Nr. 19
JUGEND
1896
Aber da musste Margrete lachen. Sie^konnte nicht anders
— nein, es war doch zu komisch, das Ganze. Sie schüttelte
sich vor Lachen.
„Nein,“ sagte die Mutter ärgerlich, „Du bist doch zu aus-
gelassen. Ist es so lustig bei Tante Elise gewesen?“
„Ja,“ sagte Margrete. „Und dann war der Weg nach Hause
so schön,“ fügte sie hinzu — um nicht zu lügen.
Als sie Thee tranken, sah Margarete hinüber auf die Uhr.
Es war neun. „Wie lange fährt man eigentlich von hier nach
Kopenhagen?“ fragte sie den Vater.
„Man ist um 10 Uhr 30 dort,“ sagte er.
„Wo ist man jetzt?“
„Ach, das weiss ich wirklich nicht — in Slagelse,“ fügte
er dann auf gut Glück hinzu. „Beabsichtigst Du vielleicht,
nach Kopenhagen zu reisen?“
„Nein,“ sagte Margrete. Ich nicht — wollte sie sagen,
aber es war gut, dass sie stille schwieg, denn sonst hätte
sie leicht etwas von dem Geheimniss verrathen können, und
es sollte ganz geheim sein, hatte er gesagt. Aber zu Pfingsten
kam er wieder. Es war furchtbar, dass es so lange bis
Pfingsten dauerte . . . aber er hatte versprochen, zum Aller-
mindesten zweimal in der Woche zu schreiben — unter der
Adresse seiner Schwester.
Auhuuuh! — Sie zog die Schultern in die Höhe bei dem
Gedanken.-Als der Tisch abgedeckt war, wollte sie
gleich zu Bett gehen; aber es war ja Samstag, und sie musste
Mutter bei der Wochenrechnung helfen. Mutter sass und
diktirte aus den kleinen Zetteln, während sie Kais Kleider
nachsah, und Margrete sollte zusammenzählen und in das
braune Buch schreiben. Das war die unerträglichste Arbeit
in der ganzen Woche; man musste so aufpassen — und wenn
man sich nur sehnte, endlich hinaufzukommen und allein
zu sein . . . und zu denken.
Und war es nicht auch irritirend, wenn man endlich los-
kam und die Stiege hinaufging, dass Henriette dasass und
an dem Geburtstagsgeschenk für die Mutter stickte?
* * *
„Ach, Du bist es nur“, sagte Henriette und nahm wieder
ihren Lampenteller hervor, auf den sie sich beinahe gesetzt
hatte, um ihn zu verstecken. —
„Du, Grete“, fragte sie und hielt den Lampenteller in die
Höhe, „findest Du nicht, dass sich der Plattstich gut macht?“
Nun hatte Margrete den Plattstich gewiss zwanzig Male
angesehen. „Ja“, sagte sie nur und begann die Decke von
ihrem Bett abzunehmen.
„Du gehst schon schlafen?“
„Ja, das thue ich allerdings.“
Henriette sah sie ein bischen an, dann stickte sie weiter.-
„Henriette“, sagte Margrete bald darauf, während sie ihre
Schuhe auf knöpfte, „hast Du nicht gesehen, ob Fräulein Bording
schöne Muster für Zeitungshalter hat — aber wirklich schöne.“ —
„Ja, ich glaube schon — das heisst, ich weiss nicht recht.
ah“, sagte Henriette und liess den Lampenteller sinken und
gähnte: „ich bin übrigens so müde.“
»Ja, Du solltest schauen, in’s Bett zu kommen.“
„Ja, aber glaubst Du, dass ich dann bis zum 19. fertig
werden kann?“ — —
Henriette brauchte unerträglich lange zum Auskleiden,
und dabei fuhr sie fort, zu schwätzen.
„Du bist so verdriesslich,“ sagte sie, als Margrete nicht
antwortete, sondern nur ganz stille in ihrem Bette lag. „Bist
Du müde?“
„Ach, ich bin heute so viel in der Luft gewesen.“
Als Henriette schlief, konnte Margrete schwer die Augen
offen halten — aber sie fand doch, sie müsse noch ein wenig
liegen bleiben und fühlen, wie still es war ... und den Schatten
der Lichtflamme leise auf der Wand auf- und niederflackern
sehen, und ganz allein sein mit ihren . . . Gedanken. —
Die Uhr unten schlug — sehr laut. Sie richtete sich im
Bett auf. Es war halb elf. — Also jetzt war er zu Hause!
Ob er wohl gutes Wetter auf der Reise gehabt hatte?
Sie stand aus dem Bette auf, ging zum Fenster hin und
zog die Gardine weg. Es war dunkel und nur ein paar dürf-
tige, kleine Sterne am Himmel — aber es regnete doch nicht.
Er war gut nach Hause gekommen.
Ihr fröstelte, sie liess die Gardine wieder hinabfallen —
dann ging sie wieder zurück, löschte das Licht und legte sich
in ihr Bett ... sie wollte im Dunkeln liegen ... so wie, als
sie ihn traf . . . Henrik-... der schöne Name ...-
Sie Schlief. Aus tjem Dänischen von FRANCIS MARS.
Abendlichter in blauer Tiefe glimmen-
, Feuerwölklein um dunkelnde Hügel schwimmen;
Weisse Zelter dem duftigen Rauch entschreiten
Darauf goldgegürtete Knaben reiten. V
Zwei der Rösslein hinter dem Zuge säumen.
Eines, leuchtende Rosen in den Zäumen,
Tänzelt, und Flammen entsprühen dem Hufes-
hiebe,
Der es reitet, ist der Traum der Liebe.
Und das andere hebt das feine Köpflein,
Auf der Stirne prunkt ein purpurnes Tröpflein,
Bläht die Nüstern und schnaubt in’s Abendroth -
Der es reitet, ist der Tod.
Zeichnung von O. Eckmann.
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JUGEND
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Aber da musste Margrete lachen. Sie^konnte nicht anders
— nein, es war doch zu komisch, das Ganze. Sie schüttelte
sich vor Lachen.
„Nein,“ sagte die Mutter ärgerlich, „Du bist doch zu aus-
gelassen. Ist es so lustig bei Tante Elise gewesen?“
„Ja,“ sagte Margrete. „Und dann war der Weg nach Hause
so schön,“ fügte sie hinzu — um nicht zu lügen.
Als sie Thee tranken, sah Margarete hinüber auf die Uhr.
Es war neun. „Wie lange fährt man eigentlich von hier nach
Kopenhagen?“ fragte sie den Vater.
„Man ist um 10 Uhr 30 dort,“ sagte er.
„Wo ist man jetzt?“
„Ach, das weiss ich wirklich nicht — in Slagelse,“ fügte
er dann auf gut Glück hinzu. „Beabsichtigst Du vielleicht,
nach Kopenhagen zu reisen?“
„Nein,“ sagte Margrete. Ich nicht — wollte sie sagen,
aber es war gut, dass sie stille schwieg, denn sonst hätte
sie leicht etwas von dem Geheimniss verrathen können, und
es sollte ganz geheim sein, hatte er gesagt. Aber zu Pfingsten
kam er wieder. Es war furchtbar, dass es so lange bis
Pfingsten dauerte . . . aber er hatte versprochen, zum Aller-
mindesten zweimal in der Woche zu schreiben — unter der
Adresse seiner Schwester.
Auhuuuh! — Sie zog die Schultern in die Höhe bei dem
Gedanken.-Als der Tisch abgedeckt war, wollte sie
gleich zu Bett gehen; aber es war ja Samstag, und sie musste
Mutter bei der Wochenrechnung helfen. Mutter sass und
diktirte aus den kleinen Zetteln, während sie Kais Kleider
nachsah, und Margrete sollte zusammenzählen und in das
braune Buch schreiben. Das war die unerträglichste Arbeit
in der ganzen Woche; man musste so aufpassen — und wenn
man sich nur sehnte, endlich hinaufzukommen und allein
zu sein . . . und zu denken.
Und war es nicht auch irritirend, wenn man endlich los-
kam und die Stiege hinaufging, dass Henriette dasass und
an dem Geburtstagsgeschenk für die Mutter stickte?
* * *
„Ach, Du bist es nur“, sagte Henriette und nahm wieder
ihren Lampenteller hervor, auf den sie sich beinahe gesetzt
hatte, um ihn zu verstecken. —
„Du, Grete“, fragte sie und hielt den Lampenteller in die
Höhe, „findest Du nicht, dass sich der Plattstich gut macht?“
Nun hatte Margrete den Plattstich gewiss zwanzig Male
angesehen. „Ja“, sagte sie nur und begann die Decke von
ihrem Bett abzunehmen.
„Du gehst schon schlafen?“
„Ja, das thue ich allerdings.“
Henriette sah sie ein bischen an, dann stickte sie weiter.-
„Henriette“, sagte Margrete bald darauf, während sie ihre
Schuhe auf knöpfte, „hast Du nicht gesehen, ob Fräulein Bording
schöne Muster für Zeitungshalter hat — aber wirklich schöne.“ —
„Ja, ich glaube schon — das heisst, ich weiss nicht recht.
ah“, sagte Henriette und liess den Lampenteller sinken und
gähnte: „ich bin übrigens so müde.“
»Ja, Du solltest schauen, in’s Bett zu kommen.“
„Ja, aber glaubst Du, dass ich dann bis zum 19. fertig
werden kann?“ — —
Henriette brauchte unerträglich lange zum Auskleiden,
und dabei fuhr sie fort, zu schwätzen.
„Du bist so verdriesslich,“ sagte sie, als Margrete nicht
antwortete, sondern nur ganz stille in ihrem Bette lag. „Bist
Du müde?“
„Ach, ich bin heute so viel in der Luft gewesen.“
Als Henriette schlief, konnte Margrete schwer die Augen
offen halten — aber sie fand doch, sie müsse noch ein wenig
liegen bleiben und fühlen, wie still es war ... und den Schatten
der Lichtflamme leise auf der Wand auf- und niederflackern
sehen, und ganz allein sein mit ihren . . . Gedanken. —
Die Uhr unten schlug — sehr laut. Sie richtete sich im
Bett auf. Es war halb elf. — Also jetzt war er zu Hause!
Ob er wohl gutes Wetter auf der Reise gehabt hatte?
Sie stand aus dem Bette auf, ging zum Fenster hin und
zog die Gardine weg. Es war dunkel und nur ein paar dürf-
tige, kleine Sterne am Himmel — aber es regnete doch nicht.
Er war gut nach Hause gekommen.
Ihr fröstelte, sie liess die Gardine wieder hinabfallen —
dann ging sie wieder zurück, löschte das Licht und legte sich
in ihr Bett ... sie wollte im Dunkeln liegen ... so wie, als
sie ihn traf . . . Henrik-... der schöne Name ...-
Sie Schlief. Aus tjem Dänischen von FRANCIS MARS.
Abendlichter in blauer Tiefe glimmen-
, Feuerwölklein um dunkelnde Hügel schwimmen;
Weisse Zelter dem duftigen Rauch entschreiten
Darauf goldgegürtete Knaben reiten. V
Zwei der Rösslein hinter dem Zuge säumen.
Eines, leuchtende Rosen in den Zäumen,
Tänzelt, und Flammen entsprühen dem Hufes-
hiebe,
Der es reitet, ist der Traum der Liebe.
Und das andere hebt das feine Köpflein,
Auf der Stirne prunkt ein purpurnes Tröpflein,
Bläht die Nüstern und schnaubt in’s Abendroth -
Der es reitet, ist der Tod.
Zeichnung von O. Eckmann.
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