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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 13 (28. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3187#0196

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1896

JUGEND

Nr. 13

Der Keller-Asra

Täglich ging der bleiche Mime
Um die Abendzeit zum Keller,

Spülte seine Mass am Troge,

Wo die weissen Wasser rauschen.

Täglich füllte ihm die dicke
Zenzi still auf Pump den Masskrug —
Stets vertröstete der Gast sie
Auf den Tag der Gagenzahlung.

Endlich ward’s zu dumm der Zenzi;
Arm’ in Hüften, trat sie vor ihn:
„Ihren Namen will ich wissen!
Strasse! Nummer und Etage!“

Und er sprach: „Ich heisse Pumpen-
heimer — spiele Heldenväter —
Stammgast werd’ ich nur bei Damen,
Welche sterben, eh’ sie mahnen!“

FRANZ HELD.

Aphorismen

Erzählung von Paul Bliss.

„Natürlich, Mädel, wirst Du mitfahren,“ sagte die Mutter, „hast ja so gut wie gar
nichts vom Leben“.

Aber Else schwieg und sah nachdenklich zum Fenster hinaus.

Nun begann die Nachbarin von neuem.

„Immer kommen Sie man mit, Fräulein Else, Sie werden
sich schon amüsiren; wir fahren nach dem Grunewald und
da ist immer was los.“

Auch jetzt noch sagte Else nichts. Aber die Mutter
winkte der Nachbarin zu, — sie könne darauf rechnen, dass
Else mitmache, damit war diese zufrieden und ging.

Als die Beiden allein waren, trat die alte Frau zu ihrer
Tochter hin, streichelte zärtlich das blonde Haar ihres Lieb-
lings und fragte: „Warum willst Du denn nicht mitfahren,
mein Kind?“

Else sah der Mutter in’s Gesicht. „Wenn du es gern
hast, Mütterchen, fahre ich natürlich mit.“

„Aber, Mädel, ich hab’ doch nichts davon, Deinetwegen
habe ich doch nur zugeredet, damit Du auch mal ’ne kleine
Abwechselung hast. Du kannst doch nicht alle Tage hinter
Deiner Nähmaschine sitzen, siehst so schon ganz blass aus.
Was soll denn das werden, wenn Du Dir nicht einmal diese
kleine Erholung gönnen willst!“

Else schwieg. Die Augen waren voll Thränen und um
den Mund kam ein Zug von bitterm Weh, dann sagte sie:
„Ich werde mitfahren, Mutter.“ Und dann umfasste sie die
alte Frau und küsste sie heiss und innig. Dann ging sie in
ihre Kammer, um sich fertig zu machen.

Voll Betrübniss sah die Mutter ihr nach. Das arme Mädel,
dachte sie, wahrhaftig, es war schrecklich, — alle Tage, vom
frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, sass sie und stichelte,
und dabei für so ein bischen Geld, aber es ging doch nicht
anders, die kleine Pension aus der Wittwenkasse reichte doch
nicht für den Unterhalt von zwei Menschen, wenngleich man
schon mehr als eingeschränkt lebte, zum Gott-Erbarmen
war es.

Nach einigen Minuten kam Else wieder; sie hatte ihr
Sonntagskleid angezogen, ein helles Mantelet umgenommen
und den neuen schwarzen Tüllhut aufgesetzt, — alles war
nur einfach und schlicht, aber es war kleidsam und gc-

Masslos — nun, das ist immer noch besser als ziellos.

D. H.

Nur Wenige können lachen; die Meisten veilachen nur.

D. H.

Jeder Mensch hat mehr Unterlassungssünden als Begeh-
ungssünden auf dem Gewissen. D- H-

schmachvoll.

Die Mutter lächelte stolz. „Gut siehst Du aus, mein Kind,
und wer es nicht weiss, wie knapp es uns geht, der kann es
Dir weiss Gott nicht ansehen. Na, nun geh 'rüber zur Frau
Schwarz und amüsirt euch gut. Ich werde aufbleiben, bis
Du zurück bist.“ Sie gab der Tochter einen Kuss und be-
gleitete sie an die Thür, dann ging sie zurück in ihren Kranken-
stuhl.

Weiter Blick? — O nein, mein Freund,
Lange Beine vor allen Dingen —:
Mancher, den Du weit übersiehst,

Wird Dich ebensoweit überspringen!

ROBERT OECHSLER.

Eine Viertelstunde später fuhr Else mit der Familie Schwarz
ab; sie kannte alle Fahrgenossen, die im Kremser sassen, es
waren Bekannte und Verwandte der Nachbarin, kleine Leute,
Handwerker und Subalternbeamte mit ihren Frauen und Kin-
dern, aber es waren brave und redliche Menschen.

201
Index
Franz Held: Der Keller-Asra
Paul Bliß: Die heilige Frau
Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Text "Der Keller-Asra"
Julius Diez: Titelbild zu "Die heilige Frau"
 
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