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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 18 (2. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3187#0270

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g/ßM

M

Süsse Liebe liebt im Mai

Es war im Mai.

Oder vielmehr: es wird im Mai sein, denn die Geschichte
spielt im zwanzigsten Saeculum, genau hundert Jahre]nach dato.

Aber der Bequemlichkeit des Erzählens halber, wollen wir
die Sache doch lieber im Imperfektum, Perfektum und nöthigen-
falls im Plusquamperfectum vortragen. Also:

Es war im Mai. Die Bäume grünten. Der Flieder blühte.
Der Bach murmelte. Die Nachtigall sang. Das Abendroth
flammte. Die Natur sah genau so aus, wie sie am schönsten
Abend des kommenden Mai im Jahre des Heils 1896 aussehen
wird. Einen schönen Abend wird er ja doch haben, dieser Mai?

Am Bach stand eine Weide und unter der Weide stand eine
Bank. Auf der Bank da sassen Zwei — süsse Liebe liebt im Mai!
Vergebung für diesen Reim! er ist das einzig Poetische, welches
in dieser wahrscheinlichen Geschichte Vorkommen soll!

Auf der Bank sassen Zwei, ein Mann und ein Mädchen.
Oder wie man im zwanzigsten Jahrhundert sagen wird, ein
Weib und ein Männchen.

Das Weib war nicht mehr jung, aber noch in den besten
Mannesjahren. Ihr kurzgeschnittenes Haar deckte ein etwas
struppiger Cylinderhut. Mächtige Convexgläser funkelten vor
ihren Augen. Das Gesicht war zwar farblos wie Leder, aber
schmal und eckig. Ein gerade herunterhängendes Jacket deckt
die Taille, weite Pumphosen das Wenige, was an Beinen zu
bedecken war.

Gezeichnet von J. Dietz.

Das'Männchen war blond, Haar und Bart waren gebrannt,
parfümirt und frisirt. Auf dem Kopfe trug es ein Sammt-
barett mit wallender Straussenfeder, vor der Brust ein Spitzen-
jabot, ein lang hinabwallender Rockschooss deckte die Glieder.
Das Weib hiess Eustachia, das Männchen Mucki.
Eustachia fasste ihren Gefährten bei der Hand und sagte:
„Es war sehr lieb von Ihnen, dass Sie gekommen sind,
Sie lieber schöner Mensch!“

Mucki flötete:

„Ach, wenn es nur Papa nicht erfährt! Er ist so strenge.“
Eustachia beruhigte ihn:

„Sie können an die Ehrlichkeit meiner Absichten glauben,
holdes Männchen! Ach wenn Sie wüssten, wie ich den Augen-
blick herbeigesehnt habe, wo ich sagen kann: Ich kann einen
Mann ernähren! Jetzt endlich ist es so weit! Ich bin Bezirks-
arztin geworden und habe gleichzeitig ein schönes Fixum als
Redaktrice einer Fachzeitschrift für Embryologie “

„Aber Fräulein Eustachia!“

„Vergeben Sie! Ich wollte Ihr keusches Ohr nicht kränken!
Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie mir Ihr Schicksal ruhig
anvertrauen können — oh Mucki, beglücken Sie mich mit
einem Jawort!“

„Oh Eustachia!“ hauchte Mucki, „Ihr Antrag ist mir sehr
ehrenvoll und die Versorgung, die Sie mir bieten, ist glänzend.“
„Es versteht sich von selbst, dass Sie ein anständiges
Cigarrettengeld zur Verfügung haben und Ihre Toiletten sollen
Ihrer Schönheit würdig sein —“

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Register
Julius Diez: Zeichnung zum Text "Süsse Liebe liebt im Mai"
Belami: Süsse Liebe liebt im Mai
 
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