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1896

JUGEND

Nr. 12

Für die „Jugend“ gezeichnet von M. Kleiter
und ihren Feinden in fröhlicher Nichtachtung gewidmet
von der „Jugend.“

Eine gar trübselige Ballade von der
verderbten „Jugend“

mit tröstlichem Schluss.

Nun lausche, grüne Jugend, dem Lied von jenem Mann,

Der Deine Teufelskünste belegt mit schwerem Bann —

Lass’ Pinsel und Palette, verlass’ Dein Malgeräth,

Wirf von Dir Stift und Nadel, noch eh’ es gar zu spät. —

Ich will die Saiten greifen, dass Ihr erschrocken schaut
Mit grossen nassen Augen, und banger Gänsehaut
Ich will die Leier rühren — wie dröhnt sie unheilschwer
Wenn das nicht zieht, oh Jugend, nun dann zieht gar nichts

mehr. —-

Es lebt ein Mann in Hamburg, am schönen Elbestrand,

Der handelt (und wer dort nicht?) mit Büchern allerhand;
Auch wohnt daselbst ein Kaufmann, (das ist nicht schwer ge-
dacht!) —

Weiss nicht, ob er in Schmieröl, ob er in Fenchel macht!

Der Kaufmann ging des Sonntags einst in den „Kunst-Verein;“
Doch wollt’ihm der Artikel wie sag'ich? - nicht recht ein.
Und weil ihn das verdrossen, geht er in sein Gontor
Und nimmt sich seinen Ganskiel und ein Fakturblatt vor,

Und schreibt dem Lieferanten pardon! dem Kunstverein:
„Wie heisst? Soll das ä Schmieröl - pardon ä Kunstwerk

sein ?

Die neue Kunst: Pfui Teufel! Was Richtung! Reiner Hohn!

Nur dann vor Allem eins noch: Wo bleibt die Tradition?“ —
Der Kaufmann hat’s gerufen — der Buchmann hat’s gehört,
Und alsobald der Eine dem Andern Sippschaft schwört.

Der Buchmann spricht: „Ich schrieb doch schon über das

und dies,

Warum denn über Kunst nicht?— Knapp’, reiche mir den

Spiess!“

Der Lehrling schleppt den Ganskiel vom Laden in’s Gontor
Stirnrunzelnd nimmt der Buchmann ein leer Prospektblatt vor
Und kaut an seinem Kiele, — da kommt’s ihm allgemach,

Und was der Kaufmann kaute, das kaut der Buchmann nach:
„Ich greife in die Saiten, als Laie, tief und fest
Und geh' Euch, Ihr „Modernen“, allnun den letzten Rest!

Vox populi — vox Dei die Stimme des, Gottlob
Noch nicht verirrten Volkes, ist’s, die ich laut erhob!

Und Ihr da von der „Jugend“ und Ihr da von dem „Pan“,
Ich klag’ als Unheilstifter Euch laut und drohend an!

Euch weise jeder Buchmann verächtlich seine Thür —
Krankhaft - so seid gemieden von nun an für und für.

Zum Kampfe mit uns Allen! Hört unser schreckhaft Droh’n:

Euch gänzlich zu vernichten, ist unsere Mission!“-

Und wie des Wack’ren Feder sich also tief empört,

Hat man des Lehrbub’s Stimme im Laden bang gehört —

Die Ladenklingel schellte — da eilt der Prinzipal,

Bewillkommt tief die Käufer und ist als wie ein Aal:

Man abonnirt die „Jugend“ — der Buchmann lächelt fein
Und trägt vergnügt den Auftrag in sein Bestellbuch ein. —

Dann aber fällt er wieder mit Wucht in’s „Saitenspiel“

Und knirschend schliesst den Bannstrahl sein fürchterlicher Kiel

Da lacht Ihr noch verächtlich und werft noch stolz den Kopf?
Da sprecht Ihr noch von „Blechschmied“ und von Philisterzopf?
Und pfeifen könnt Ihr gar noch auf solche Melodei n? -

Weiss Gott! So arg vermessen kann nur die Jugend sein!-

Fahr’ hin, Du Unglücks-Leier — vergebliches Bemüh’n;

Und seid Ihr denn verloren, so lasst mich mit Euch zieh’n.
Und wenn von Eurem Harnisch aufsprüht Lenz-Sonnenschein,

So reicht auch mir ein Schlückchen von Eurem Maienwein!

F. L., LEIPZIG.

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Index
F. L.: Eine gar trübselige Ballade von der verderbten "Jugend"
Max Kleiter: Kritik
 
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