Nr. 11
I !
I
JUGEND
1896
Ein froher Tag.
(Zur Psychologie der Schwiegermutter.)
Von Georg Borchardt.
An der Garderobe drängte man sich.
Die Damen rafften ihre langen Seidenkleider auf, hüllten
sich in die schwanverbrämten Tücher und Ueberwürfe, bastel-
ten und nadelten an einander umher, gaben ihren Männern
die Fächer zu halten mit der Weisung, sie ja nicht zu ver-
lieren, sie wüssten ja selbst, wie kostbar sie wären.
Die Männer zogen ihre Pelze an und alle waren miss-
muthig, wie die Trinkgfeldgesichter der Lohndiener, miss-
muthig, wie ältere Leute stets Bälle und Hochzeiten zu ver-
lassen pflegen.
Drinnen im Saal setzte die Musik von Neuem ein und
die tanzenden Paare glitten wie Marionetten an der breiten
Thüre vorüber, doch eine fröhliche Stimmung wollte auch
hier nicht mehr einkehren. Die Pausen der Musiker wurden
länger und länger, die Tänze desto kürzer. Es ging zum Schluss.
lieber Allem lag eine Liebersättigung und Müdigkeit.
Das Brautpaar war auch schon fort, und ein Jeder dachte
sich das Nothwendige.
Die Gespräche erlahmten und schienen, nach den ge-
langweilten Gesichtern zu schliessen, mehr und mehr banal
zu werden, nur in einer Ecke versuchte man noch zu geist-
reicheln und zu lächeln.
Ein älterer Herr, der des Guten zu viel gethan hatte,
machte kindliche Gehversuche, setzte sich aber, als er sich
bemerkt glaubte, schnell wieder hin. — —
„Ach, auch ich werde nach Hause gehen, man wird
mich nicht vermissen,“ dachte die alte Frau. „Nun hätte ich
auch das hinter mir.“
Das sollte nun mit der glücklichste Tag ihres Lebens
sein. Ach! sie fühlte sich missgestimmt, so matt, so zer-
schlagen! Es war ihr, als ob man mit kleinen Hämmern
auf ihrem Kopf herumtrommle. Ja — wenn ihr Seliger
noch lebte!
Das war also jener ersehnte Tag, dem sie in Sorgen
und Freuden 23 Jahre entgegengesehen, der Tag, zu dem
sie ihre Tochter erzogen, der Tag--
Fort! Hinaus! Nur allein sein, nicht mit all' diesen
Menschen zusammen!
Und wie ein Dieb stahl sie sich fort zur Garderobe. Vor-
sichtig, dass sie nur von niemandem bemerkt werde, eilte sie
die Treppe hinab und winkte ihrem Kutscher.
So — so.
— Jetzt war sie wenigstens allein.
Wenn sie nur erst zu Haus wäre! —
Sie liess sich in die Kissen zurückfallen und schloss die
Augen.
— Das war die letzte. Nun war sie allein, ganz allein,
hatte niemanden mehr auf der Welt, sie war abgethan, nie-
mand bekümmerte sich jetzt noch um sie. Ach — Warum
war sie kein Mann. Fünfzig Jahr und todt sein! Nichts thun
können, nichts im Leben gelernt haben, nichts können, nichts
wissen. Mit 50 Jahren seine Pflicht gethan haben, seine
Kinder erzogen, verheiratet und jetzt allein dasteh’n. Was
man selbst dabei geworden, wie man sich selbst Rechnung
getragen, danach fragt ja kein Mensch. Man ist abgethan,
hat nichts mehr zu erwarten als — und der wird auch noch
kommen. —
Sie war angelangt.
Rasch ging sie herauf. Ohne nur Licht anzuzünden, im
dunkeln Zimmer riss sie sich beinah die Sachen vom Leibe.
Die alte Dame, sie fühlte sich so todmüde — so — nur zu Bett!
„Das kann ja alles morgen nachgesehen werden.“ —
Als sie über den Seidenstoff des Kleides strich, ging es
ihr bis in die Haarwurzeln.
Sie warf sich in’s Bett und zog die Decke über sich.
Ah — sie fühlte sich so entsetzlich einsam. Niemand
bei ihr, niemand. Wenn sie nun jetzt stürbe. Wenn — sie
nun — jetzt — stürbe!
Sie dachte an ihre Tochter und es schien ihr plötzlich
so eine grenzenlose Niedertracht, so eine ausgesuchte Bos-
heit, sie zu verlassen, sie eines solchen Kerls wegen so ganz
allein zu lassen. Jetzt mit einem Mal zu jenem zu gehören
und nicht mehr zu ihr. Was hatte sie ihr denn Böses gethan?
Sie dachte an sich selbst, dachte an ihren seligen Mann,
er war nun schon sechs Jahre todt, sie hatten sich stets gut
vertragen, sie hatte ihn sogar einmal sehr lieb gehabt, das
hatte sich nun auch mit den Jahren abgeschwächt.
Sie sah ihre ganze Vergangenheit vorüberrollen; es war
alles stets am Schnürchen gegangen, Noth und Sorge hatte
sie nie gekannt und doch war es so entsetzlich öde, nichts,
wie geboren werden, heiraten, gebären, verheiraten und
sterben, nein — nein — absterben.
Und im Augenblick erfasste sie, sie wurde sich selbst
nicht klar darüber wie es geschehen konnte, ein so ungerecht-
fertigter Zorn gegen ihre undankbare Tochter, gegen dieses,
dieses — widerliche Mannsbild, das ihr die Tochter genommen,
dass sie mit aller Kraft die dicken, kleinen Füsse gegen die
Bettwand stemmte, die Hände zusammenballte in ungerecht-
fertigter Wuth, laut aufschluchzte.
174
I !
I
JUGEND
1896
Ein froher Tag.
(Zur Psychologie der Schwiegermutter.)
Von Georg Borchardt.
An der Garderobe drängte man sich.
Die Damen rafften ihre langen Seidenkleider auf, hüllten
sich in die schwanverbrämten Tücher und Ueberwürfe, bastel-
ten und nadelten an einander umher, gaben ihren Männern
die Fächer zu halten mit der Weisung, sie ja nicht zu ver-
lieren, sie wüssten ja selbst, wie kostbar sie wären.
Die Männer zogen ihre Pelze an und alle waren miss-
muthig, wie die Trinkgfeldgesichter der Lohndiener, miss-
muthig, wie ältere Leute stets Bälle und Hochzeiten zu ver-
lassen pflegen.
Drinnen im Saal setzte die Musik von Neuem ein und
die tanzenden Paare glitten wie Marionetten an der breiten
Thüre vorüber, doch eine fröhliche Stimmung wollte auch
hier nicht mehr einkehren. Die Pausen der Musiker wurden
länger und länger, die Tänze desto kürzer. Es ging zum Schluss.
lieber Allem lag eine Liebersättigung und Müdigkeit.
Das Brautpaar war auch schon fort, und ein Jeder dachte
sich das Nothwendige.
Die Gespräche erlahmten und schienen, nach den ge-
langweilten Gesichtern zu schliessen, mehr und mehr banal
zu werden, nur in einer Ecke versuchte man noch zu geist-
reicheln und zu lächeln.
Ein älterer Herr, der des Guten zu viel gethan hatte,
machte kindliche Gehversuche, setzte sich aber, als er sich
bemerkt glaubte, schnell wieder hin. — —
„Ach, auch ich werde nach Hause gehen, man wird
mich nicht vermissen,“ dachte die alte Frau. „Nun hätte ich
auch das hinter mir.“
Das sollte nun mit der glücklichste Tag ihres Lebens
sein. Ach! sie fühlte sich missgestimmt, so matt, so zer-
schlagen! Es war ihr, als ob man mit kleinen Hämmern
auf ihrem Kopf herumtrommle. Ja — wenn ihr Seliger
noch lebte!
Das war also jener ersehnte Tag, dem sie in Sorgen
und Freuden 23 Jahre entgegengesehen, der Tag, zu dem
sie ihre Tochter erzogen, der Tag--
Fort! Hinaus! Nur allein sein, nicht mit all' diesen
Menschen zusammen!
Und wie ein Dieb stahl sie sich fort zur Garderobe. Vor-
sichtig, dass sie nur von niemandem bemerkt werde, eilte sie
die Treppe hinab und winkte ihrem Kutscher.
So — so.
— Jetzt war sie wenigstens allein.
Wenn sie nur erst zu Haus wäre! —
Sie liess sich in die Kissen zurückfallen und schloss die
Augen.
— Das war die letzte. Nun war sie allein, ganz allein,
hatte niemanden mehr auf der Welt, sie war abgethan, nie-
mand bekümmerte sich jetzt noch um sie. Ach — Warum
war sie kein Mann. Fünfzig Jahr und todt sein! Nichts thun
können, nichts im Leben gelernt haben, nichts können, nichts
wissen. Mit 50 Jahren seine Pflicht gethan haben, seine
Kinder erzogen, verheiratet und jetzt allein dasteh’n. Was
man selbst dabei geworden, wie man sich selbst Rechnung
getragen, danach fragt ja kein Mensch. Man ist abgethan,
hat nichts mehr zu erwarten als — und der wird auch noch
kommen. —
Sie war angelangt.
Rasch ging sie herauf. Ohne nur Licht anzuzünden, im
dunkeln Zimmer riss sie sich beinah die Sachen vom Leibe.
Die alte Dame, sie fühlte sich so todmüde — so — nur zu Bett!
„Das kann ja alles morgen nachgesehen werden.“ —
Als sie über den Seidenstoff des Kleides strich, ging es
ihr bis in die Haarwurzeln.
Sie warf sich in’s Bett und zog die Decke über sich.
Ah — sie fühlte sich so entsetzlich einsam. Niemand
bei ihr, niemand. Wenn sie nun jetzt stürbe. Wenn — sie
nun — jetzt — stürbe!
Sie dachte an ihre Tochter und es schien ihr plötzlich
so eine grenzenlose Niedertracht, so eine ausgesuchte Bos-
heit, sie zu verlassen, sie eines solchen Kerls wegen so ganz
allein zu lassen. Jetzt mit einem Mal zu jenem zu gehören
und nicht mehr zu ihr. Was hatte sie ihr denn Böses gethan?
Sie dachte an sich selbst, dachte an ihren seligen Mann,
er war nun schon sechs Jahre todt, sie hatten sich stets gut
vertragen, sie hatte ihn sogar einmal sehr lieb gehabt, das
hatte sich nun auch mit den Jahren abgeschwächt.
Sie sah ihre ganze Vergangenheit vorüberrollen; es war
alles stets am Schnürchen gegangen, Noth und Sorge hatte
sie nie gekannt und doch war es so entsetzlich öde, nichts,
wie geboren werden, heiraten, gebären, verheiraten und
sterben, nein — nein — absterben.
Und im Augenblick erfasste sie, sie wurde sich selbst
nicht klar darüber wie es geschehen konnte, ein so ungerecht-
fertigter Zorn gegen ihre undankbare Tochter, gegen dieses,
dieses — widerliche Mannsbild, das ihr die Tochter genommen,
dass sie mit aller Kraft die dicken, kleinen Füsse gegen die
Bettwand stemmte, die Hände zusammenballte in ungerecht-
fertigter Wuth, laut aufschluchzte.
174