Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 16

JUGEND

1896

Zeichnung von Bruno Paul.

In des Lehnstuhls Lederkissen
Ruht der Chef der Redakteure,

Dass der Schlummer ihm verscheuche
Der Bureauzeit öde Leere.

Vor ihm stehet der Papierkorb,

Der mit Stickerei geschmückte,

Der mit vielen Manuskripten
Bis zum Rande vollgespickte.

Brütend hat sich dumpfe Schwüle
Durch die Redaktion ergossen,

Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.
Stille rings und tiefes Schweigen; —
Plötzlich, horch! ein leises Flüstern,
Im Papierkorb fängt’s auf einmal
An zu rascheln und zu knistern.

Aus den Manuscripten steigen
Geistergleiche Dunstgebilde,

Ihre Augen funkeln grässlich,

Böses führen sie im Schilde.

Aus den Blättern der Novelle,

Die zu oberst liegt von Allen,

Hebt sich eine stolze Schönheit;

Ihre schwarzen Locken wallen.

Und aus einem Heldenepos,
Umfangreich, in zwölf Gesängen,

Sieht man einen kühnen Ritter
Sich an’s Licht des Tages drängen.
Aus den Lyrischen Gedichten,

Herzlich — schmerzlich, sinnig — innig,
Schwebt hervor im weissen Kleide
Eine Jungfrau, blond und minnig.

Doch aus einem Trauerspiele,

Streng historisch, in fünf Akten,
Kommt ein König mit Gefolge,
Würdevoll in Jambentakten.

Aus der Realistik Blättern

Ist ein flottes Corps gestiegen, —

Elegante junge Damen,

Gigerl mit verlebten Zügen_

Um den Lehnstuhl drchn und schwingen
Sie sich Alle wild im Kreise,

Dreh’n und schwingen sich und singen
Dem Entschlaf’nen diese Weise:

„Doktor! Doktor! Dem Papierkorb
Hast du uns geopfert schnöde,

Dem Vergessen zu verfallen
Hier in dieser dumpfen Oede.

O, wie hegten uns so selig
Uns’re Dichter in dem Busen,

Jünger und auch Jüngerinnen
Des Apollo und der Musen
Schrieben uns mit glüh’nden Wangen,
Drückten zärtlich uns an’s Herze,

Sandten uns zu dir; wir träumten
Ach, schon von der Druckerschwärze I
Und du lasest uns, und spöttisch,
Höhnisch tönte deine Lache,

Warfest uns in den Papierkorb,

Darum trifft dich uns’re Rache!“ —

Der Gesang verstummt, die Geister
Sinken rauschend, knisternd nieder;

In der Tiefe des Papierkorbs
Legen sie zur Ruh’ sich wieder.

Doch der Chef der Redakteure
Fährt aufstöhnend aus dem Schlummer,
Schlecht, sehrschlechtistihm zuMuthe,
Niederdrückt ihn schwerer Kummer.
Furchtbar brummt es ihm im Schädel,
Ach! Ein Schmerz kaum auszuhalten,
Gleich als ob von Hämmerschlägen
Würd’ sein armer Kopf gespalten!

Schwer und lange muss er dulden,

Und er hat nicht, was ihn rette —

Schier verzweifelnd ruft er endlich:
„Wenn ich einen Hering hätte!“

BEKT1IA GINSBERG.

256
Register
Bertha Ginsberg: Der Manuscripte Rache
Bruno Paul: Zierrahmen
 
Annotationen