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1896

JUGEND

Nr. 14

Das Liebesspiel

Von Victor Hardung

Der Herr Geometer Aloysius Plazidus Häfeli
stand am Fenster und schaute in die leuchtende
Welt, wo der Mai mit weichen Netzen umging, Jung-
herrn und Jungfräulein zu kapern und ein Pärlein nach
dem anderen in süssen Banden zappeln zu lassen.

Eine hell gewandete Schaar zog des Weges,
und der Herr Geometer sah ihr nach, wie sie
gleich einem Schwarme von bunten Schmetterlingen
dahinfalterte. Und ihm, der doch an diesem Sonn-
tagmorgen die gewohnte und geschätzte Müsse hatte,
s>ch auf die drei Fleisch und drei Gemüs zu freuen,
die es heute an Stelle der werktäglichen zwei gab,
kam ein anderer, vergessener Duft in die Nase.

Als junger Bursch hatte er den Tanz gar geliebt,
aber diese seine Liebe vor dem gestrengen Herrn
'Erzeuger geheim halten müssen. Dennoch war ihm
der Alte immer wieder auf die verbotenen Sprünge
gekommen, und endlich wurden allabendlich die
Sonntagshosen des Jungen unter besondere Obhut
genommen. Tanzbeine aber wollen ihre Bewegung,
kind so stahl sich denn der Bursch nächstens in
den abgeschabten und durchgerutschten Alltäglichen
k°rt und walzte darin in gar klein und zierlich be-
sessenen Kreisen, um die langen Schösse des
Einsegnungsfrackes nicht aufzustören, die denn auch
Neulich über der Stätte der Verwüstung wachten.

Den Herrn Geometer meistert die Erinnerung.
k*at ihn etwa wer gefragt, woher er die Gewohnheit
s° kleiner Schrittlein habe? Eine Röthe geht über
sein verwittertes Gesicht und bleibt an der Nasen-
spitze hängen, gleich dem Abendschein an einem

Eeri

ha

gzinken. Und eine fremde Demuth beugt sein
gestoizes Gemüth.

Ihm ist, als thue sich ein verstecktes Thürlein
.u‘) als schreite er durch einen kühlen, dämmer-
s ?n. Oang zu einem heimlichen Winkel, wo eine
hone Jungfer hause. Und vor der müsse er sich
'gen und ihr Lächeln heischen.

Eier Herr Geometer schnalzt und macht ein
^aulchen, als wolle sich ein Igel in Rosen wälzen,
hd dann rafft er den Hut vom Schrankbord und
Pert mit seinen langen Beinen feldein, den
^'hietterlingen nach. Der Frühlingswind tändelt

gepfl

dem Lachen, das er von rosigen Mädchenlippen

sn' , kt hat, fügt es zu einem silbernen Glocken-
(jef und lässt das unserem Aloysius Plazidus unter
hatt ^ase erklingen. Und wo ein Jauchzen auf-
da 6rt> hohwebt es für eine Weile im Blauen, sinkt
dem* V°r ‘*lm "'Uder und bettet sich mit gurren-
Nachhall in die weiche Stille,
den l^Uc*1 'n Aloysii verstaubtes Herz hat der Mai
goldenen Schlüssel gesteckt und möcht ein
merlein erschliessen zu artiger Kurzweil.

Gei. t. ]• Berchtold.

Bald über hochleitenden Pfaden weg, bald unter
weissblühendem Buschicht durch gleiten die Band-
schleifen der Mädchen, lustige Wimpel. Und Herr
Aloysius folgt ihnen unverdrossen. Wo der Pfad
niederspringt und Nussbäume mit schwellem Ge-
wipfel auf den Fluss schatten, bietet eine Kloster-
wirthschaft Rast im Grünen. Hier will die frohe
Schaar den Sonntag in Lust begehen. Und die jungen
Stimmen fliegen zu den Zellen der frommen Frauen
hinüber und verfangen sich in den Ranken, womit
der Frühling blinde Scheiben umblüht.

Ein loser Bursch ist auf einen Tisch gestiegen,
stösst dreimal derb mit dem Stocke auf und heischt
mit würdigem Munde und lachenden Augen Stille.
Und dann verkündet er, da sich einer ihrer guten
Bruderschaft nicht eingestellt habe, so mache sich
das Bedürfniss geltend und dringe darauf, dass
eine überzählige Jungfer an den Mann gebracht
werde, und dafür schlug er den Weg der öffent-
lichen Versteigerung vor. Ein jedes Pärlein könne
durch Mitbieten dieser bösen Welt beweisen, dass
es heuer nichts im Schilde führe, was mehr als
vier Augen scheue und sich das verlassene Frauen-
zimmerlein hinzu erwerben. Da es indess nirgends
Brauch sei, dass der ausbietende Beamte mithalte,
und er nicht der Mann sei, eine gute, alte Sitte aus
krasser Eigennützigkeit umzustossen, so wolle er
für seine Person und sein Paar kein Vorrecht in An-
spruch nehmen. Worauf ein schmuckes Mädchen
mit einem kecken Satze zu ihm auf den Tisch sprang,
ihn mit seinem eigenen Spazierstecken hinunter-
trieb und lachend betheuerte, es wolle, weil über-
zählig, nicht als Spielverderberin gelten und sich
für eines Einzelnen Unthat am ganzen Geschlechte
rächen. Denn zu zweien seien sich Männlein und
Weiblein gerade genug, um trotz allem Trubel ein
Paradiesgärtlein einzuhegen — ein Drittes könne
da nur über das Gatter lugen. Wenn es schon
überzählig sei, so wolle es wenigstens zu eins über-
zählig sein, und sich umthun — vielleicht lese es
unterwegs einen Hagestolzen auf, der einsam dahin-
zottele. „Samuel erscheine!“ schloss die Uebermüth-
ige und schwang den Stecken.

Der Herr Geometer aber stand unweit am Hof-
thor des Wirthshauses und sein Haupt leuchtete
aus wirrem Bartgestrüppe wie ein Distelkopf zu dem
lustigen Volke herüber. Und ehe sich der Säumende
dessen versah, hatten sie ihn eingefangen und zum
Hüter und Gesellen der Verlassenen bestellt.

Und so ward dem Herrn Geometer eine Sonntags-
bescheerung. Ein schönes Mädchen hing an seinem
Arm und braune Augen lachten ihm in’s vertrocknete
Herz. Wohlige Schauer rieselten ihm über den
Rücken und ihm deuchte, so müsse einem Schmetter-
linge über dem Auskriechen zu Muthe sein. Noch
halb in der hässlichen Hülle, fühlt er doch schon die

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Victor Hardung: Das Liebesspiel
Jakob Berchtold: Zierleiste
 
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