Nr. 17
J UGEND
1896
„Doch — auch aber, — wie soll ich
Dir das nur erklären ? Nicht mehr so unbe-
fangen. Der Gesang der Vögel, die Blüthen,
der Duft, die Blumen, all’ das ist nicht
mehr das für mich, was es gestern war —"
„Und was ist denn dann so Furchtbares
geschehen seit gestern?“ fragte Franz, ein
Honigbrod aufstreichend.
Melanie gab es einen Stich, mitten durch
das Herz. — Das war die Lösung. —
„Franz!“
Was lag nicht alles in diesem Tone, —
die ganze Leidensgeschichte des Weibes.
„Aber Kind, davon spricht man doch
nicht —“
Er sah sie fast unwillig an und erröthete
stark, während auf Melanie’s jetzt bleichem
Antlitz keine Spur von Farbe erschien.
Das Unbehagen war jetzt an ihm und
das Räthsellösen.
„Auch die Ehe darf den Schleier nicht
völlig lüften, der über gewisse Dinge wohl-
weislich gebreitet. Erst recht nicht —“
Er sprach es in verweisendem Tone.
„Du hast ihn eben gelüftet, mit Deiner
Frage; mehr, — zerrissen hast Du ihn.“
„Melanie! Welche Frage?“
„Was ist denn so Furchtbares geschehen,
seit gestern? — Für Dich nichts, — für
mich Alles.“
„Aber, Kind, ich bin ein reifer Mann,
der mitten im Leben steht. Du warst gestern
noch ein unerfahrenes Mädchen, die Toch-
ter Deiner Mutter. Den Unterschied musst
Du doch begreifen, — wenn wir schon ein-
mal —“
Melanie drehte die Rosenknospe zwi-
schen ihren schlanken Fingern.
„Ich begreife ihn nicht,“ sagte sie ge-
dankenverloren vor sich hinstarrend, „und
doch,wenn ich ihn gestern begriffen hätte—“
Sie liess die Knospe fallen und bedeckte
ihr Antlitz mit beiden Händen.
Franz legte den Arm um ihre Hüfte und
zog sie sanft an sich.
„Närrchen, nimm’ es nicht so tragisch
— und nicht zu viel Hineingeheimnissen
in so klare Dinge. Es kommt nichts dabei
heraus und stört nur ein freies Gemessen.“
Da nahm sie das Taschentuch von den
verweinten Augen, in denen sonderbare
Lichter spielten. „Ich glaube, Du hast
recht und ich will Dir folgen.“
Als sie sich erhoben, um in den Garten
zu gehen, bückte sich Franz nach der
Rosenknospe, die auf dem Boden lag. Sie
war völlig entblättert.
„Lass’ sie doch,“ meinte Melanie und
stiess sie mit der Fussspitze weg. „Wir
holen uns eine aufgeblühte im Treibhause.“
Sie schritten dupch den Garten, dicht
aneinander geschmiegt.
Melanie musste lachen, es war wirklich
Alles beim Alten. Die Verstecke, der Pa-
villon, der Apfelbaum, das Rindenhäus-
chen — nur konnte sie nicht begreifen,
wie man sein Herz hängen konnte an solche
Dinge. Das kam eben auch von dem thör-
ichten „Hineingeheimnissen“. Franz küsste
jeden ihrer Finger, die zarten goldigen
Härchen im Nacken. Er lachte und scherzte
wie ein Kind.
Nur nichts tragisch nehmen, am aller-
wenigsten den ersten schönen Morgen!
Als Franz die junge Frau wieder in
seine Arme schloss, erwiderte sie seine
Zärtlichkeit.
Zwei Jahre darauf ging Franz am Stock,
allein, eine Pistolenkugel hatte ihm das
Hüftgelenk zerschmettert.
Nachdem er Alles »herausgeheimnisst«
aus seiner Ehe, wurde sie Melanie zu
langweilig und sie wollte sich das „freie
Gemessen“, das er ihr als des Lebens
Kern gepredigt, nicht stören lassen.
Sprüche der Weisheit
Es ist eine alte Erfahrung,
Dass der am weisesten räth,
Der in dem eigenen Leben
Die dümmsten Streiche begeht.
Die Thorheit ganz ergründen,
Kann nur ein ganzer Thor.
D’rum willst Du ein Weiser werden,
So werde ein Narr zuvor.
FRIEDRICH CORSSEN.
Bescheidenheit
Bescheidenheit, Bescheidenheit,
Wer möchte ihren Werth ermessen!
So mancher rühmt sich ihrer nur,
Weil Sauerkraut sein Lieblingsessen.
D. HAEK.
Wer geträumt am lichten Tage,
Nichts getlian hat, nichts vollbracht.
Darf sich füglich nicht verwundern,
Wenn im Dunkeln er — erwacht! W.W.
Vignette von Hegenbart.
Brave Buben
Zieht meinetwegen folgsame Kinder,
Ihr Mütter, für die Kinderstuben, —
Aber erzieht um’s Himmelswillen
Für’s Leben keine „braven Buben“!
ROBERT OECHSLER.
4fr
Der neue Miether
Alles war so friedlich hier,
So von Frohsinn eingenommen,
Bis der Säugling über mir
Zwecklos auf die Welt gekommen.
Ach, der Kleine schreit so wüst,
Dass die Miether rings gekündigt
Und ich alles abgebüsst,
Was ich auf der Welt gesündigt.
Wenn die blonde Nachbarin
Ihn besucht, dann lacht er gerne
Still, voll Bosheit vor sich hin.
Weiss er, dass ich dann nicht lerne?
FERDINAND V. HORNSTEIN.
2Ö4
J UGEND
1896
„Doch — auch aber, — wie soll ich
Dir das nur erklären ? Nicht mehr so unbe-
fangen. Der Gesang der Vögel, die Blüthen,
der Duft, die Blumen, all’ das ist nicht
mehr das für mich, was es gestern war —"
„Und was ist denn dann so Furchtbares
geschehen seit gestern?“ fragte Franz, ein
Honigbrod aufstreichend.
Melanie gab es einen Stich, mitten durch
das Herz. — Das war die Lösung. —
„Franz!“
Was lag nicht alles in diesem Tone, —
die ganze Leidensgeschichte des Weibes.
„Aber Kind, davon spricht man doch
nicht —“
Er sah sie fast unwillig an und erröthete
stark, während auf Melanie’s jetzt bleichem
Antlitz keine Spur von Farbe erschien.
Das Unbehagen war jetzt an ihm und
das Räthsellösen.
„Auch die Ehe darf den Schleier nicht
völlig lüften, der über gewisse Dinge wohl-
weislich gebreitet. Erst recht nicht —“
Er sprach es in verweisendem Tone.
„Du hast ihn eben gelüftet, mit Deiner
Frage; mehr, — zerrissen hast Du ihn.“
„Melanie! Welche Frage?“
„Was ist denn so Furchtbares geschehen,
seit gestern? — Für Dich nichts, — für
mich Alles.“
„Aber, Kind, ich bin ein reifer Mann,
der mitten im Leben steht. Du warst gestern
noch ein unerfahrenes Mädchen, die Toch-
ter Deiner Mutter. Den Unterschied musst
Du doch begreifen, — wenn wir schon ein-
mal —“
Melanie drehte die Rosenknospe zwi-
schen ihren schlanken Fingern.
„Ich begreife ihn nicht,“ sagte sie ge-
dankenverloren vor sich hinstarrend, „und
doch,wenn ich ihn gestern begriffen hätte—“
Sie liess die Knospe fallen und bedeckte
ihr Antlitz mit beiden Händen.
Franz legte den Arm um ihre Hüfte und
zog sie sanft an sich.
„Närrchen, nimm’ es nicht so tragisch
— und nicht zu viel Hineingeheimnissen
in so klare Dinge. Es kommt nichts dabei
heraus und stört nur ein freies Gemessen.“
Da nahm sie das Taschentuch von den
verweinten Augen, in denen sonderbare
Lichter spielten. „Ich glaube, Du hast
recht und ich will Dir folgen.“
Als sie sich erhoben, um in den Garten
zu gehen, bückte sich Franz nach der
Rosenknospe, die auf dem Boden lag. Sie
war völlig entblättert.
„Lass’ sie doch,“ meinte Melanie und
stiess sie mit der Fussspitze weg. „Wir
holen uns eine aufgeblühte im Treibhause.“
Sie schritten dupch den Garten, dicht
aneinander geschmiegt.
Melanie musste lachen, es war wirklich
Alles beim Alten. Die Verstecke, der Pa-
villon, der Apfelbaum, das Rindenhäus-
chen — nur konnte sie nicht begreifen,
wie man sein Herz hängen konnte an solche
Dinge. Das kam eben auch von dem thör-
ichten „Hineingeheimnissen“. Franz küsste
jeden ihrer Finger, die zarten goldigen
Härchen im Nacken. Er lachte und scherzte
wie ein Kind.
Nur nichts tragisch nehmen, am aller-
wenigsten den ersten schönen Morgen!
Als Franz die junge Frau wieder in
seine Arme schloss, erwiderte sie seine
Zärtlichkeit.
Zwei Jahre darauf ging Franz am Stock,
allein, eine Pistolenkugel hatte ihm das
Hüftgelenk zerschmettert.
Nachdem er Alles »herausgeheimnisst«
aus seiner Ehe, wurde sie Melanie zu
langweilig und sie wollte sich das „freie
Gemessen“, das er ihr als des Lebens
Kern gepredigt, nicht stören lassen.
Sprüche der Weisheit
Es ist eine alte Erfahrung,
Dass der am weisesten räth,
Der in dem eigenen Leben
Die dümmsten Streiche begeht.
Die Thorheit ganz ergründen,
Kann nur ein ganzer Thor.
D’rum willst Du ein Weiser werden,
So werde ein Narr zuvor.
FRIEDRICH CORSSEN.
Bescheidenheit
Bescheidenheit, Bescheidenheit,
Wer möchte ihren Werth ermessen!
So mancher rühmt sich ihrer nur,
Weil Sauerkraut sein Lieblingsessen.
D. HAEK.
Wer geträumt am lichten Tage,
Nichts getlian hat, nichts vollbracht.
Darf sich füglich nicht verwundern,
Wenn im Dunkeln er — erwacht! W.W.
Vignette von Hegenbart.
Brave Buben
Zieht meinetwegen folgsame Kinder,
Ihr Mütter, für die Kinderstuben, —
Aber erzieht um’s Himmelswillen
Für’s Leben keine „braven Buben“!
ROBERT OECHSLER.
4fr
Der neue Miether
Alles war so friedlich hier,
So von Frohsinn eingenommen,
Bis der Säugling über mir
Zwecklos auf die Welt gekommen.
Ach, der Kleine schreit so wüst,
Dass die Miether rings gekündigt
Und ich alles abgebüsst,
Was ich auf der Welt gesündigt.
Wenn die blonde Nachbarin
Ihn besucht, dann lacht er gerne
Still, voll Bosheit vor sich hin.
Weiss er, dass ich dann nicht lerne?
FERDINAND V. HORNSTEIN.
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