kopf sank zurück, sein Ge-
sicht wurde leichenblass. Mister Klein bet-
tete das Haupt des Sterbenden auf einen
zusammengerollten Ueberrock und sagte,
jenem fast zärtlich die Stirne streichend:
„Sie haben sich geschlagen wie eine
echte Cavalier.“
Der Verwundete lächelte dankbar. Das
Lob that ihm wohl. Aber ein ehrlicher Kerl
war er immer gewesen und dies zeigte er
auch jetzt. Mit Anstrengung brachte er die
Worte heraus:
„Unter uns gesagt — ich habe es wirk-
lich nicht geglaubt, dass ein Mensch den
Andern — so ohne Weiteres über den
Haufen knallt — wenn er ihm so viel —
Geld schuldig ist. Ich habe auf den Baron
gar nicht geschossen.“
Er gab uns Beiden die Hand. Mit ver-
löschendem Lächeln blickte er mich an.
„Sehen Sie — nun hab’ ich doch —
mein Duell!“
Seine Augen wurden gläsern, er sah
uns nicht mehr.
Und nach wenigen Minuten sagte der
Arzt, der sich über den Gefallenen gebeugt
hatte: „Es ist zu Ende“!-
Der arme Charley! Wenn er wenig-
stens die Notiz noch hätte lesen können,
welche am andern Tage die Zeitungen
brachten über den „Zweikampf zwischen
zwei bekannten hiesigen Lebemännern!“
Die Philosophen.
Sie tranken Bier und hielten Rath
Am Wirthstisch hinterm Ofen.
Der Eine war ein Mann der That,
Die Andern Philosophen.
Man sprach natürlich von der Frau,
Dem räthselhaften Wesen,
Der Eine kannte sie genau,
Die Andern nur vom Lesen.
Der Eine lobte ihr Geschlecht,
Weil er ihr Glück genossen,
Die Andern räsonnirten recht
Und machten bitt’re Glossen.
Die Kellnerin liess alle Vier
Am selben Abend warten,
Die Philosophen auf ihr Bier,
Den Andern hinterm Garten.
FERDINAND V. HORNSTEIN.
I7O
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läppisch und ungeschlacht, voll Angst und
Scham und Selbstquälerei.
Eines Abends sassen wir — Charley,
Mr. Klein und ich zusammen in einem
Restaurant. Der Erstere blass, unruhig und
zerstreut, sah zum Erbarmen aus. Selbst
auf sein Aeusseres hatte er nicht mehr
die gewohnte Sorgfalt verwendet, seine
Cravatte sass schief, sein Haar war nicht
so wohlgescheitelt wie sonst.
Plötzlich fragte er heiser, wie man in
grosser Erregung spricht, abrupt, mitten
in einem Gespräch über politische Vor-
fälle: „Was würden Sie sagen, wenn ich
die Else heirathete?“
Da war nicht gut antworten. Charley
fuhr fort:
„Ich weiss Alles, was man dagegen
einwenden kann. Sie hat kein gutes Vor-
leben — aber wie soll ein schönes Mädel,
arm wie sie, zu einem solchen kommen?
Sie ist jetzt oft nicht lieb gegen mich —
aber das wird sie als meine Frau schon
werden. Ich schaffe ihr doch eine Position
- das dankt sie mir auch!“
„Es wird Ihnen furchtbar viel Geld
kosten, wenn Sie sich wieder von ihr
scheiden lassen,“ sagte Klein. „Und es
wird gewiss so kommen, glauben Sie!“
Der Verliebte starrte ihn rathlos an
und seufzte dann mit dem Ausdrucke voll-
kommener Hilflosigkeit:
„Aber ich kann mir einfach nicht mehr
helfen. Ich gehe zu Grunde so, vor Ver-
liebtheit und Eifersucht und Zweifel!“
In diesem Augenblicke trat van der
Week ein, dem wir seit Langem thunlichst
aus dem Wege gingen. Auch Charley war
in den letzten Wochen nicht mit ihm ge-
sehen worden. Das fiel mir jetzt plötzlich
ein. Der Baron schritt zu unserem Tisch
her. Das unvermeidliche Glas im Auge,
geschniegelt wie immer, aber ein wenig
unsicher im Gang. Er hatte getrunken.
„Na, Herr Gänsberger, was machen Sie
denn? Man sieht Sie ja gar nicht mehr.
Immer in Minnediensten — was?“
„Lassen Sie mich zufrieden!“ gab ihm
der Andere grob zur Antwort, — grob zum
ersten Male, seit wir ihn kannten.
„Er ist böse auf mich,“ näselte van
der Week.
„Ich will mit Ihnen überhaupt nichts
mehr zu thun haben.“ An Charley’s Schlä-
fen schwollen die Adern an. Ich hatte
ihn bis jetzt nie erregt gesehen und fühlte,
dass Ungewöhnliches in ihm vorging.
„Pah!“ machte der Andere und schlürfte
seinen Cognac, mit affektirter Grazie den
kleinen Finger der Rechten ausspreizend —
„pah! Weibergeschichten, meine Herren!
Wenn Einer seine schöne Else ansieht “
„Sie waren einfach unverschämt neu-
lich —,“ brauste Charley auf. „Und dies steht
Ihnen schlechter an als jedem Andern.“
Wir Alle wussten, dass es dem Baron
wirklich schlecht anstund, gegen Charley
unverschämt zu sein. Das fühlte Jener
auch. Er wurde dunkelroth und sagte dann
mit seinem süffisantesten Gesicht:
i
„Sie hätten ältere Rechte ein wenig re-
spektiren sollen, Herr Gänsberger.“ Der
sprang jäh auf, dass ein paar Gläser um-
fielen — das verstand er doch!
„Was soll das heissen?“ rief er, heiser
vor Wuth.
„Dass Else meine Geliebte war, bevor
ich sie Ihnen abgetreten habe. Jedermann’s
Geschmack ist’s freilich nicht, mit dem
vorlieb zu nehmen, was andere Leute nicht
mehr mögen!“
Bebend, zehnfach in seinem Empfinden
gekränkt, sprang der Andere auf, und was
er nun that, war nicht cavaliermässig und
durchaus nicht korrekt. Klatschend fiel
Charley’s mächtige Hand ein paar Mal auf
das Gesicht seines Gegners und bevor sich
einer in’s Mittel legen konnte, zappelte das
zierliche Herrlein blutend auf der Diele.
Man sprang dazwischen, wusch dem
Baron die Nase und brachte Gänsbergers
Fäuste zur Ruhe.
Und dann — erledigten wir das Uebrige
in der herkömmlichen Weise.
Als wir am andern Morgen um elf Uhr
Charley die Bedingungen seines Gegners
mittheilten, war jener ruhig, fast heiter.
„Also auf morgen früh!“ sagte er bei’m
Auseinandergehen. „Nur keine Aufregung!
Unter Lebemännern kann so was ja ein-
mal Vorkommen. Wenn man es dann nur
korrekt austrägt! Uebrigens — der Baron
hat geflunkert gestern — und Else hat mir
geschworen, dass kein wahres Wort an dem
ist, was er sagte.“ —
Er war unverbesserlich dumm !
Wir fuhren durch den herrlichen Früh-
jahrsmorgen vor die Stadt hinaus. Die
Sonne schien goldig über die Rasenplätze
der Anlagen, deren ersten grünen Schimmer
Primeln und weisse Anemonen in Massen
durchstickten. Frisch und scharf ging der
Frühwind über uns hin. ,
Unser Duellant war munter; der Ameri-
kaner, der ihm sekundiren sollte, bleich
und erregt. Er hatte den Pistolenkasten
auf seinem Schooss und sprach in den
kräftigsten Ausdrücken über den Baron
im Speziellen und über europäische Ehr-
begriffe im Allgemeinen.
Als wir auf dem verabredeten Platze,
einer breiten Lichtung in den Auen des
Flusses, angekommen waren, wickelten sich
die üblichen Ceremonien glatt und schnell
ab. Der Baron hatte einen Sekundanten,
der genau so geziert und albern aussah,
wie er selbst. Der Unparteiische, ein ha-
gerer, trockener Herr mit martialischem
Schnurrbart, vollzog seine Obliegenheiten
mit gemachter Gleichgültigkeit, wie ein Ball-
ordner, der eine Franpaise kommandirt.
Hart und schnarrend fiel das Kommando.
Charley schoss sofort, hastig, ohne zu
zielen. Er fehlte. Van der Week, der asch-
fahl mit verbissenem Gesicht dagestanden
hatte, rückte bis zur Barriere vor und schoss
dann sicher und ruhig den guten Charley
Gänsberger nieder.
Wir sprangen hinzu. Vor Schmerzen
zusammengekrümmt lag der Arme da und
was sich in seinen Zügen malte, war we-
niger Todesangst, als ein massloses Staunen.
„Mit mir ist’s aus“, flüsterte er und griff
nach seiner Brust und das rothe Blut rie-
selte ihm zwischen den Fingern durch; der
Arzt riss ihm das Hemd auf und schüttelte
sofort den Kopf.
„Nichts mehr zu wollen!“
Charley’s Kopf sank zurück, sein Ge-
sicht wurde leichenblass. Mister Klein bet-
tete das Haupt des Sterbenden auf einen
zusammengerollten Ueberrock und sagte,
jenem fast zärtlich die Stirne streichend:
„Sie haben sich geschlagen wie eine
echte Cavalier.“
Der Verwundete lächelte dankbar. Das
Lob that ihm wohl. Aber ein ehrlicher Kerl
war er immer gewesen und dies zeigte er
auch jetzt. Mit Anstrengung brachte er die
Worte heraus:
„Unter uns gesagt — ich habe es wirk-
lich nicht geglaubt, dass ein Mensch den
Andern — so ohne Weiteres über den
Haufen knallt — wenn er ihm so viel —
Geld schuldig ist. Ich habe auf den Baron
gar nicht geschossen.“
Er gab uns Beiden die Hand. Mit ver-
löschendem Lächeln blickte er mich an.
„Sehen Sie — nun hab’ ich doch —
mein Duell!“
Seine Augen wurden gläsern, er sah
uns nicht mehr.
Und nach wenigen Minuten sagte der
Arzt, der sich über den Gefallenen gebeugt
hatte: „Es ist zu Ende“!-
Der arme Charley! Wenn er wenig-
stens die Notiz noch hätte lesen können,
welche am andern Tage die Zeitungen
brachten über den „Zweikampf zwischen
zwei bekannten hiesigen Lebemännern!“
Die Philosophen.
Sie tranken Bier und hielten Rath
Am Wirthstisch hinterm Ofen.
Der Eine war ein Mann der That,
Die Andern Philosophen.
Man sprach natürlich von der Frau,
Dem räthselhaften Wesen,
Der Eine kannte sie genau,
Die Andern nur vom Lesen.
Der Eine lobte ihr Geschlecht,
Weil er ihr Glück genossen,
Die Andern räsonnirten recht
Und machten bitt’re Glossen.
Die Kellnerin liess alle Vier
Am selben Abend warten,
Die Philosophen auf ihr Bier,
Den Andern hinterm Garten.
FERDINAND V. HORNSTEIN.
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