Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zeichnung von Fritz Rhein.

Die Rosenkranzjungfer

von C. Viebig. Berlin.

Die Luft ist schwül. Im Feld liegen die Aehren wie
niedergemäht von Regengüssen; der Himmel ist bleigrau,
durchzuckt von fernen Blitzen. Unter den Hecken am Weg
spriessen giftige Pilze, langstenglige, mit braunen schuppigen
Spitzdächelchen. Drüben unter dem hohen Gras an den
Sumpflachen raschelt es — Nattern sind’s, sie züngeln und
ringeln sich zusammen und ruhen wohlig im treibhauswarmen,
durchbrüteten Versteck.

Ueber dem Dorf schwebt ein Brodem. Ein unsichtbares
Etwas mit schwarzen, schweren Flügeln hockt auf den tief-
hängenden Strohdächern. Es geht um im Dorf; es guckt in
die niedrigen Fenster; es klopft an die blinden Scheiben; es
rührt das Glöcklein im Kirchthurm, bis das wimmert. Es
spricht den Leuten aus den gelben Gesichtern; es sieht aus
den tiefliegenden Augen; es tippt ihnen an die Schläfen, dass
die stechen und hämmern; es stellt den Menschen ein Bein,
dass sie Umfallen matt, wie die Fliegen.

Das starke „Es“!

Im Dorf ist das Sterben. Der Typhus wüthet. Woher er
gekommen ist, man weiss es nicht — wohin er gehen wird,
wann er gehen wird, auch das weiss man nicht. Ueber Nacht
war er da; er fiel den Mann an, der aus der Schenke nach
Hause taumelte durch die weissen Nebel, die von den feuchten
Wiesen in die Gassen huschen. Neun Tage raste das Blut,
fieberten alle Pulse, wurden die Lippen schwarzblau und
trocken — dann war’s aus, und die Frau legte sich in das
noch warme Bett des Todten und zog das rothblaue Feder-
bett abergläubisch furchtsam über die Ohren. Nach wenigen
Tagen war’s wiederum aus, man schaufelte auf dem Kirchhof,
mitten im Ort, neben dem frischen Grab ein noch frischeres.

Der alte Kirchhof war seitdem schon voll geworden man
musste an den neuen, draussen neben der Landstrasse, denken.
Es packte die Leute mit den wetterharten Zügen doch wie

Angst. Sense und Sichel ruhten, die Schenken waren voller
denn je; mochte die Ernte dauern — man sass und dis-
curirte von der fremden Krankheit und goss Branntwein die
trockene Kehle hinunter und erhitzte sich und lärmte und
hieb mit der Faust auf den Tisch.

Die Weiber lagen auf den Fliesen der Kirche, heulten
im Chor und schlugen die Brüste. In der eisigen Kirchen
dämmerung quollen Weihrauchwolken, qualmten geweihte
Kerzen, die Heiligenbilder an den Wänden schauten wie durch
dicken Flor. Draussen war’s wie ein Backofen, drinnen wie
ein Keller — draussen war das Sterben, aber hier das ewige
Leben. Und Jung und Alt liess die glühenden Backen ver-
kühlen und lag auf den Knieen, bis fröstelnde Schauer über
den Rücken rieselten.

Am Ende des Dorfes, wo der Weg in die Wiesen schlängelt,
steht das Haus des Ende-Lange. Tritt man hinter den halb-
verfallenen Schuppen, so sieht man erst über den Pfuhl mit
grünem schleimigen Entengries bezogen, dann über die üppige
Grasfläche und zuletzt den schwarzblauen Saum des Kiefern-
waldes.

Der Ende-Lange ist wohlhabend, er hat eine reiche Bäuerin
geheiratet. Er ist ein hübscher junger Mensch; sie ist hager
und knochig und hält ihren Mann knapp — man weiss warum,
sagen die Leute. Der Ende-Lange pfeift sich gern eins und
betreibt ein Leben im Hof und in den Ställen; jetzt ist nichts
davon zu spüren. Im Koben grunzen die Schweine und
stossen mit den borstigen Schnauzen wüthend gegen die
Klappe des Trogs, im Stall brüllen dumpf die Kühe — wun-
dern sie sich, dass ihr lustiger Herr nicht kommt? Aber
auch sonst Niemand, und es ist doch Futterzeit. Vom Kirch-
thurm bimmelt es Mittag. Heut sind sie vergessen — zum
ersten Mal!

Drinnen in der dunstigen Stube lag der Ende-Lange im
Sterben.

Eben hatte der Herr Propst das Haus verlassen, hinter
sich die scheu blickenden Messjungen. Er hatte die Sterbe-

302
Register
Fritz Rhein: Zeichnung zum Text "Die Rosenkranzjungfer"
Clara Viebig: Die Rosenkranzjungfer
 
Annotationen