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Nr. 16

JUGEND

1896

>- Der Bauer Ein neuer

Allerhand Gedanken

von H. Rossin-Rosenfeld.

Unsinnige Sitte, nach einem Erfolge Jemandem Glück
zu wünschen; vor demselben wäre es angebracht.

Unglückliche Menschen sprechen ohne Modulation.

Aller Anfang ist schwer? Fortsetzen ist schwerer.

Man ist nie liebenswürdiger, als wenn man sich geliebt
glaubt.

Nicht das Glück allein, auch das Unglück hat die Gabe,
uns nachsichtig, liebenswürdig zu machen. Aber die Liebens-
würdigkeit und Geduld, welche das Unglück verleiht, erfreut
unsere Mitmenschen nicht, denn ihr fehlt der grosse Reiz
der Heiterkeit.

Gib viel darauf, wenn eine edle Frau von einem Menschen
sagt: Er ist mir nicht sympathisch.

Sollte man nicht meinen, wir lernten einen Menschen
gut kennen, wenn wir längere Zeit isolirt mit ihm leben? —
Dem ist aber nicht so. Beobachte ihn, wenn er sich in Ge-
sellschaft befindet, wenn er gefallen will, und Du bist über
seinen Charakter ein gutes Stück weitergekommen.

Nicht die liebenswürdigen Aufmerksamkeiten, die dir ein
Mensch erweist — der Eindruck, den eine Kränkung von
ihm auf Dich ausübt, zeigt Dir erst, was er Dir werth ist.

Würde und Takt gehen Hand in Hand; Würde ist die
Kunst, verdiente Ehre sich, Takt, sie andern zu erweisen.
Wer keine Würde hat, besitzt gewöhnlich auch keinen Takt.

Todten-Tanz 2- Uie Hökerin

O des heiligen, wehmüthigen Zaubers, der über der
leicht verhüllten und doch durch jedes Wort, durch jeden
Blick leuchtenden Neigung zweier Menschen liegt, die sich
nicht sagen dürfen, dass sie sich lieben.

Wir lassen uns von den Verhältnissen kneten und freuen
uns noch, wie lächerlich elastisch wir bereits geworden sind.

Bei eigenen Schmerzen, und mögen sie noch so grausam
in Deinem Innern wühlen, auch für den Jammer der Mensch-
heit ein warmes Herz zu behalten, das unterscheidet die
edlen Naturen von den gemeinen.

Veranlasse einen Menschen zu einer Nothlüge — in den
meisten Fällen wird er sich skrupulös zeigen, Einwendungen
machen. Es geniert ihn aber weniger, dass er lügen soll,
als dass ein anderer darum weiss.

Wer gut versteht aus den Mienen Zu lesen, wird über
die Aufrichtigkeit eines Menschen bald gut unterrichtet sein,
denn die schwerste aller Verstellungskünste ist: Mit Mienen
zu lügen.

O Lust des Schaffens! Heiliger Augenblick! Weg mit
dem kritischen Zweifelblick, ob Dein Werk auch Werth hat.
Würde eine Mutter beim ersten Anblick ihres Kindes wohl
daran denken, ob es schön sei?

Hast Du ein wundes Herz, so bette es wie einen kranken
Vogel in Güte und Weichheit.

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H. Rossin-Rosenfeld: Allerhand Gedanken
Otto Seitz: Ein neuer Todten-Tanz
 
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