Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1896

halber offen stand.
Verbeugungen

.5V


> JUGEND

Nr. 16

Der Buchhändler empfing ihn mit vielen

„Hm - “ machte der Bürgermeister, während er sich die
Stirne trocknete; „ich habe da — das heisst, ich wollte eigent-
• lieh — übrigens' wäre ich Ihnen sehr verbunden,; wenn ich
Sie einen Augenblick ungestört —i(|

„Gewiss, Herr Bürgermeister!

Belieben hier herein zu spazieren? — Muss um Verzeihung
bitten, dass es so unordentlich — wollen Sie nicht ablegen,
Herr Bürgermeister?“

Man nahm im Stübchen hinter dem Laden Platz, und der
Buchhändler starrte erwartungsvoll auf den Besuch.

„Heiss heute!“

„Wird wohl noch mehr Gewitter geben!“ • , ' :•

*,Hm — sagen Sie mal — Sie entsinnen sich wohl noch
des Abends, als der Weinreisende da war — der Berliner,
Sie wissen doch, der alle die verrückten Gespenstergeschichten
erzählte?“

„Gewiss, ich erinnere mich sehr gut, es war
gebildeter Mann.“

„Das war besonders merkwürdig, was er da vort* den
Spiritisten vorbrachte. Schliesslich sollen jetzt ja wohl ganz
gelehrte Leute sich mit solchen Spukgeschichten abgeben?“
Der Buchhändler machte ein wichtiges und ernstes Ge-
sicht. Dass der Gebieter der Stadt um sein Urtheil nach-
suchte, erfüllte ihn mit Rührung und Stolz.

„Schon Hamlet sagt: es gibt mehr Dinge zwischen Himmel-
und Erde, als Euere Schulweisheit siel} träumen lässt - mir;
allem Respekt natürlich — Herr Bürgermeister. Ich muss
gestehen, dass ich selbst mich nicht erst seit jenem Abend
mit der Sache befasste; ich habe mir da einige Bücher kommen
lassen, die von diesen Dingen handeln, und —“

,Würden Sie mir diese Bücher auf kurze Zeit überlassen
können?“

„Aber mit dem grössten Vergnügen,

Eilig steckte der Bürgermeister dietempfangenen Heftchen
ein und verabschiedete sich, um nach Hause zu
gelangt, schloss er Lieh in seinen Arbeitszimmer ein, ver-
stopfte das Schlüsselloch und fing an zu lesen. Es war keine
kleine Arbeit für ihn, sich in den krausen Stil, in die kühnen
Gedankensprünge und Ideenverbindungen der Abhandlungen
hineinzufinden, nnd er seufzte oft kläglich, wenn ihm irgend
etwas gar nicht einleuchten wollte.

Endlich schien er auf einen Abschnitt gestossen zu sein,
der; mit dem, was er suchte, in irgend einem Zusammenhang
stand. Sein Gesichtsausdruck wurde immer gespannter; er
murmelte das Gelesene halblaut vor sich hin, indem er die
Worte mit dem Zeigefinger verfolgte.

„Der Mensch -K^so las er — „lebt gleichzeitig im Jenseits
als <transscendentales|Subjekt und im Diesseits als irdischer
Mensch. Die beiden Daseinsweisen sind verschieden in Be-
auf Erkenntnissform und Wirkungsweise.“

:fer hielt einen Augenblick inne, wie um sich der Trag-
weite dieser gewichtigen Behauptung bewusst zu werden.
Dann fuhr er fort:

„Wir begegnen dem Leibe des künftigen Lebens, dem
Astralleib, schon innerhalb der irdischen Erfahrung und
nennen ihn alsdann Doppelgänger —“ — — — — —

Als der Herr Bürgermeister am anderen Tage zur Raths-
S'tzung kam, wollte ihn der älteste der Stadträthe wie gewöhn-
’eh mit den Worten begrüssen:

„Wohl geruht zu haben. Brieschen gefällig?“ Aber ihm
lieben die Worte im Halse stecken. Wie sah der sonst so
räftige und gesunde Mann aus! Bleich, eingefallen, dunkle
lnge um die Augen — er war um zehn Jahr gealtert.

Der Bürgermeister bemerkte das Erstaunen seines Mit-
erathers und fuhr ihn zornig an:

»Schon gut, schon gut; wir wollen anfangen. — Es handelt
■ch also um die Ausbesserung und den Anstrich des Zaunes
111 städtischen Viehmarkt —“

Aber die Stadträthe hatten ihre Gedanken für sich und
tauschten bedenkliche Blicke mit einander aus. —

Auch die Frau Bürgermeisterin war in ängstlicher Auf-
regung. Was fehlte ihrem sonst so ruhigen, behäbigen Gatten,
der sich durch Nichts so leicht aus der Fassung bringen liess?
Sie musste es erleben, dass er seine Lieblingsgerichte unbe-
rührt auf dem Teller liegen liess, und sie selbst zornig an-
schnautwe/gls sie ihn fragte, ob er nicht wohl sei. Schon
wollte sie sich ein solches Betragen ernstlich verbitten, als
es ihr einfiel,"dass dahinter am Ende irgend ein Geheimniss
' ste.cken könnte. Und Geheimnisse zu ergründen, dazu war
te.

K, „Justus“, begann sie nach kurzem Ueberlegen. Der Bürger-
meister hiess närnlichjustus; alle Bürgermeister sollten eigent-
lich Justus heissen. ,Justus! Hast Du es schon gehört? Die
Frau Kreisphysikus war heut hier und erzählte —“

auf

Der Bürgermeister trommelte unruhig mit d^fi..-'Fingern
den Tisch. Sollte es,irgend wie bekannt gewordenem?
Das wäre schrecklich. Sein Herz klopfte ihm zum Zerspringen.

„ - und erzählte mir eine ganz merkwürdige Geschichte.
Was ist Dir nur, mein Justus, Du wirst ja ganz roth ?"

„Ach, ich denl^e nicht daran!“

„Doch, doch, mein Justus. Aber nein, jetzt bist Du auf
einmal ganz blass geworden! Du wirst mir doch nicht etwa
krank werden wollen? Hast Du Kopfweh ?, Oder ist Dir am
Ende im Magen nicht recht? Justus, ich lasse den Physikus
kommen, - ich ängstige mich sonst zu Tode um Dich!“
„Nein, nein, zum Teufel - ich denke nicht daran, mir
fehlPnicht das Geringste, ich schwöre eis Dir; ich will lieber
etwas hinaus in. die 1 ** ictti/n ca n-

rische Luft; es ist,so wie so meine Äüs-

gehzeit \ / M

Er-stürmte hinaus, ohne seiner Storglichen Hausfrau RedgLS
und Antwortet?stehen, was ihm diese sehr übel nahm, da
sie sich vor Neugier beinahe in ihre einzelnen Bestandtheile
konnte ihren Gatten nur so erregen? Sie grübelte
hin und her. Sollte er am Ende gar — doch nein! das war
ja Unsinn. Erstens war eben erst Rechnungsablage gewesen
und dieaStadtkasse hatte vollkommen gestimmt, und sie selbst
hatte ja auch die Schlüssel in Verwahrung, und zweitens war
ihm eine solche Thorheit überhaupt nicht zuzutrauen. Aber
sie wollte über die Sache schon ins Klare kommen, das ver-
sprach sie sich fest.

Ihr Nachsinnen wurde durch das Oeffnen der Thür unter-
brochen.

„Da bist Du ja wieder, Justus!“ rief sie erstaunt.

,Ja, da bin ich wieder. Und warum sollte ich denn nicht
wieder da sein?“ Der Bürgermeister legte Hut und Stock ab
und warf |fcich lachend auf’s Sopha. Die würdige Dame traute
ihr^n Augdn nicht. Die kurze Zeit der AlMsenheit hatte ge-
nügt, um dpn unruhigen, bleichen uhd hohläugigen Bürger-
meister von heute früh in den äusserstwbhlhäbig und selbst-
zufrieden dreinblickenden Bürgermeister; von ehgdem umzu-
wandeln. Aber anstatt dass dieser Umstand sie beruhigte,
diente er im Gegentheil dazu, sie noch argwöhnischer zu
machen. ^ M.; f &BF5S. *5

.11 dl, 11 CU« xj\ //rWV-w? .v*} iti?

• y. ,

„warum siehst Du mich denn so sonderbar an?“ erklang
;s jetzt vom Sopha her. Sie fuhr ordentlich zusammen beim

Klang seiner Stimme. Aber sie fasste sich schnell. Er sollte
nd musste ihr Rede stehen; war sie denn nicht seine an-
etraute Frau, die Frau des Bürgermeisters, vor der sich die
anze Bewnhnnroov.«11 • .t. „ ..

anze Bewohnerschaft beinahe noch mehr bückte, wie vor
dem Bürgermeister selbst?

„Justus begänne mit einem Ton, dessen Schärfe noch
me seinen Zweck verfehlt hatte, „ich wünsche zu wissen, was
mit Dir geschehen ist. Den ganzen Tag hast Du dagesessen
und ausgesehen, wie: ein Klageweib, welches den Schnupfen
hat, hastjpichts gegessen und mich grob angefahijen, und nun
kommst Du plötzlich in’s Zimmer gehüptz mit einem Gesicht,
als ob Ostemlund Pfingsten auf einen Tag falfefife^dch bin
nicht gewohnt’ derartige Dinge zu ertragen; und besonders,
ich will sie nicht ertragen. Also habe die Güte, mir zu er-
klären, was Dein Benehmen zu bedeuten hat!“

Zeichnungen von A. Schmidhammer.

247
Register
Arpad Schmidhammer: Zeichnungen zum Text "Eine sonderbare Geschichte"
 
Annotationen