Gezeichnet von Egersdörfer.
Siebzehn Jahre
Von Karl Larsen.
Margrete sass in der Schaukel ihrer
kleinen Geschwister draussen im Garten
und schaukelte sich. Mehrere Male hatte
ihr die Mutter aus dem Küchenfenster zu-
gerufen, sie sollte doch endlich einmal
hereinkommen — es hatte doch gar keinen
Sinn, da zu hängen und sich in der schar-
fen Luft zu erkälten.
Aber Margrete setzte nur die Schaukel
in etwas sanftere Bewegung und liess die
Busse den Boden berühren, und dann ant-
wortete sie, ohne auch nur zum Hause
hinüber zu sehen, als wäre es eine Stimme
von irgendwo in der Luft:
„Ja, aber ich komme nicht... ich komme
... nicht... ich komme durchaus nicht...“
Und das Küchenfenster fiel mit einem
dumpfen Laut zu, wie in weiter Entfern-
ung — Mutter war doch nicht so böse,
desshalb herauszukommen.
Es war schön, sich ab und zu wieder
stärkeren Schwung zu geben und dann nach
und nach langsamer zu werden, bis die
Schaukel beinahe stille stand, und man
blos am Brette hing, die Arme hoch längs
der Stricke ausgestreckt, und in einer Be-
wegung, die ganz wenig wiegte —
Da konnte man prachtvoll weiterdenken.
Die Vögel piepten überall ... Die Luft
war blau, und die Sonne schien auf ihr
Kleid ... aber die Zweige waren nackt, und
es war noch nicht grün, nur die schwarze
Erde, die aufgehackt und umgegraben war,
konnte man riechen. —
Nun wird es bald Frühling, hatte er ge-
sagt — und seine Augen wurden so gross
und licht, als er hinaus über die Felder
blickte. Sie konnten auch ganz dunkel sein
... ganz dunkelblau, als er sie ansah, wie
sie nebeneinander denAmtmannsweg hinab-
gingen ... Und dann wurden sie klar, wenn
er lachte — mit all den winzig kleinen,
lieben Fältchen um den Mund hinter dem
kleinen Schnurrbart... den konnte er so
köstlich wichtig aufdrehn, wenn er dastand
und mit Jemandem sprach ... als er dort
beim Stadtvogt mit dem Doktor redete . ..
Er war so lieb gewesen ... und hatte so
gut ausgesehen im Frack. Und sie konnte
es ihm an den Augen ansehen, wie gerne
er sie Abends nach Hause begleitet hätte.
Es waren die merkwürdigsten Augen,
die sie jemals im Leben gesehen hatte. —
Der Kapellan, damals, als sie konfirmirt
wurde, hatte braune Augen gehabt, wirk-
lich schöne, grosse, braune Augen, aber
Henrik Bangs Augen konnten sich verän-
dern .. . ebenso wie die Stimme — ja die
Stimme. — Die war so sicher, wenn er
so einherging und erzählte; man hörte
schon, dass das richtig sein musste, was
er sagte . . . aber sie konnte auch so still
sein — damals nach Tische .. . dort in der
Fensterecke ... hatte er so gesprochen.
gleichsam so weit weg, gedämpft.-
Und sie war es, die die Stimme so
weich machen konnte ... und so tief —
sie dazu bringen konnte, sich noch mehr
zu senken.
Sie schloss die Augen.
. . Denn ich möchte doch so ungerne
nach Kopenhagen zurückreisen, ohne Ihnen
ordentlich Lebewohl gesagt zu haben. —
„Der liebe, liebe, süsse Junge!“
Sie hatte es laut gesagt und erschrak
ganz, schlug die Augen auf und wurde roth.
Sie setzte die Schaukel in stärkere Be-
wegung und sah sich um. Ach, da waren
nur Sperlinge — gute alte Sperlinge, die
nicht plaudern konnten. Vor den Sper-
lingen brauchte man sich nicht zu geniren
... ganze Mengen von ihnen waren gestern
auf dem Amtmannsweg gewesen; sie flogen
in ganzen Schaaren über die Felder auf,
als er und sie bei der Biegung umdrehten
- - • aber heute Abend durfte sie ihn nicht
treffen. Nein, sie durfte nicht.
Er hatte so innig gebeten:.... an der
Villa des Consuls vorbei, über den Feld-
es ... nach links —
294 '
Sie schaukelte rascher: Nein, nein,
nein.in der Dunkelheit.nie im
Leben... und allein mit ihm —
Sie haben doch nicht Angst vor mir?
Ja, das hatte sie — das hatte sie. Das
heisst, eigentlich nicht vor ihm.aber
sie war doch schrecklich bange, so wie nie
zuvor in ihrem Leben. Es sollte um sechs
Uhr sein — wenn sie von ihrer Tante weg-
ging .er hatte ihr eine ganze kleine
Geschichte zusammengebraut, der Ab-
scheuliche — und sie zum Lachen ge-
bracht. Sie sollte lügen, bei ihrer Tante
und zu Hause. Das hatte sie im Verlaufe
dieser zwei Wochen schon ein paar Mal
gethan. Aber nur, weil er es war — sonst
war es nicht schön, zu lügen. Tante Elise
und die Eltern würden nicht darauf ver-
fallen, zu besprechen, um welche Zeit sie
von dort weggegangen war, so dass es ent-
deckt werden konnte. Um acht Uhr sollte
er reisen. Und dann würde er für’s Erste
nicht wiederkommen, sagte er.... es war
ein reiner Zufall, dass er sich über Ostern
so lange hatte freimachen können — ein
reiner Zufall, sagte er so schelmisch meh-
rere Male. Das hatte sie genau bemerkt
— oh, er war so pfiffig: Es konnte sehr
lange dauern, bis er wieder kam. Hm, das
glaubte sie eigentlich nicht — er kam schon
wieder!
Wenn er sie nur nicht dort in Kopen-
hagen vergass....
Die Schaukel hielt inne.
....wo es so viele Frauen gab.
Es gab dort schreckliche Frauen-
Ah, aber er war gut. Er konnte ihr
nicht den Schmerz bereiten .... aber es
gab viele Andere. —
Nein-nein — das durfte nicht ge-
schehen.
Du grosser Gott! — Wenn es nun doch
geschähe -
Sie war von der Schaukel aufgestanden.
Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf
durcheinander, so dass sie für einen Augen-
Siebzehn Jahre
Von Karl Larsen.
Margrete sass in der Schaukel ihrer
kleinen Geschwister draussen im Garten
und schaukelte sich. Mehrere Male hatte
ihr die Mutter aus dem Küchenfenster zu-
gerufen, sie sollte doch endlich einmal
hereinkommen — es hatte doch gar keinen
Sinn, da zu hängen und sich in der schar-
fen Luft zu erkälten.
Aber Margrete setzte nur die Schaukel
in etwas sanftere Bewegung und liess die
Busse den Boden berühren, und dann ant-
wortete sie, ohne auch nur zum Hause
hinüber zu sehen, als wäre es eine Stimme
von irgendwo in der Luft:
„Ja, aber ich komme nicht... ich komme
... nicht... ich komme durchaus nicht...“
Und das Küchenfenster fiel mit einem
dumpfen Laut zu, wie in weiter Entfern-
ung — Mutter war doch nicht so böse,
desshalb herauszukommen.
Es war schön, sich ab und zu wieder
stärkeren Schwung zu geben und dann nach
und nach langsamer zu werden, bis die
Schaukel beinahe stille stand, und man
blos am Brette hing, die Arme hoch längs
der Stricke ausgestreckt, und in einer Be-
wegung, die ganz wenig wiegte —
Da konnte man prachtvoll weiterdenken.
Die Vögel piepten überall ... Die Luft
war blau, und die Sonne schien auf ihr
Kleid ... aber die Zweige waren nackt, und
es war noch nicht grün, nur die schwarze
Erde, die aufgehackt und umgegraben war,
konnte man riechen. —
Nun wird es bald Frühling, hatte er ge-
sagt — und seine Augen wurden so gross
und licht, als er hinaus über die Felder
blickte. Sie konnten auch ganz dunkel sein
... ganz dunkelblau, als er sie ansah, wie
sie nebeneinander denAmtmannsweg hinab-
gingen ... Und dann wurden sie klar, wenn
er lachte — mit all den winzig kleinen,
lieben Fältchen um den Mund hinter dem
kleinen Schnurrbart... den konnte er so
köstlich wichtig aufdrehn, wenn er dastand
und mit Jemandem sprach ... als er dort
beim Stadtvogt mit dem Doktor redete . ..
Er war so lieb gewesen ... und hatte so
gut ausgesehen im Frack. Und sie konnte
es ihm an den Augen ansehen, wie gerne
er sie Abends nach Hause begleitet hätte.
Es waren die merkwürdigsten Augen,
die sie jemals im Leben gesehen hatte. —
Der Kapellan, damals, als sie konfirmirt
wurde, hatte braune Augen gehabt, wirk-
lich schöne, grosse, braune Augen, aber
Henrik Bangs Augen konnten sich verän-
dern .. . ebenso wie die Stimme — ja die
Stimme. — Die war so sicher, wenn er
so einherging und erzählte; man hörte
schon, dass das richtig sein musste, was
er sagte . . . aber sie konnte auch so still
sein — damals nach Tische .. . dort in der
Fensterecke ... hatte er so gesprochen.
gleichsam so weit weg, gedämpft.-
Und sie war es, die die Stimme so
weich machen konnte ... und so tief —
sie dazu bringen konnte, sich noch mehr
zu senken.
Sie schloss die Augen.
. . Denn ich möchte doch so ungerne
nach Kopenhagen zurückreisen, ohne Ihnen
ordentlich Lebewohl gesagt zu haben. —
„Der liebe, liebe, süsse Junge!“
Sie hatte es laut gesagt und erschrak
ganz, schlug die Augen auf und wurde roth.
Sie setzte die Schaukel in stärkere Be-
wegung und sah sich um. Ach, da waren
nur Sperlinge — gute alte Sperlinge, die
nicht plaudern konnten. Vor den Sper-
lingen brauchte man sich nicht zu geniren
... ganze Mengen von ihnen waren gestern
auf dem Amtmannsweg gewesen; sie flogen
in ganzen Schaaren über die Felder auf,
als er und sie bei der Biegung umdrehten
- - • aber heute Abend durfte sie ihn nicht
treffen. Nein, sie durfte nicht.
Er hatte so innig gebeten:.... an der
Villa des Consuls vorbei, über den Feld-
es ... nach links —
294 '
Sie schaukelte rascher: Nein, nein,
nein.in der Dunkelheit.nie im
Leben... und allein mit ihm —
Sie haben doch nicht Angst vor mir?
Ja, das hatte sie — das hatte sie. Das
heisst, eigentlich nicht vor ihm.aber
sie war doch schrecklich bange, so wie nie
zuvor in ihrem Leben. Es sollte um sechs
Uhr sein — wenn sie von ihrer Tante weg-
ging .er hatte ihr eine ganze kleine
Geschichte zusammengebraut, der Ab-
scheuliche — und sie zum Lachen ge-
bracht. Sie sollte lügen, bei ihrer Tante
und zu Hause. Das hatte sie im Verlaufe
dieser zwei Wochen schon ein paar Mal
gethan. Aber nur, weil er es war — sonst
war es nicht schön, zu lügen. Tante Elise
und die Eltern würden nicht darauf ver-
fallen, zu besprechen, um welche Zeit sie
von dort weggegangen war, so dass es ent-
deckt werden konnte. Um acht Uhr sollte
er reisen. Und dann würde er für’s Erste
nicht wiederkommen, sagte er.... es war
ein reiner Zufall, dass er sich über Ostern
so lange hatte freimachen können — ein
reiner Zufall, sagte er so schelmisch meh-
rere Male. Das hatte sie genau bemerkt
— oh, er war so pfiffig: Es konnte sehr
lange dauern, bis er wieder kam. Hm, das
glaubte sie eigentlich nicht — er kam schon
wieder!
Wenn er sie nur nicht dort in Kopen-
hagen vergass....
Die Schaukel hielt inne.
....wo es so viele Frauen gab.
Es gab dort schreckliche Frauen-
Ah, aber er war gut. Er konnte ihr
nicht den Schmerz bereiten .... aber es
gab viele Andere. —
Nein-nein — das durfte nicht ge-
schehen.
Du grosser Gott! — Wenn es nun doch
geschähe -
Sie war von der Schaukel aufgestanden.
Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf
durcheinander, so dass sie für einen Augen-