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1896

JUGEND

Nr. 15

ES war in der Zeit, als das Christenthum die alten Götter
bereits besiegt hatte.

--.iTrüb der Himmel und trüb das Meer, das seine
schaumgekrönten Wogen tosend dem Gestade zu-
wälzte und ein düsterwildes Lied von Tod und Verderben
zu singen schien.

Auf einem Felsen am Ufer sass Pan und blickte über
die Fluthen hin. Der stürmende Wind spielte mit dem Haare
des Gottes und der Schaum der Wellen sprühte zu ihm hin,
als wollte das Meer dem von den Menschen verlassenen
Gotte seine Perlen zu Füssen legen.

Pan aber achtete dessen nicht und sein Auge starrte
düster auf die Wogen.

Da stand mit einem Male ein Mönch vor ihm: die dunkle
Kutte flatterte im Winde und aus den Augen 'blitzte wilde
Begeisterung.

„Hinweg!“ rief er und hielt ihm sein Kreuz entgegen.
„Weiche, Satan, diesem Zeichen, vor dem die Hölle zittert!“
Doch der Gott wich nicht. Er Hess sein dunkles Auge
traurig auf dem Priester ruhen und sprach: „Was quälst Du
mich? — Lass’ mich in Frieden sterben!“

„Sterben?“ rief der Mönch. „Das lügst Du, böser Feind!
Unsterblich ist das Böse — unsterblich bist auch Du!“

„Unsterblich?“ versetzte Pan und lächelte schmerzlich.
„Unsterblich -— ja, wenn Du anbetend vor mir niederfällst
und die Menschen lehrest, mich anzubeten wie vordem!“
„Dich anzubeten?“ und der Mönch lachte grimmig auf.
„Ha, Versucher, daran erkenne ich Dich! Dich anzubeten?
Niemals, Teufel, niemals!“

Pan aber richtete sich stolz vor dem Priester auf.

„Ich will es auch nicht!“ rief er, „ich bettele nicht um
Andacht! Ich gehe mit dem Letzten, der mich gläubig ehrt,
zu sterben. Du aber denke der Milde, die Dein Meister lehrt
und lass’ mich in meinem Walde in Frieden sterben!“

So sprach der grosse Pan und verschwand.

Das Meer schrie wild auf und stürmte mit seinen Wogen
an die Felsenufer, als wollte es die schöne blühende Welt in
Trümmer schlagen.

Dort, wo die blauenden Sabinerberge freundlich grüssend
auf die üppigen Fluren Latium’s niederblicken, steht am Wal-
dessaume ein verfallener Tempel.

Unkraut wuchert auf dem Dache, die schlanken Säulen-
schäfte umschlingt wilder Wein und lässt seine Ranken mit
den herbstrothen Blättern im Winde flattern, Schwalben haben

in dem Acanthusblätterschmucke der Kapitäle ihre Nester ge-
baut und Rosenbüsche auf dem verlassenen Altäre Wurzeln
geschlagen.

Verlassen, öde steht der Tempel am Waldessaume und
scheint ernst, als gedächte er längst entschwundener Tage,
auf die üppigen Auen nieder zu blicken, wo die Schnitter
munter singend die goldenen Aehren in Garben binden.

Der Tag geht1 zur Rüste und die Sonne übergiesst das
Land und den verlassenen Tempel mit goldenen Lichtern.

Doch noch ist der alte Tempel nicht ganz vergessen. Ein
alter Mann kommt den steilen Waldpfad heran, schiebt die
nickenden Ranken zur Seite und tritt zum Altäre. Mit zittern-
der Hand streift er das dürre Laub von den heiligen Steinen
und legt Zweige und dürres Holz darauf. Dann schlägt er
Feuer und wie die Flamme aufprasselt, wirft er Obst und
Feldfrüchte hinein, dass der Opferdampf kräuselnd zur mor-
schen Decke emporsteigt.

— Der muntere Gesang der Schnitter tönt näher und
näher. —

Der Alte aber hört ihn nicht, er sinkt vor dem Altäre auf
die Knie und hebt die Hände zum Gebete empor.

„Pan, o grosser Pan!“ spricht er. „Du Gott meiner El-
tern und Ahnen, der Du die Fluren segnest und die Heer-
den! Siehe, der letzte bin ich in diesem Thale, der Dich
ehrt: zu alt bin ich für ihren neuen Gott! Du hast den from-
men Glauben meiner Väter mit tausendfältiger Blüthe und
Frucht gesegnet: Pan, o grosser Pan, gesegnet seist Du und
segne auch mich!“

— Und näher, immer näher tönt der Schnittergesang. —

Der Greis aber neigt im Gebete sein Haupt, und als er
es wieder hebt, da — steht Pan vor ihm. Er blickt milde zu
dem erschrockenen Alten nieder und spricht: „Fürchte nichts,
Du Letzter, der an mich glaubt! Gesegnet sei das Feld, das
Du bebaust, gesegnet die Heerde, die Du hütest und geseg-
net seiest auch Du!“

„Pan, o grosser Pan!“ stammelte der Alte-

Da tönen plötzlich Schritte und verworrene Stimmen hin-
ter ihm.

„Der Teufel! Der Teufel!“ ruft es gellend.

„Die Hölle ist los!“ schreien die Stimmen durcheinander.
„Fliehet! Fliehet!“

„Halt, sag ich! Nein!“ übertönt eine mächtige Stimme
das Gewirre. „Stehet: Der Herr ist mit uns!“

Der Greis ist erschrocken aufgesprungen und sieht die
Schaar Schnitter.

„Da ist er!“ tönt es aus dem Haufen. „Sehet, da ist der
Teufelsanbeter! Nieder mit ihm, nieder!“

Der Alte flüchtet zu Pan und umfasst in Todesangst die
Knie des Gottes: „Schütze mich, o Pan! ruft er, „Pan,
schütze mich!“

Und der Gott breitet schirmend seine Hände über ihn.

Aber schon fliegen Steine gegen sie, dass die getroffenen
Ranken und Blätter umherstieben und der Marmor der alten
Säulen splittert.

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Register
Bruno Paul: Zeichnung zum Text "Pans Tod"
Theodor Kirchner: Pans Tod
 
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