1896
JUGEND
Nr. 16
Zeichnung von' H. R. Kaeser.
Die Abiturientin
(In Berlin haben 6 Abiturientinnen-das Examen bestanden.)
’s gibt kein schöner Leben als Gymnasienleben
Wie es uns die Lene Lange gibt;
In die Kurse rennen, wissensdurstig brennen,
Sprecht nur, Schwestern: Ist das nicht „geliebt?“!
Heut die Mädchenschule liegt uns fern wie Thule,
Das Gymnasium ist Paradies,
Wahrhaft ernstes Streben nur die Jahre geben,
Und wir prangen bald im Cerevis.
Gleich mit „Unbekannten“, äusserst int’ressanten,
Steh’n wir im vertrautesten Verkehr,
Körper, die gleichschenklich, Gott wie unverfänglich
Uns doch amüsirt das Alles sehr.
Finden bald, wer weiss es? Quadratur des Kreises,
Ja sogar des Winkels Trisektion,
Auch den Werth der Pflanzen, wie der Hauptsubstanzen,
Im gekochten Zustand oder roh’n.
Lasst die Andern kochen, Suppen, Fleisch und Knochen,
O, der himmelweite Unterschied.
Fürderhin beim Kaffee wird sacht Autodafe!
Das Gespräch lateinisch nur geführt,
Wer geräth in’s Stocken, wes Disput zu trocken,
Der wird unbarmherzig relegirt.
Dann nach vier Semestern, Männer lasst das Lästern!
Steigt man in’s Examen comme il faut.
Ausgeschnitt’ne Kleider, Schluss wenn aus dem Schneider
Wird ein kreuzfideler Studio.
Wenn vorher sich findet, der sich uns verbindet,
Nehm ich gern den Doktor oder Rath,
Denn aus Mauerblümchen werden alte Mühmchen,
Und ich hab’ doch so den Doktor g’rad! e. hall.
Seufzer eines Ehemanns!
Kennen wir die Formen, rechten wie abnormen,
Lesen wir den Gajus Julius,
Wie er sah und siegte, Gallien bekriegte,
Roms Conditor auch im Livius,
Und die rechte Schätzung einer Uebersetzung,
Die erhält man erst in unsrer Zeit. —
Wenn das Konstruiren thut uns ennuyiren,
Hilft ein „Freund“ uns oder Langenscheidt.
Ist uns erst beschieden Kenntniss der Liquiden,
Offen steht Homer und Thucydid,
Als sie, ein Mägdlein noch, auf meinem Knie
In bräutlich holder Zärtlichkeit gesessen,
Mit meinen Blicken fast verschlang ich sie,
Vor Liebe hält' ich beinah sie gefressen.
Nun ist sie mein — verschwunden ist'der Wahn,
Ihr zänkisch Thun vergiftet mir das Leben —
Ach, warum hab’ ich damals nicht gethan,
Was meine Zärtlichkeit mir eingegeben! l ....
"Unter dem. ^Protektorate Br. D^gl. 3Coheit des Brinsregenten Buitpold von Bayern, des D^önigreicHs Bayern 'Verweser
bayerischeLandes-Industrie-, Gewerbe 111nrr
und Kunst-c^|^USSLCIlUng
ln den grossen städtischen Parkanlagen
vom 15. Mai bis 15. Oktober 1896
259
JUGEND
Nr. 16
Zeichnung von' H. R. Kaeser.
Die Abiturientin
(In Berlin haben 6 Abiturientinnen-das Examen bestanden.)
’s gibt kein schöner Leben als Gymnasienleben
Wie es uns die Lene Lange gibt;
In die Kurse rennen, wissensdurstig brennen,
Sprecht nur, Schwestern: Ist das nicht „geliebt?“!
Heut die Mädchenschule liegt uns fern wie Thule,
Das Gymnasium ist Paradies,
Wahrhaft ernstes Streben nur die Jahre geben,
Und wir prangen bald im Cerevis.
Gleich mit „Unbekannten“, äusserst int’ressanten,
Steh’n wir im vertrautesten Verkehr,
Körper, die gleichschenklich, Gott wie unverfänglich
Uns doch amüsirt das Alles sehr.
Finden bald, wer weiss es? Quadratur des Kreises,
Ja sogar des Winkels Trisektion,
Auch den Werth der Pflanzen, wie der Hauptsubstanzen,
Im gekochten Zustand oder roh’n.
Lasst die Andern kochen, Suppen, Fleisch und Knochen,
O, der himmelweite Unterschied.
Fürderhin beim Kaffee wird sacht Autodafe!
Das Gespräch lateinisch nur geführt,
Wer geräth in’s Stocken, wes Disput zu trocken,
Der wird unbarmherzig relegirt.
Dann nach vier Semestern, Männer lasst das Lästern!
Steigt man in’s Examen comme il faut.
Ausgeschnitt’ne Kleider, Schluss wenn aus dem Schneider
Wird ein kreuzfideler Studio.
Wenn vorher sich findet, der sich uns verbindet,
Nehm ich gern den Doktor oder Rath,
Denn aus Mauerblümchen werden alte Mühmchen,
Und ich hab’ doch so den Doktor g’rad! e. hall.
Seufzer eines Ehemanns!
Kennen wir die Formen, rechten wie abnormen,
Lesen wir den Gajus Julius,
Wie er sah und siegte, Gallien bekriegte,
Roms Conditor auch im Livius,
Und die rechte Schätzung einer Uebersetzung,
Die erhält man erst in unsrer Zeit. —
Wenn das Konstruiren thut uns ennuyiren,
Hilft ein „Freund“ uns oder Langenscheidt.
Ist uns erst beschieden Kenntniss der Liquiden,
Offen steht Homer und Thucydid,
Als sie, ein Mägdlein noch, auf meinem Knie
In bräutlich holder Zärtlichkeit gesessen,
Mit meinen Blicken fast verschlang ich sie,
Vor Liebe hält' ich beinah sie gefressen.
Nun ist sie mein — verschwunden ist'der Wahn,
Ihr zänkisch Thun vergiftet mir das Leben —
Ach, warum hab’ ich damals nicht gethan,
Was meine Zärtlichkeit mir eingegeben! l ....
"Unter dem. ^Protektorate Br. D^gl. 3Coheit des Brinsregenten Buitpold von Bayern, des D^önigreicHs Bayern 'Verweser
bayerischeLandes-Industrie-, Gewerbe 111nrr
und Kunst-c^|^USSLCIlUng
ln den grossen städtischen Parkanlagen
vom 15. Mai bis 15. Oktober 1896
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