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Nr. 14

• JUGEND

1896

Sonne, wie sie, schönheitsdurstig, die Stäub-
lein auf seinen Schwingen sucht.

Ja, ein neues Leben sollte werden. Eine
warme Milde strömte aus seinem Herzen,
stieg ihm in die Augen und legte einen
weichen, verklärenden Schleier vor seine
Blicke. Selig sass er vor seinem Glase mit
dem Landwein. Er sah zurück und sah
vieles, was er unterlassen — er sah vor-
wärts und sah eines und in ihm alles, was
er gut zu machen hatte. Sollte das liebe
Ding an seinem Tische auch arm sein an
Geld und Gut, wofür hatte er denn sein
artiges Einkommen? Wohl war er gewohnt,
von Vierteljahr zu Vierteljahr eine
behäbigere Zahl in seinem Bank-
büchlein zu beherbergen. Aber zur
Stunde dünkte es ihm köstlich, um
todten Mammon jung pulsendes Le-
ben zu tauschen. Wie Verachtung
quoll es in ihm auf, wenn er so
manches Gesellen gedachte, welcher
sich an der schönsten Blume Gottes,
an einem lieben Mädchen, vorbei-
gedrückt und ihr habsüchtig eine
schlaffe Mistbeetpflanze des Teufels
vorgezogen hatte. Es kam ihm nicht
in den Sinn, dass er selber solcher
Schuld nicht bar, dass er in Ge-
danken oft genug daran gewesen war,
gerade so zu schachern.

Unter den Nussbäumen ward ge-
täfelt. Der Wein verbündete sich
dem Maien, und wer ein begnadetes
Ohr hatte, der hörte aus dem Becher-
läuten der Beiden Gelächter.

Unser Aloysius machte ihren
lustigsten Herold. Ihm war, als sei
seine Jugend, die sich nicht ausgelebt hatte,
aus langem, tiefem Winterschlafe erstanden.

Ein Tänzlein ward gewagt, wozu nach
seiner Weisung einer auf einem Schlüssel
zu pfeifen und ein zweiteraufeinem Kamme
zu pusten hatte. Als der Reigen über den
Rasen walzte, fuhr ihm das Glückverlangen
in die Arme und er umstrickte sein Part
fester und fester bei dem altmodischen
Ländler, den er auf dem Grase beschrieb.
Doch vor seinem Uebermuthe scheute der
des Mädchens. Und als die Musikanten
schwiegen und abgelöst zu werden ver-
langten, entwandt es sich, wie des Athmens
bedürftig, und ward heimlich auf einem
Pfädlein, das eigenwillig zwischen krausen
Hecken stak, flüchtig.

Der Herr Geometer kniff die Augen
zusammen und blinzelte dem blühenden
Haupte nach, das, einer gelösten Rose
gleich, über der grünen Schanze des
Schwarzdorns schwebte. Und er nahm
den Weg unter die Füsse, beachtete nicht,
dass ein neuer Ankömmling sich einge-
funden hatte, jubelnd begrüsst von den
Genossen, machte lange Schritte und fand
sich bald wieder in der Nähe des Mäd-
chens, das sein Herz mit weichen Fäden
umsponnen hielt.

„Ihr entwischt mir nicht, Jüngferlein!“
keuchte der Verliebte. „Nicht heute, nicht
morgen — nimmer! Denn, dass Ihr’s nur
wisst: was Liebes ist mir lange genug ab-
gegangen und ich heirath Euch! Kommt

— auch die drüben sollen’s wissen — alle,
alle — und auf unser Glück anstossen!“

Ach; der Wein und der Frühling hatten
ihn so zuversichtlich gemacht!

„Bleibt!“ hält das-Mädchen zurück. Ein
Zucken umirrt den Mund und besiegt ein
Lächeln. „Aber ich bitt Euch, wie könnt’
Ihr denn Ernst nehmen, was nur ein
Spiel war?“

„Spiel?“ ächzte der Geometer. Seine
Augen tasten sich wieder in die Wirklich-
keit und er sieht sich — einen wind- und
wetterzerzausten Dornbusch, dem der Mai
mitleidig eine letzte Blüthe gegeben.

Ein Schatten fällt auf den Weg. Das
Mädchen hat einem jugendschlanken Ge-
sellen die Hand gereicht, und unser Aloy-
sius möchte seinem Schutzheiligen Unehre
machen und mit Toben und Wüthen unter
das Pärlein fahren. Aber er bringt es nur
zu einem Gurgeln und Husten und zu
einer dicken, dicken Thräne.

„Ich — hol’ mich der Teufel — ich ..

Ein heiseres Gelächter fährt dem Mäd-
chen in’s Herz. Mit einer schier gewalt-
samen Bewegung tritt es auf das unselige
Gespiel zu, beugt sich vor und küsst das
steif Starrende auf die borstigen Lippen.
Und dann schaut es ihm mit schimmern-
den Blicken in die zwinkernden Augen,
lächelt und zieht seinen verdutzten, stirn-
runzelnden Geliebten mit sich fort.

Der Herr Geometer steht reg-
ungslos. Eine Rosenflocke dünkt er
gespürt zu haben und doch einen
Schlag, der unter all’ die falschen
Propheten und Götzen seines engen
Lebens gefahren ist und sie gestürzt
hat, um eine wüste Leere zu lassen.
Er schaut in die Sonne, den jungen
Gestalten nach, und sieht nur das
Mädchen, in dessen Kraushaar das Licht
nistet. Doch die Augen sind ihm wund.
Er wendet sich. Und er schneuzt und
schneuzt, als könne er alle Trübsale dieser
Welt durch die Nase blasen.

Am Frühlingshimmel schwimmt ein
goldumsäumtes Wölklein. Und der junge
Traum unseres armen alten Aloysii Plazi-
dus gleitet mit ihm in die Ferne.

Er selbst aber trottelt der Stadt zu, über
deren Thürmen der Abend hängt, schüttelt
den Staub von den Schuhen und das böse
Liebesspiel aus dem Herzen.

Gezeichnet von A. Wimmer.

Frühlingssturm

Schluchzender Geigen süsses Gewirr,
Flöten und Cymbeln von blauen Altanen;
Grünes Geleuchte verdattert und irr —
Frühling stürmt mit fliegenden Fahnen.

Träumendes Kind, hab’ acht, hab’ acht!
Aus der Knospe drängt er die Blume,
Zündet die Fackel der Liebesnacht,
Löscht die Ampel im Heiligthume.

VICTOR HARDUNG.

2l8
Register
Albert Wimmer: Zierleiste
Victor Hardung: Frühlingssturm
 
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