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1896

JUGEND

Nr. 17

Gezeichnet von O. Eckmann.

Das junge Paar hatte die kleine Villa
am See bezogen, welche Melanie’s
Eltern gehörte. — Hochzeitsreise
Geschmacklosigkeit. — Ein glorreicher
Morgen. — Im Garten lockeres Leben, in
allen Büschen, auf allen Zweigen, Knospen-
sprengen und Duften.

Im gelben Zimmer, mit der Flügel-
thüre in’s Freie, war das Frühstück gedeckt,
das erste Frühstück! Goldiger Honig, ein
Butterwecklein auf frischen Blättern, Zwie-
back und Hörnchen. Lieber der Spiritus-
flamme brodelte das Theewasser.

Das Tischtuch war mit gelbem Dessin
durchwirkt, in Liebereinstimmung mit dem
ganzen Ton des Raumes. In der einen,
kunstvoll aufgestellten Serviette stak eine
Theerosenknospe, welche vom Früh-
sonnenscheine getroffen, leise sich öffnete
und Ruck auf Ruck das Köpfchen senkte.

Ein Diener rückte an Allem und Jedem.
Er kannte sichtlich noch nicht die kleinen
Gewohnheiten der Herrschaften. Als er
die Serviette mit dem Röschen berührte,
fiel ein Blatt auf den Teller.

Die Thüre ging. — Melanie trat ein,
lr> cremefarbigem Negligee.

Sie stutzte, als sie den Diener erblickte.
Er war der erste Mann, den sie sah —
als Frau. Sie hatte eine unangenehme
Ernpfindung. Man soll keine fremden Ge-
wehter sehen an solchem Morgen.

Der Bursche zog sich mit einer tiefen
Verbeugung zurück, nicht ohne einen
frechen Seitenblick, wie sie sich einbildete.
Melanie trat hastig vor den Wandspiegel
ganz nahe. Ihr Antlitz war tief geröthet
aus Verdruss über den Bedienten.
Aus Verdruss? — Da erröthete sie
n°ch tiefer. Melanie — Melanie? — Es

war eine zärtlich ängstliche Frage. - Bist
du es denn noch? — Dann irrte ihr
feuchter Blick im Zimmer umher, blieb
an der Uhr mit dem gelben Hermes auf
dem Emailgehäuse haften, an den alten
Kupfern. Seid ihr es denn noch? An dem
Bilde der Mutter, bist Du es denn noch ?

Dann trat sie unter die Garienthüre,
umwogt vom jungen Lichte. Die Ver-
stecke der Kindheit, der kleine Pavillon,
der Apfelbaum, den sie selbst gepflegt, das
Staarenhaus, — seid ihr es denn noch? —
Da brach sie in Schluchzen aus und in den
nassen Augen zitterte der herrliche Morgen.

Die Thüre ging — rasch drückte sie
das Taschentuch vor, — wendete sich —
ihr Gatte. —

„Thränen, Melanie, heute?“

Er strahlte in Gesundheit und Kraft,
keine Spur von Befangenheit, nur Behagen.
Sein Blick schweifte über den Frühstücks-
tisch. Er rieb sich die Hände. „Wo hat
denn der Kerl das Fleisch — ?“

Melanie sah ihn starr an. Ist es denn
möglich? In diesem Augenblicke, den
sie so sehr gefürchtet.

„Du isst doch auch etwas Fleisch zum
Thee?“

ivja — ja — wenn Du meinst —“

”,Also!“ — Er läutete.

„Guten Morgen, Melanie!“ Er küsste
sie auf den Mund und sah sie sonderbar
an, mit seinen grossen schwarzen Augen.

Sie musste den Blick davor senken.

Nur ein Wort, das die Kluft nothdürf-
tig überbrückt’, zwischen heut und gestern.

„Ein Prachtmorgen, was? War doch
eine gute Idee von Papa! So, in Deinem
eigenen Heim, in dem Dir alles von Deiner
Kindheit erzählt, jeder Gegenstand — Das

Fleisch Johann! Wenn Sie so anfangen —“
sprach er bei Seite zu dem Diener.

,Jetzt sässen wir in einem langweiligen
Hotelzimmer, in Salzburg, oder irgendwo “
„Und doch — Franz —“ Melanie nestel-
te an ihren Spitzen, „so ganz unberechtigt

— der Uebergang ist so unvermittelt,
und gerade das Bekannte ringsum — ich
dächte, das Fremde, das keine Seele hat
für uns — es würde mich weniger —
Franz —“ Sie legte erregt den Arm um
den Nacken des Gatten. „Nicht wahr, um
sich das zu sein, was wir uns jetzt sind

— muss man sich unendlich lieben?“
„Thun wir ja, mein Liebling, und ob

wir’s thuen. — Du bist so erregt, in die-
ser idyllischen Ruhe. — Begreife Dich
gar nicht. — Gieb mir einen Kuss! So,
und jetzt lass’ Dir’s schmecken!“

Franz kaute mit aller Ruhe. Für Me-
lanie war er ein Räthsel.

Er war derselbe geblieben, kein leises
Wölkchen trübte seine Seele, nichts zitterte
in ihm nach. Wie war es nur möglich?
Und sie in ihrem Innersten verkehrt, ein
völlig neues Wesen. Das war ihr unheim-
lich. Das grosse Geheimniss, das ihre
Mädchenseele schon so beunruhigte, das
die ganze Welt durchdrang, das die Mutter
so sorgsam bewahrte, bis zum letzten Augen-
blicke, es war noch immer nicht enthüllt,
es drängte sich von Neuem zwischen sie
und ihren Gatten. Das durfte nicht sein.
Sie dürstete nach Klarheit.

„Warum isst Du denn nicht, Melanie?“
„Sage mir nur Eines, Franz. Siehst Du
die Welt noch mit denselben Augen, wie
gestern?“

„Viel schöner, mein Kind, viel schöner
natürlich. Du nicht?“

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Gezeichnet von O. Eckmann.
Register
Otto Eckmann: Vignetten
Anton Frh. v. Perfall: Der erste Morgen
 
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