Nr. 15
- JUGEND
1896
Verkehrte Welt
Als ich meinen Freund Bob Stone im
Hotel aufsuchte, lag er im Bett und hatte
Kopfweh. Mit seinem gelblich - blassen
Leidensgesicht und dem Turban aus weis-
sen Handtüchern, den er aufhatte, ent-
sprach er durchaus nicht dem Bilde, das
meine Phantasie sich von dem gewesenen
Lieutenant und späteren amerikanischen
Reitlehrer, Cowboy und Viehzüchter ge-
macht hatte. Wegen einer tollen Spiel-
geschichte war er in die neue Welt ge-
schickt worden, hatte sich durch tiefes
Elend und brutale Verwilderung durch-
geschlagen, kehrte jetzt nach zehn Jahren
als wohlhabender Rinderheerdenbesitzer
aus dem wilden Westen zurück, lag nun als
beturbantes Jammerbild vor mir im Bette
und hatte Kopfweh zum Steinerbarmen.
Wir schüttelten uns die Hände und dann
sagte ich: „Armer Junge!“ und deutete auf
seinen kühlen Umschlag. „Die Reise ist
wohl Schuld daran?“
Er verneinte mit einem stummen Kopf-
schütteln.
„Das Klima?“
Er schüttelte weiter.
„Was dann? Soll man Dir einen Arzt
holen?“
Mit einer drohenden Grimasse verbat
er sich diese Fürsorge und dann stöhnte er:
„Ich habe gestern die vier alten Kerle
Langhans, Schmellau, Bergen und Kor-
wik — getroffen; wir waren bis drei Uhr
zusammen und sie haben mich — oh!“
Er deutete stöhnend auf seinen Kopf
und verständnissinnig sagte ich: „Sie haben
Dir ein Bischen zuviel zugetrunken?“
Er aber mit einer Miene unsäglicher
Verachtung: „Mein lieber Freund! Ich habe
in einem Monat drüben mehr Brandy ohne
Soda intus gekriegt, als die vier Jungens
brauchten, um sich zusammen drin zu ba-
den! Und da sollen mich die paar Flaschen
Zuckerwasser-Mousseux — nein, mein
Lieber! Von den Kerlen selber habe ich
Kopfweh! Von ihrem Reden, von ihrem
Flunkern, von ihrer Verdrehtheit! Ich bin
das Nachdenken und das Lügen nicht mehr
gewohnt — das ist Alles!“
Jetzt verstand ich ihn allgemach. Die
„vierSensitiven“waren überihn gekommen
und da konnte er nicht mit.
„Also erzähle mir,“ sagte ich, denn ich
wusste, das würde ihn erleichtern und mir
Spass machen. Und er erzählte — einige
hinterwäldlerische Rauheiten habe ich na-
türlich aus seiner Erzählung weggeschliffen.
„Also ich traf die Viere gestern Nach-
mittag auf der Strasse und wir verabredeten
uns für den Abend. Ich war zuerst da.
Dann kam Langhans — der Maler! Wie
er schon aussah! Er ging, als wenn er
mit den Füssen die Erde nicht berühre
und doch sind sie gross genug dazu. Sein
Hemd war von orangegelber Seide, seine
Binde türkisblau und aus der Rocktasche
quoll ein burgunderrothes Foulard. Ertrug
auf dem Kopfe einen Hut aus Plüsch und
an den Beinen Pumphosen aus Sammt.
,Also, Du bist Maler? frage ich
Und was malst Du denn eigentlich?“
,Die Frage ist etwas derb“, sagte er,
offenbar gekränkt. ,Das lässt sich so direkt
und geradezu kaum beantworten.“
,Sei nur wieder gut! Was versteht unser-
einer davon! Ich habe in acht Jahren nur
einen Maler gesehen. Es war in Kentuky.
Er malte einen Pfau auf ein Wirthsschild.
Vielleicht auch eine Schildkröte oder auch
einen Büffel — man konnte es so genau
nicht erkennen. Du bist wohl Einer
von den ganz Idealen?“
Jetzt blickte er ganz schmerzlich auf.
Dann flötete er: ,Für mich gibt es nur Eins:
die Musik der Farbe, den Ton, ich gehe
nur auf Klänge aus! Alles andere ist roh
und materiell. Die Kunst muss über die
Materie siegen. Das ist Dir doch klar?“
,Aufrichtig gesagt, nicht ganz!“
Er deutete auf die vorher genannten,
farbigen Bestandteile seiner Toilette:
,Was ist das?“
,Ein Hemd, eine Halsbinde und ein
Schnupftuch alles pikfein, von Seide
und sehr bunt. Das haben wir drüben
auch gerne. Als Cowboy hatte ich des
Sonntags ein zinnoberrotes Hemd und
eine hellgrüne Binde. Das machte sich
sehr gut zu dem gelben Ledergürtel und
den blauen Hosen.“
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1896
Verkehrte Welt
Als ich meinen Freund Bob Stone im
Hotel aufsuchte, lag er im Bett und hatte
Kopfweh. Mit seinem gelblich - blassen
Leidensgesicht und dem Turban aus weis-
sen Handtüchern, den er aufhatte, ent-
sprach er durchaus nicht dem Bilde, das
meine Phantasie sich von dem gewesenen
Lieutenant und späteren amerikanischen
Reitlehrer, Cowboy und Viehzüchter ge-
macht hatte. Wegen einer tollen Spiel-
geschichte war er in die neue Welt ge-
schickt worden, hatte sich durch tiefes
Elend und brutale Verwilderung durch-
geschlagen, kehrte jetzt nach zehn Jahren
als wohlhabender Rinderheerdenbesitzer
aus dem wilden Westen zurück, lag nun als
beturbantes Jammerbild vor mir im Bette
und hatte Kopfweh zum Steinerbarmen.
Wir schüttelten uns die Hände und dann
sagte ich: „Armer Junge!“ und deutete auf
seinen kühlen Umschlag. „Die Reise ist
wohl Schuld daran?“
Er verneinte mit einem stummen Kopf-
schütteln.
„Das Klima?“
Er schüttelte weiter.
„Was dann? Soll man Dir einen Arzt
holen?“
Mit einer drohenden Grimasse verbat
er sich diese Fürsorge und dann stöhnte er:
„Ich habe gestern die vier alten Kerle
Langhans, Schmellau, Bergen und Kor-
wik — getroffen; wir waren bis drei Uhr
zusammen und sie haben mich — oh!“
Er deutete stöhnend auf seinen Kopf
und verständnissinnig sagte ich: „Sie haben
Dir ein Bischen zuviel zugetrunken?“
Er aber mit einer Miene unsäglicher
Verachtung: „Mein lieber Freund! Ich habe
in einem Monat drüben mehr Brandy ohne
Soda intus gekriegt, als die vier Jungens
brauchten, um sich zusammen drin zu ba-
den! Und da sollen mich die paar Flaschen
Zuckerwasser-Mousseux — nein, mein
Lieber! Von den Kerlen selber habe ich
Kopfweh! Von ihrem Reden, von ihrem
Flunkern, von ihrer Verdrehtheit! Ich bin
das Nachdenken und das Lügen nicht mehr
gewohnt — das ist Alles!“
Jetzt verstand ich ihn allgemach. Die
„vierSensitiven“waren überihn gekommen
und da konnte er nicht mit.
„Also erzähle mir,“ sagte ich, denn ich
wusste, das würde ihn erleichtern und mir
Spass machen. Und er erzählte — einige
hinterwäldlerische Rauheiten habe ich na-
türlich aus seiner Erzählung weggeschliffen.
„Also ich traf die Viere gestern Nach-
mittag auf der Strasse und wir verabredeten
uns für den Abend. Ich war zuerst da.
Dann kam Langhans — der Maler! Wie
er schon aussah! Er ging, als wenn er
mit den Füssen die Erde nicht berühre
und doch sind sie gross genug dazu. Sein
Hemd war von orangegelber Seide, seine
Binde türkisblau und aus der Rocktasche
quoll ein burgunderrothes Foulard. Ertrug
auf dem Kopfe einen Hut aus Plüsch und
an den Beinen Pumphosen aus Sammt.
,Also, Du bist Maler? frage ich
Und was malst Du denn eigentlich?“
,Die Frage ist etwas derb“, sagte er,
offenbar gekränkt. ,Das lässt sich so direkt
und geradezu kaum beantworten.“
,Sei nur wieder gut! Was versteht unser-
einer davon! Ich habe in acht Jahren nur
einen Maler gesehen. Es war in Kentuky.
Er malte einen Pfau auf ein Wirthsschild.
Vielleicht auch eine Schildkröte oder auch
einen Büffel — man konnte es so genau
nicht erkennen. Du bist wohl Einer
von den ganz Idealen?“
Jetzt blickte er ganz schmerzlich auf.
Dann flötete er: ,Für mich gibt es nur Eins:
die Musik der Farbe, den Ton, ich gehe
nur auf Klänge aus! Alles andere ist roh
und materiell. Die Kunst muss über die
Materie siegen. Das ist Dir doch klar?“
,Aufrichtig gesagt, nicht ganz!“
Er deutete auf die vorher genannten,
farbigen Bestandteile seiner Toilette:
,Was ist das?“
,Ein Hemd, eine Halsbinde und ein
Schnupftuch alles pikfein, von Seide
und sehr bunt. Das haben wir drüben
auch gerne. Als Cowboy hatte ich des
Sonntags ein zinnoberrotes Hemd und
eine hellgrüne Binde. Das machte sich
sehr gut zu dem gelben Ledergürtel und
den blauen Hosen.“
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