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Nr. 11

JUGEND

1896

Ein Reiseabenteuer.

„Ja, meine Herren“, begann der Gutsherr von Lugers-
hausen zu den Honoratioren am Stammtisch, „wenn Sie so
in aller Gemüthsruhe beim schäumenden Glas Bier sitzen
und das köstliche Nass schlürfen, werden Sie kaum begreifen
können, wie sehr der Durst den Menschen peinigen und zur
Verzweiflung treiben kann. Ich weiss davon ein Lied zu singen!

Es ist Ihnen doch bekannt, dass ich vor circa fünf Jahren
eine Afrikareise gemacht habe, und da hatten wir — ich und
meine Begleiter — leider genug Gelegenheit, den bösen Gast
hinreichend kennen zu lernen. —

Sehen Sie dies kleine Fläschchen hier — ich trage es
als theuere Reliquie stets bei mir — dies winzige Fläschchen,
gefüllt mit altem, trefflichem Burgunder, hat mich nebst sechs
Reisegenossen, durch drei Tage gelabt und uns alle vor dem

entsetzlichen Tode des Verdurstens gerettet.-- Allerdings

bedurfte es zu diesem Kunststückchen einer grossen Geistes-
gegenwart, Kaltblütigkeit und einer seltenen Erfindungsgabe,
durchaus Eigenschaften, welche jeder Afrika-Reisende vollauf
besitzen sollte und die, wie Sie wohl wissen, auch mir keines-
wegs ermangeln.

Ich sehe Ihre erstaunten Gesichter und Ihr ungläubiges
Kopfschütteln, so dass ich ohne alle Umschweife in medias
res gelangen will.

Unsere Karawane war von Kairo aufgebrochen, um west-
wärts marschirend das Land zu erforschen und schliesslich
nach Tripolis zu gelangen.

Einige Tagereisen ging es recht glücklich von statten.
Schliesslich aber geriethen wir in eine Wüste, aus der wir
keinen Ausweg mehr finden konnten. Unsere Lage war eine
überaus missliche. Unter uns das glühende Sandmeer, über

uns der eherne Himmel, welcher seine sengenden Gluth-
strahlen herabsandte — das war der trostlose Anblick, der
sich uns täglich bot. Was Wunder, dass unsere Wasser-
vorräthe trotz ängstlicher Sparsamkeit bald zu Ende gingen
und nun der Durst unser steter Begleiter wurde. Unsere
Pferde und Kameele waren zu Grunde gegangen oder ver-
schmachtend liegen geblieben; wir aber schleppten uns, vom
Schreckgespenst des Verdurstens gepeinigt, an einer Rettung
fast verzweifelnd, weiter. —

Da, als die Noth auf das Höchste gestiegen war, erinnerte
ich mich glücklicherweise, in meinen Mantelsack, den ich nun
selbst schleppen musste, ein Fläschchen Wein gesteckt zu
haben. Ich griff darnach und förderte es zu Tage. Ursprüng-
lich dachte ich daran, den Wein mit meinen Gefährten zu
theilen. Bald aber besann ich mich eines Anderen. Was
würde dies Fläschchen nützen für sieben dürstende Kehlen?
Ein Tropfen Wasser auf einen brennenden Kessel! Damit
wäre uns nicht geholfen gewesen, höchstens unser Ende um
einige Stunden hinausgeschoben worden. — Da fiel mir zu
unserem Heile eine glückliche Idee ein, die ich allsogleich
verwirklichte.

Ich hiess meine Unglücksgenossen zu mir treten und zeigte
ihnen das entdeckte Flächchen voll herrlichen Burgunderweins.
Ha, wie ihre Augen wieder glänzten und ihre Mienen sich
belebten! Dann entkorkte ich es langsam, setzte es an den
Mund und machte mit sichtlichem Behagen einen langen Zug.
Um sie noch mehr zu reizen, schnalzte ich sogar mit der
Zunge.

Meine Begleiter schauten zu mit einer Begier, wie ich
solche noch nicht gesehen. Vor heisser Gier und brennen-
dem Verlangen floss ihnen das Wasser reichlich im

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Register
Rudolf Grieß: Zeichnung zum Text "Ein Reiseabenteuer"
M. Winterstein: Ein Reiseabenteuer
 
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